- Post Scriptum
Punks der Karibik
Wie war das nochmal – 3,412? 3,156? Irgendwas mit 3-Komma. Mist. Was tu ich hier eigentlich?
Kürzlich schaute ich auf einem der vielen namenlosen Fernsehsender eine Dokumentationsserie über die Pirat:innen der Karibik. Benjamin Hornigold, Henry Jennings, Black Sam Bellamy, Blackbeard und natürlich auch Anne Bonny und Mary Read. Ich war als Kind sehr fasziniert von der Seefahrt der frühen Neuzeit und insbesondere von der Piraterie, las dicke Bücher darüber, und wenn auf einem der damals noch wenigen, dafür namhaften Fernsehsender ein Film mit Segelschiffen gezeigt wurde, bettelte ich bei den Eltern so lange, bis sie nachgaben und ich ihn schauen durfte. Die erwähnte Serie war zwar nicht ultra-seriös; sie vereinfachte und dramatisierte insbesondere die Charaktere und ihre Beziehungen, so dass sie dem Nachlesen in der Wikipedia nicht in jeder Hinsicht standhielt. Interessante Zusammenhänge zeigte sie aber trotzdem. Etwa, dass die Piraterie in der Karibik nicht einfach so entstand, sondern eine direkte Folge der britischen Politik im Spanischen Erbfolgekrieg war. Um nicht eine Seestreitmacht finanzieren zu müssen, die der verfeindeten Koalition von Spanien und Frankreich ebenbürtig war, stellte das britische Königshaus Kaperbriefe aus, die es privaten Seefahrern, Freibeuter genannt, erlaubten, quasi offiziell spanische Schiffe anzugreifen. So wurde die Versorgung Spaniens mit Gold und anderen Reichtümern aus den Kolonien behindert, was der spanischen Krone die Finanzierung des Krieges erschwerte. 1713 war der Krieg zu Ende, und die Kaperbriefe wurden annulliert, gleichzeitig reduzierte auch die britische Flotte ihre Truppen stark. So waren in der Karibik auf einen Schlag zehntausende erfahrener Seeleute arbeitslos. Sie schlossen sich den ehemaligen Freibeutern an, um weiterhin zu tun, was sie am besten konnten: Schiffe plündern. Einige von ihnen optimierten ihre Arbeitsweise, indem sie ein martialisches Auftreten und den Ruf besonderer Grausamkeit pflegten, so dass die Angegriffenen ihnen ihre Schiffe aus Angst oft ohne Blutvergiessen übergaben; sie sahen sich denn auch als eine Art neuer Robin Hoods.
Die Stadt Nassau auf den Bahamas diente den Freibeutern und Piraten als Rückzugsort. 1706 deklarierten sie dort die «Republik der Piraten», die bis 1718 bestand. Die Regeln, die sie sich gaben, waren für die Zeit geradezu revolutionär: Jeder hatte eine Stimme, unabhängig von Rang, Stand oder Herkunft. Dies schloss auch befreite afrikanische Sklaven mit ein, die sich den Piraten angeschlossen hatten. Sie wählten ihre Kapitäne und konnten sie auch jederzeit wieder abwählen und durch andere ersetzen. Machten sie Beute, bekam jeder an Bord den gleichen Anteil. Und dies 70 Jahre vor dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, 80 Jahre vor der Französischen Revolution, 140 Jahre, bevor die Schweiz zur Demokratie wurde! Und die Piraten der Karibik hatten sowas nicht als Erste erfunden: Bereits um 1400 waren die norddeutschen Piraten um (den nicht historisch belegten) Klaus Störtebeker bekannt als «Likedeeler», «Gleichteiler», da sie ihre Beute zu gleichen Teilen unter der gesamten Mannschaft aufteilten. In dieser Zeit des Feudalismus eine unerhörte Idee! Die Piraten waren so gesehen Vorkämpfer der Demokratie und eine Art Punks ihrer Zeit – sie foutierten sich um die gesellschaftlich etablierten Regeln und lebten nach ihren eigenen, gemeinschaftlich bestimmten Gesetzen.
Ich schulde Ihnen noch die Auflösung des ersten Absatzes. Langjährige Leser:innen dieser Kolumne wissen eventuell, dass ich ein grosser Freund des flachen Wortspiels bin, und Sie haben es bestimmt auf Anhieb erkannt: π raten, natürlich.