«Probleme lösen, statt das Kind mit dem Bade auszuschütten»

Bis zu den Stadtratswahlen vom 4. März 2018 befragen wir an dieser Stelle die amtierenden StadträtInnen und die neu Kandidierenden zu einem aktuellen Thema – dieses Mal Michael Baumer, FDP-Gemeinderat und dipl. Informatik-Ing. ETH, zum Thema «Globalisierung». Die Fragen stellte Nicole Soland.

 

Am diesjährigen World Economic Forum (WEF) in Davos will US-Präsident Donald Trump teilnehmen; in der NZZ vom 11. Januar wird dies als gute Nachricht gewertet. Ihr Kommentar?

Michael Baumer: Ich bin erstaunt, dass ausgerechnet Donald Trump ans WEF geht. Angesichts seiner bisherigen Verlautbarungen hätte ich es ihm schon eher zugetraut, sich mit Globalisierungsgegnern zu solidarisieren. Aber natürlich kann man die Gelegenheit für Diskussionen ergreifen, wenn das Staatsoberhaupt eines grossen und wichtigen Landes in die Schweiz kommt, und ihm vielleicht auch aufzeigen, dass gewisse Sachen einfacher zu lösen sind, wenn man miteinander redet und zusammenarbeitet, anstatt den Alleingang zu wählen.

 

Zum Beispiel?

Die USA haben stark vom internationalen Handel profitiert. Dass jetzt ausgerechnet ein amerikanischer Präsident findet, er müsse Abschottungspolitik betreiben, ist bemerkenswert. Kommt hinzu,dass eine solche Politik jenen, die ihn mutmasslich gewählt haben, wohl am wenigsten nützt.

 

Die Zürcher Wirtschaft hat ebenfalls von der Globalisierung profitiert, hauptsächlich von der Personenfreizügigkeit mit der EU.

Zürich ist bereits seit Jahrhunderten ein Handelszentrum mit immer wieder wechselnden Geschäftsbereichen, vom einstigen Handel mit Seidenstoffen bis zum heutigen Bankenplatz, und hat somit auch vor der Personenfreizügigkeit schon profitiert. Seit der Gründung der ETH und der Uni ist Zürich gleichzeitig eine Bildungsstadt, der es zugute kommt, dass sie die besten Köpfe hierhin holen kann.

 

Die Personenfreizügigkeit hat für unsere Stadt demnach keine spezielle Bedeutung?

Wir haben im Grundsatz davon profitiert, weil wir dadurch als Arbeitsort attraktiv sind, nicht zuletzt im umkämpften Umfeld der Kreativwirtschaft oder in meinem Fachgebiet, der Informatik. Die starke Zürcher IT-Szene ist davon abhängig, dass sie gute Mitarbeiter findet, und «das überzitierte Google», wie es der ‹Tagi› kürzlich nannte, wäre ohne Personenfreizügigkeit nicht nach Zürich gekommen.

Kommen wir zur Kehrseite der Medaille: Die Zuwanderung wird heute generell kritischer betrachtet als auch schon.

Gewisse Auswirkungen sind spürbar, die Bevölkerung wächst, wobei nicht all dieses Wachstum von aussen kommt: Die Leute leben generell wieder gern in Städten. Dies wäre auch ohne Personenfreizügigkeit der Fall. Natürlich gibt es auch Probleme, Lohndumping beispielsweise. Aber ich bin der Meinung, dass es gescheiter ist, solche Probleme zu lösen, als gleich das Kind mit dem Bade auszuschütten.

 

Zahlbarer Wohnraum ist in Zürich ein Luxusgut. Die Linken möchten deshalb mehr gemeinnützigen Wohnraum, die FDP hingegen setzt darauf, dass möglichst hohe Mieten den Vermietern möglichst hohe Renditen bescheren: Wie lässt sich so die Wohnungsnot bekämpfen?

Auch wir möchten Wohnen für alle anbieten. Wir fokussieren aber auch noch darauf, nicht nur Wohnungen für ein bestimmtes Milieu anzubieten, wie es jetzt beim Koch-Areal wieder geschehen soll.

 

In Genossenschaftswohnungen leben wahrscheinlich mehr SVP-WählerInnen als SP-Gemeinderäte, und mit der SVP spannen Sie bekanntlich im Rahmen von Top 5 zusammen. Lassen Sie Ihre Klientel im Regen stehen?

Ich habe überhaupt nichts gegen Genossenschaften, bei denen es sich bekanntlich immer noch um Private handelt. Was sie auf ihrem eigenen Land machen, ist ihnen überlassen. Aber die Stadt ist nun mal in den letzten zehn Jahren um 50 000 EinwohnerInnen gewachsen, und sie wächst weiter. Wir müssen mehr Wohnraum schaffen, ohne den Charakter der Stadt völlig umzupflügen. Das möchten wir mittels Dachstockausbauten oder der Aufstockung um ein Stockwerk an jenen Lagen erreichen, die mit dem öV gut erschlossenen sind.

 

Im Gemeinderat stimmte die FDP in letzter Zeit dennoch regelmässig gegen Projekte des gemeinnützigen Wohnungsbaus.

In der städtischen Wohnpolitik ist die Frage entscheidend, welche Bedingungen man stellt, wenn man verbilligt Land für städtische Siedlungen oder an Genossenschaften abgibt. Mit den Mietbeschränkungen bei den städtischen Wohnungen haben wir vor kurzem einen Kompromiss mit der linken Ratsseite gefunden.

 

Dank diesem Kompromiss müssen neu alle MieterInnen in nicht-subventionierten städtischen Wohnungen mit Kostenmiete regelmässig kontrolliert werden: Die FDP schafft einen Teil der Bürokratie, die sie offiziell stets bekämpfen will, gleich selber.

Wenn jemand einen Vorteil hat, dann muss man kontrollieren, ob er ihn zu Recht hat. Das gilt bekanntlich auch beim Lieblingsbeispiel der Linken, den Steuern. Die Kontrollen sind obendrein kein Problem, sofern sie effizient abgewickelt werden können. Hier böte die Digitalisierung Möglichkeiten, welche die Stadtverwaltung zurzeit noch zu wenig ausschöpft.

 

Auf Ihrer Website schreiben Sie, «eine lebendige Stadt braucht Arbeitsplätze, sinnvolle Mobilität und Lebensqualität». Das hat Zürich doch schon.

Ich bin der Meinung, dass die Stadt zwar die Erfolge der Vergangenheit verwaltet, sich aber wenig Gedanken darüber macht, wie wir auch in 20 Jahren noch attraktiv sein können, auch und gerade auf dem Arbeitsmarkt. Ein Beispiel: Heute müssen SozialarbeiterInnen viermal mehr Zeit für die Bürokratie aufwenden, als ihnen für den Kontakt und die Arbeit mit ihren KlientInnen zur Verfügung steht. Gegen solche Missverhältnisse könnte man angehen, indem man neue Technologien effizienter nutzte.

 

Sie unterstützen also die Forderung der Grünliberalen nach einem Stadtrat für Digitales?

Ich danke Andreas Hauri, dass er den Informatiker Baumer zur Wahl empfohlen hat… Im Ernst: Wir brauchen keinen Stadtrat für Digitales, sondern einen Gesamtstadtrat, der in allen Departementen und an allen Schnittstellen zwischen den Departementen eine fortlaufende Prozessüberprüfung anordnet und die richtigen Schlüsse daraus zieht.

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