Private Diskrepanz

Eine von der Universität Neuenburg durchgeführte Studie zeigt, dass die SchweizerInnen in Bezug auf ihren Energieverbrauch widersprüchliche Absichten haben. Und dass diese Absichten nicht zwingend mit (Un-)Wissen einhergehen. Derweil bleibt die CO2 – Steuer für viele ein Mysterium.

 

Anatole Fleck

 

Auch wenn die globale Erwärmung durch ein Virus etwas ausser Fokus geraten ist: Ein temporärer Stillstand löst kein Jahrhundertproblem. Denn vor der Krise könnte nach der Krise sein – zumindest für das Klima. Und wenn der Konsummotor einmal mit voller Wucht wieder angeworfen wird und die Wirtschaft eifrig ihre Wunden leckt, könnte das grosse Thema des letzten Jahres weiter im Hintergrund bleiben. Und während das generelle Bewusstsein für die Klimaerwärmung wächst, sich glücklicherweise in den Wahlen niederschlägt, und die Politik die Ziele eigentlich längst festgelegt hat – hinken die Absichten der Haushalte, ihren eigenen Verbrauch zu reduzieren, anscheinend hinterher. Das zeigen Forscher der Universität Neuenburg anhand einer seit 2016 jährlich durchgeführten Umfrage unter 5000 Haushalten. Erschienen ist die Studie in der neusten Ausgabe der Zeitschrift «Social Change in Switzerland», die vom Schweizer Kompetenzzentrum für Sozialwissenschaften FORS an der Universität Lausanne herausgegeben wird.

 

Die Befragten stammen dabei aus allen Landesteilen ausser dem Tessin, sind allen Alters ab 18 Jahren und wurden in drei Altersgruppen eingeteilt. Die ForscherInnen unterschieden ebenfalls zwischen Städten, wie sie vom Bundesamt für Statistik definiert werden, und allen Agglomerationen und ländlichen Gemeinden als «nicht-urbane Gemeinden». Bei der sehr generellen Frage, ob die Teilnehmerinnen beabsichtigten, in den kommenden zwölf Monaten ihren CO2-Ausstoss zu verringern, lag der Anteil der BefürworterInnen 2018 noch bei 30 Prozent. Im Folgejahr wuchs ihr Anteil um stattliche fünf Prozent. Zum einen zeigen die Zahlen also einen relativ raschen Wandel hin zu einer höheren Verzichtbereitschaft, mit Blick auf die Altersgruppen und Gemeinde-Typen aber auch bekannte Gräben: Frauen und Jugendliche (die Altersgruppe der 18–34-Jährigen) sind insgesamt eher dazu bereit ihren CO2-Ausstoss zu reduzieren – besonders wenn sie in Städten wohnen.

 

Wissen reimt sich nicht auf Absicht

 

Diese Tendenz zieht sich auch durch die weiterführenden Fragen, die nach Reduktionen in den Bereichen mit den Löwenanteilen des privaten Energieverbrauchs suchen: dem Individualverkehr, der Heizenergie und dem generellen Stromverbrauch. Hier wird, viel wichtiger, «in jedem Fall deutlich, dass nur relativ wenige Menschen eine Änderung jener Verhaltensweisen erwägen, welche einen wesentlichen Teil ihres Energieverbrauchs ausmachen», so die ForscherInnen. So erklären sich bei der Fahrzeugnutzung (PKW) insgesamt nur ein Viertel der befragten Haushalte zu einer Verringerung bereit. In der Gruppe der Männer zwischen 35 und 54 Jahren in «nicht-urbanen Gemeinden» gar ein Tiefstwert von nur rund 20 Prozent. Für die Senkung des Strom- und Heizenergieverbrauchs liegen die Werte derweil bei knapp einem Drittel der TeilnehmerInnen. Obgleich die Haushalte ihren CO2-Ausstoss senken wollen, ist ihnen offenbar unklar, wie die Umsetzung dieser Verringerung konkret aussehen soll. 

