Problemnetze und Lösungsnetzwerke

«Problema» steht im Lateinischen für eine «zur Lösung vorgelegte Frage». In der Veranstaltungsreihe «Zwischenräume» des Theaters Maxim wird Raum geschaffen, um Zusammenhänge von Problemen zu erkennen und nach Lösungen zu suchen. Am letzten Sonntag ging es um Mode, Armut und Klima. 

«Der Frühling kommt! Ab an die Bahnhofstrasse, Zara bringt das neue, das neuste, das was erst noch kommt in seine Läden – und fährt mit dem Plunder von gestern ab.» Mit solchen Lockrufen für ultimative Trendsetter wäre kaum eine oder gar einer aus dem Publikum des Maxim-Theaters zu gewinnen, weder vor, geschweige denn nach der Veranstaltung zu «Fast fashion».

Die Performerin Sabina Kaeser spannt den Roten Faden durch den Raum. Bis zum Ende der Veranstaltung weben die Teilnehmer:innen daraus ein dichtes Netz. Wenn an einem der Fäden gezogen wird, verändert das das ganze Netz, besonders dann, wenn die Verankerungen des entstehenden Kunst- oder eben Netzwerks verschoben werden.

David Hachfeld von Public Eye stellt die Eingangsfrage: Wieviele Kleider kaufen wir eigentlich – und warum? «Weil der Hemdkragen durchgeripst ist», meint ein älterer Herr. Er hat vor etwa acht Jahren letztes Mal ein neues Hemd gekauft. «Weil ich im neuen Job angemessen auftreten musste», erinnert sich eine junge Frau. «Einfach mal wegen der Farbe», wirft eine andere ein. Und dann das Geständnis: «Das Sonderangebot.» Also doch ein Hauch von Zara.

Das Nachfrageproblem

Hachfeld informiert: In der Schweiz gibt ein Zweipersonenhaushalt durchschnittlich 210 Franken pro Monat für Kleider aus. Jedes Jahr landen pro Kopf 11 Kilo Kleider im Abfall, das entspricht ungefähr 50 Kleidungsstücken. Interessanterweise gibt es keine Statistiken zum Konsum neuer Kleider, der immense Kleiderumsatz kann nur anhand des Abfalls geschätzt werden. Vor 50 Jahren lag er unvergleichlich tiefer, aber der Anteil der Kleider an den Lebenskosten – heute zwei Prozent – lag bei über zehn Prozent. Da stellt sich die Frage: Wie erklärt sich dieser Zuwachs an Kleiderkonsum pro Kopf? Diese Frage stellt sich auch die Modeindustrie, es ist ihr Problem: eigentlich ist ja der Markt hierzulande gesättigt. Wie schafft man es da, dass es bei einem solchen Kleiderberg immer noch gang und gäbe ist, dass landauf landab die Leute vor dem Kleiderkasten verzweifeln, «ich hab’ einfach nichts zum Anziehen». Die Lösung: Mode, ein schnelllebiges, billiges, leicht zugängliches, vor allem sich stets änderndes Angebot. Und natürlich: Werbung, Werbung, Werbung.

Schnell und billig

Zara beliefert jeden seiner weltweit 5818 Shops zwei Mal pro Woche mit neuen Kleidern. Der Modezyklus, einst im saisonalen Rhythmus, ist auf wenige Wochen reduziert worden. Entsprechend muss die Lieferkette beschleunigt werden: Design, Produktion und Lieferung sind auf vier Wochen geschrumpft. Das führt zu einem enormen Druck auf die Arbeiterinnen. Die chinesische Online-Firma Shein lässt ihre Textilarbeiter:innen 75 Stunden pro Woche arbeiten und zahlt ihnen dafür einen Monatslohn von 80 Franken, was knapp zum Leben reicht, meist aber zur Verschuldung führt. Damit die Ware umgehend im Laden landet, wird sie per Flugzeug verschickt: Im Jahr 2022 waren für die EU mehr als 7000 Frachtflugzeuge nur mit Textilien unterwegs, das sind 20 pro Tag, insgesamt wurden 387 000 Tonnen importiert. Die «Flugmode», wie Public Eye die so verfrachteten Kleider nennt, sind damit zu einem Treiber der Klimakrise geworden. Die Transportkosten pro Shirt würden auf dem Seeweg drei Prozent der Gestehungskosten ausmachen, per Flugzeug sind es 28 Prozent, mehr als die Herstellungskosten – dementsprechend müssen die Löhne im Armutsbereich behalten werden.

Was tun?

Globalisierung bedeutet, «alle sind vernetzt – niemand ist verantwortlich», stellt Hachfeld fest. Oder doch? Wie könnten wir Verantwortung übernehmen? Die Zwischenraum-Teilnehmer:innen schlagen vor: Kaufboykott, Kleider länger tragen, Kleider flicken, in Secondhand- und Repair-Läden kaufen – interessanterweise alles Ideen, die der vor hundert Jahren von Clara Ragaz mitgegründeten «Käuferliga» entsprechen. Auf politischer Ebene: Steuern auf Textilimporten fordern, Flugtransporte für Textilien verbieten. Allerdings: Wenn der weltweite Textilmarkt zusammenbricht, werden in den Produktionsländern Millionen Menschen arbeitslos. Es braucht dort die Unterstützung der gewerkschaftlichen Arbeitskämpfe für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen, Bildung als Voraussetzung für die Diversifizierung der Arbeitsmärkte. 

Inzwischen haben Sabinas Fäden den «Zwischenraum» dicht verspannt. Die Metapher stimmt auf zwei Seiten, als Bild der weltumspannenden Problemfäden und als Motivation, lösungswillige Menschen und Institutionen zu vernetzen, um gemeinsam an den Fäden zu ziehen für eine neue, gerechte und lebensfreundliche Ordnung.