«Räume für Frauen und Queers entsprechen einem Bedürfnis»

Mit einem Fest öffnet das feministische Streikhaus am Sihlquai 115 morgen Samstag seine Tore. Weshalb es in Zürich ein solches Haus braucht, erklären Anna Schmid und Linda Zobrist vom Zürcher Frauen*streikkollektiv im Gespräch mit Nicole Soland.

 

Wer sind die Frauen hinter dem Frauen*streikkollektiv?

Linda Zobrist: Das Frauen*streikkollektiv besteht aus sehr unterschiedlichen Einzelpersonen und Gruppen, die sich einmal pro Monat treffen.

Anna Schmid: Angefangen haben diese Vernetzungstreffen ursprünglich im Hinblick auf den landesweiten Frauenstreik vom 14. Juni: Sie waren das Herzstück der Streikvorbereitungen.

 

Der Streik ist seit knapp einem halben Jahr Geschichte…

A.S.: Ja, doch die Treffen gingen weiter, und so ist auch das Frauen*streikkollektiv weiterhin aktiv. Wir sind offen für alle – wer möchte, schaut auf unserer Website frauenstreikzuerich.ch  nach, wann das nächste Vernetzungstreffen stattfindet, und kommt einfach vorbei. Jeweils eine halbe Stunde vor den Treffen nimmt sich eine von uns den Neuen an, man unterhält sich kurz, um herauszufinden, was die Frauen bewegt: Einige wollen einfach mal hereinschauen, andere haben eine konkrete Idee und suchen Mitstreiterinnen oder möchten ein Projekt präsentieren.

 

Es braucht also Ihre Gruppe auch nach dem Streik noch?

L.Z.: Unbedingt – zumal der Streik ja nie unser einziges Ziel war, sondern ein weiterer Höhepunkt in der feministischen Mobilisierung. Ein landesweiter Streik garantiert einem die Aufmerksamkeit der breiten Bevölkerung, und die ist nötig: Wir wissen alle, dass sich feministische Anliegen nicht von selbst verwirklichen.

 

Dennoch: Feministische Gruppen gibt es bereits einige. Wodurch zeichnet sich das Frauen*streikkollektiv speziell aus?

L.Z.: Wir stehen für die nationale Koordination von feministischen Anliegen, wir sind schweizweit aktiv.

A.S.: International vernetzen wir uns ebenfalls, wobei das Zürcher Frauen*streikkollektiv vor allem mit Gruppen aus Deutschland in Kontakt ist. Die Frauen in der Romandie arbeiten mit feministischen Kollektiven in Italien, Spanien und Argentinien zusammen. Grundsätzlich ist das Spezielle der Streikmobilisierung, dass wir es geschafft haben, von Gewerkschafterinnen über Parteimitglieder und die ausserparlamentarische Linke bis hin zu verschiedensten Berufsgruppen alle ins Boot zu holen und am 14. Juni auf die Strasse zu bringen. In diesem verbindenden Sinne haben auch die Kollektive gearbeitet und wollen wir weiterhin agieren.

 

Am Frauenstreik ist mir aufgefallen, dass es – anders als bei ‹klassischen› Streiks – nicht zwei, drei Hauptforderungen gab, sondern viele ‹kleinere› Forderungen. Sind Ihrem Kollektiv einfach sehr viele Themen gleich wichtig, oder was ist der Grund dafür?

L.Z.: Ein Grund ist sicher, dass wir Frauen je nach individueller Situation gegen unterschiedliche Missstände kämpfen, die aber oft durch ähnliche oder gleiche Ursachen entstehen.

A.S.: Unsere Erfahrungswelten mögen unterschiedlich sein, doch alle Frauen* sind nach wie vor von patriarchalen Strukturen betroffen. Auch das Frauen*streik-Manifest enthält viele Forderungen. Eine erste Version wurde in der Romandie geschrieben, wir haben sie bei einem Vernetzungstreffen diskutiert. Die Themen, denen wir uns näher widmen wollten, wurden in kleineren Gruppen diskutiert und zum Schluss von der Redaktionsgruppe überarbeitet. Nun deckt es vom Kampf gegen institutionellen und alltäglichen Rassismus und Sexismus über den Wert unserer Arbeit bis zur Forderung nach emanzipativer Bildung und nach Klimagerechtigkeit vieles von dem ab, was uns im Alltag bewegt.

 

Wie gross ist das Frauen*streikkollektiv eigentlich?

L.Z.: An den Vernetzungstreffen nehmen jeweils 50 bis 60 Personen teil. Am Streikhaus-Chat beteiligen sich rund 170 Frauen und Queers, am Kollektiv-Chat rund 140. Somit sind zwischen 200 und 300 Frauen und Queers aktiv beteiligt.

A.S.: Ein paar wenige, einfache Forderungen resultieren aus unserer Arbeit unter anderem deshalb nicht, weil wir uns nicht nur mit feministischen Theorien beschäftigen, sondern auch mit konkreten Anliegen wie etwa dem Klimastreik, der Situation der Frauen, die in Kitas arbeiten, oder dem grossen Thema der unbezahlten Care-Arbeit.

 

Ältere Semester erinnern sich beim Stichwort «Sihlquai 115» an die ‹Wunderbar›im einstigen Quartierhaus Kreis 5. Nachdem dieses aufs Schütze-Areal gezügelt ist, schrieb die Stadt den Betrieb des Hauses Sihlquai 115 öffentlich aus. Sie erhielten den Zuschlag: Mit welch genialem Konzept ist Ihnen das gelungen?