 

Bescheidene Bereitschaft

 

Es bleibt zu hoffen, dass es nicht das Argument der kausalen Ineffizenz ist. Dass der oder die Einzelne in seinen privaten Handlungen wirkungslos ist, sollte mittlerweile zu den widerlegten Ammenmärchen gehören. Ob der Widerspruch zwischen Absicht und Vollzug mit dem Wissensstand korrelieren könnte, versuchen die Neuenburger ForscherInnen sogleich zu ermitteln: In fünf Fragen wurde dabei versucht, die Kompetenzen bezüglich Energieverbrauchs rudimentär festzustellen. Bei der Gegenüberstellung dieser Ergebnisse und den oben genannten Absichten zeigt sich, dass selbst bei Gruppen mit relativ guten Kenntnissen im Bereich Energie die Absichten, den Verbrauch zu reduzieren, recht bescheiden bleiben: «Die Bevölkerungsgruppen mit dem besten Kenntnisstand (Männer und ältere Menschen) scheinen gar am wenigsten zu Verhaltensänderungen bereit zu sein.» Während die VerfasserInnen der Studie zwar davon ausgehen, dass eine höhere Energiekompetenz mit einer grösseren Sensibilität für Umweltfragen einhergeht, bleibt an dieser Stelle unklar, warum die Wissenden wider Wissen handeln – und ob und wie Wissen und Handeln überhaupt korrelieren. Das reine Informieren der Öffentlichkeit über Energiefragen dürfte demnach nicht ausreichen, um den Verbrauch in Zukunft rascher zu reduzieren.

 

Missverstandene akzeptierte Steuer

 

Ein letzter Teil der Befragung fokussiert auf die CO2-Steuer, die in der Schweiz auf fossile Brennstoffe (Öl und Gas) erhoben wird, die zum Heizen verwendet werden. Obschon die Steuer derzeit etwa 25 bis 30 Prozent des Brennstoffpreises ausmacht, sind die Forschungsergebnisse hier ernüchternd: Zwar wissen rund zwei Drittel der 590 befragten Haushalte, in welchen mit Öl oder Gas geheizt wird, dass sie etwas bezahlen – auf der Ebene der Umverteilung der CO2-Steuer wird aber «über alle Bevölkerungsgruppen hinweg deutlich, dass die Steuer nur von wenigen nachvollzogen wird», so die ForscherInnen. Weniger als jede fünfte Person gibt korrekt an, einen Betrag zwischen 60 und 100  Franken erhalten zu haben. Dennoch dürfte die Steuer mehr oder weniger akzeptiert sein, befinden die Verfasser der Studie: In einem Scheinreferendum unterstützt immerhin eine Mehrheit der oben erwähnten Haushalte mit Öl- oder Gasheizung die Abgabe.

 

Was für die ForscherInnen als Feststellung bleibt: «Wenn die Personen, deren Verhalten mit einer Steuer beeinflusst werden soll, die Folgen dieser Steuer nicht kennen, ist es in der Tat sinnlos zu erwarten, dass die gewünschte Wirkung dieser Steuer sich am Ende auch wird beobachten lassen.» 72 Prozent der Teilnehmerinnen wünschten sich laut der Umfrage denn auch mehr Informationen zum wirtschaftspolitischen Instrument CO2-Steuer. 

Die Revision dieses Gesetzes – eigentlich für die Frühlingssession des eidgenössischen Parlamentes geplant – sah vor, eine überfällige Flugticketabgabe einzuführen. Nun hat Covid-19 den Wahlsiegern mindestens temporär einen Strich durch die Rechnung gemacht. Es bleibt also abzuwarten, ob eine solche Abgabe den reisewütigen Schweizer­Innen auch das Gesetz stärker ins Gedächtnis brennen würde. Sowieso zu hoffen ist, dass sich die privaten Haushalte ihrer privaten Hebel für eine gute Klimapolitik vermehrt bedienen werden. Denn wenn aus der gegenwärtigen Krise eine simple Lehre für die Klimapolitik gezogen werden kann, dürfte es die sein: Nicht zu handeln, ist keine Option.

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