- Kultur
Pragmatisch
Wenn das Meisenpaar das menschliche Unvermögen in Grosshöchstetten spitz kommentiert, halten die «Schön & Gut»-Programme jeweils kurz inne für eine tiefgründige Reflexion. Wenn jetzt Anna-Katharina Rickert für Stückentwicklung und Regie von «Wolf», dem ersten Soloprogramm von Matthias Kunz zeichnet, erhöht dies die Spannung. Und, soviel steht fest, Enttäuschung fühlt sich anders an. In einer strukturschwachen Randregion betreibt Franz Weniger die letzte Tankstelle und wundert sich über die Zeitläufte. Von seinen Besuchern wird er für einen Einfaltspinsel gehalten. Mit Landmaschinenkäppi und tief in den Taschen vergrabenen Händen erweckt er einen überaus trügerischen Eindruck. Seine Rolle mag einer Restanz aus der Vergangenheit gleichen, seine bescheidene, halbzufriedene Einschätzung der rund um ihn herum als Anzeichen von Stress lesbaren Veränderungen ist furztrocken pragmatisch. Thomi Hubacher, Typ breitbeinige Überholspur mit Labelpullöverchen über den Schultern, war als ehemaliger Schulkollege einst sein bester Kunde. Seit er in einem überdimensionierten Elektromobil geräuschlos heranrollen kann, schwelt seine ohnehin bereits aufgeplusterte Brust noch weiter. Seine täglichen Besuche mit dem Unterstützungskauf einer gedruckten Lokalzeitung hält der grosszügig über die eigenen Verhältnissen lebende vermeintliche Mann von Welt für Entwicklungshilfe. Ein Gesundheits- und Fitnessfreak joggt mit zur Fratze zusammengepressten Zähnen als Mahnmal vorüber und zischt sein Mantra einer ewigen Lebensangestrengtheit ungefragt über den Platz, ohne dabei die krampfhafte Zahnhaltung zu verändern. Der vierte im Bunde ist einer, der früher als Dorftrottel verschrien gewesen wäre. Noch immer fährt er eine amerikanische Benzinschleuder, die er aber wegen seiner klammen Verhältnisse nur für Ausnahmefahrten überhaupt vollzutanken vermag. Während das Benzin läuft, schaut er sich heimlich – und vor allem gratis – die Hefte im hintersten Regal an. Eine Figurenaufstellung wie ein Stammtisch der Durchchnittsgesellschaft, die von einer ungeahnt über sie hereinbrechenden Herausforderung des potenziell schnellen Gewinns aus ihrer je angestammten Trägheit aufgescheucht wird. Am wenigsten der Tankwart. Dazwischen sinniert der titelgebende «Wolf» in Reimen über das Wesen Mensch als solchen und kommt dabei zu schlagenden Schlüssen. Der Plan, Wölfe auf Vorrat eliminieren zu wollen etwa, erinnert ihn an die nun wirklich vollkommen unrealistische Vorstellung, Wirtschaftsstudierende schon zu verhaften, bevor sie Banker:innen werden können. Absurd, oder?
«Wolf», 27.9., Theater Ticino, Wädenswil.