A.S. (lacht): Wir haben die Ausschreibung spät gesehen und erst mal zwei Tage lang überlegt, ob wir uns bewerben sollten. Dann haben wir ad hoc etwas zusammengestellt und eingereicht – und sind eine Runde weitergekommen. Danach galt es, ein ausführliches Dossier zu erstellen. Um dieses gemeinsam zu erarbeiten, haben sich rund 30 Frauen zusammengesetzt, diskutiert und schliesslich die Eingabe formuliert. Aber wir waren schon total überrascht – und natürlich erfreut–, dass wir den Zuschlag erhalten haben.

 

Ein Haus als Treffpunkt ist sicher eine praktische Sache, doch bindet es auch viele Ressourcen – oder wie sehen Sie das?

L.Z.: Wir sind genug Leute, wir haben die nötige Energie, und Räume für Frauen und Queers entsprechen einem Bedürfnis. Dazu kommt, dass ein Raum, in dem wir uns ungestört treffen können, zusätzlich Energie schafft und erst noch die Vernetzung vereinfacht.

 

Es gibt doch bereits das Frauenhaus an der Mattengasse: Weshalb wollen Sie das konkurrenzieren?

A.S.: Von Konkurrenz kann keine Rede sein. Das dortige Haus heisst zu Recht «Fraum», besteht es doch aus einem einzigen Raum mit einer kleinen Küche. Das «Fraum» ist sehr gut ausgelastet, sprich, es hätte gar keinen Platz mehr für grössere Vernetzungstreffen, wie wir sie abhalten. Zudem kennen wir die «Fraum»-Frauen, sie sind ebenfalls im Frauen*streik-Kollektiv, und wir arbeiten gut zusammen.

 

Für die Ewigkeit ist das Haus am Sihlquai 115 allerdings nicht gedacht, oder?

L.Z.: Nachdem wir den Zuschlag bekamen, mussten wir einen Verein gründen, um das Haus übernehmen zu können, und die Stadt gab uns einen Vertrag für zwei Jahre, möglicherweise wird es eine Verlängerung geben; wir können also bis auf weiteres bleiben und dürfen das Haus auch nach unseren Vorstellungen gestalten und einrichten. Irgendwann in der Zukunft wird die geplante Bildungsmeile des Kantons am Sihlquai konkret und das Haus Sihlquai 115 abgebrochen. Aber bis diese Pläne verwirklicht sind, kann noch viel Zeit vergehen.

 

Morgen Samstag steigt die Eröffnungsparty (siehe Kasten): Wie wollen Sie das Streikhaus danach mit Leben füllen?

A.S.: Das Haus bietet viele Möglichkeiten, auch für externe Gruppen. Es hat beispielsweise einen Bewegungsraum im oberen Stock, in dem Selbstverteidigungstrainings oder Tanzveranstaltungen geplant sind. Ein Bandraum steht für feministische Bandprojekte parat. Wir planen eine Bibliothek und ein Malatelier; dieser Raum ist auch ideal zum Basteln geeignet. Natürlich sind auch neue Ideen willkommen. Die Räume kann man übrigens jetzt schon buchen.

 

Was kosten sie?

L.Z.: Wir vergeben die Räume kostenlos. Wir erwarten jedoch schon, dass sich die BenutzerInnen in irgend einer Form am Projekt Streikhaus beteiligen – beispielsweise, indem sie sich zum Putzen eintragen.

 

Und wer weder tanzen noch basteln will, muss draussen bleiben?

A.S.: Sicher nicht! Wir haben im Streikhaus zwar noch kein Café oder etwas in die Richtung, doch jeden Freitag ab 15 Uhr ist das Streikbüro offen. Dann sind alle Frauen und Queers willkommen, egal, ob sie Projekte besprechen, andere Leute treffen oder einfach mal eine Runde durchs Haus drehen wollen. Das Streikbüro befand sich früher auf dem Park-Platz und war ebenfalls Freitagnachmittags offen. Diese Tradition haben wir auch am neuen Ort beibehalten.

 

L.Z.: Ich fände es super, wenn es noch mehr öffentlich zugängliche Veranstaltungen gäbe, aber wir haben das Haus erst seit zwei Monaten – alles aufs Mal schaffen wir einfach nicht.

A.S.: Alles hier drin ist in mit unbezahlter Arbeit entstanden.

 

Sind im Streikhaus eigentlich auch Männer willkommen?

L.Z.: Es gibt Räume und Zeiten, in denen Cis-Männer (ein Cis-Mann ist ein Mann, bei dem die Geschlechtsidentität «Mann» mit seinem bei der Geburt zugewiesenen und angeborenen Geschlecht als «männlich» übereinstimmt/Red.) keinen Zutritt haben. Ansonsten sind sie auch willkommen.

A.S.: Wer einen Raum bucht, kann angeben, ob die Veranstaltung Frauen* vorbehalten ist oder nicht. Wir hatten hier schon Sitzungen von Betriebsgruppen des VPOD oder einer Kita …

L.Z.: … und umgekehrt auch schon Veranstaltungen nur für Trans-Personen.

A.S.: Wir sind grundsätzlich offen, wichtig ist uns jedoch eine feministische Grundhaltung: Die Gruppen sollten ein Bewusstsein für feministische Fragen mitbringen. Ansonsten sind wir noch daran, herauszufinden, was es hier problemlos verträgt und was eher nicht. Das ist nun mal nur möglich, indem wir Gruppen von extern willkommen heissen und nach ihrer Veranstaltung abwägen, ob wir sie auch ein nächstes Mal bei uns begrüssen möchten.

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