Powercoders: Programmieren statt putzen!

Die «Coding Academy» Powercoders gibt IT-affinen Geflüchteten die Gelegenheit, an einem Programmier-Intensivkurs teilzunehmen und danach während mehreren Monaten ein Praktikum in einer IT-Firma zu absolvieren. Hannes Gassert ist dabei, Powercoders nach Zürich zu bringen, Rami Jumaah hat 2016 am ersten Powercoder-«Bootcamp» teilgenommen; im Gespräch mit Manuela Zeller erzählen sie vom Projekt.

 
 
Rami Jumaah und Hannes Gassert, erklären Sie doch kurz, wer Sie sind?
Rami Jumaah: Also ich bin 25 Jahre alt und komme aus dem Irak. Ich bin Ingenieur und habe beim Öl-Ministerium gearbeitet und nebenbei ein zweites Studium in Politikwissenschaften begonnen. Das konnte ich allerdings nicht abschliessen, weil ich 2015 den Irak verlassen musste. Ich durchquerte acht Länder und gelangte schliesslich in die Schweiz, genauer gesagt nach Altstetten ins Zentrum Juch. Danach wurde ich in den Kanton Schaffhausen transferiert und bekam schliesslich den B-Ausweis.

 
Hannes Gassert: Ich bin Unternehmer und baue Firmen und gemeinnützige Initiativen mit auf. Zum Beispiel die Crowdfunding-Plattform ‹Wemakeit›, oder ‹Liip›, eine Web- und Software-Firma mit inzwischen über 150 Angestellten in Zürich und vier weiteren Schweizer Städten. In Amerika würde man mich wohl trendy «Social Entrepreneur» nennen. Das heisst für mich, dass meine Projekte sinnvoll sein müssen, ich will Fortschritte auch in sozialen Belangen. Bei ‹Liip› etwa setzen wir seit langem auf umfassende Mitbestimmung, haben einen einmonatigen Vaterschaftsurlaub oder ermöglichen immer allen Teilzeitarbeit. Und natürlich machen wir nur IT-Projekte, hinter denen wir ethisch stehen können – entsprechend oft müssen wir nein sagen. Der soziale Aspekt ist uns also wichtig, und so hat es sich fast schon aufgedrängt, uns zu überlegen, wie wir qualifizierte Geflüchtete in die IT-Branche integrieren können – der Fachkräftemangel in unserer Branche ist ja eklatant, es fehlen bald zehntausende EntwicklerInnen.

 
 
Wieso mussten Sie den Irak verlassen, Herr Jumaah?
RJ: Mein Bruder wurde gekidnappt, bei uns in Kirkuk. Wir konnten ihn zwar wieder loskaufen, danach war ich allerdings nicht mehr sicher im Irak. Die Kidnapper forderten viel Geld von uns, ich bekam Todesdrohungen, und die Polizei vor Ort sagte mir, dass sie mich nicht schützen könne, ich müsse für mich selber schauen. Aber wie soll das gehen? So verliess ich den Irak überstürzt, ich konnte nicht einmal meinem Arbeitgeber Bescheid geben. Damals wusste ich noch nicht, dass ich in der Schweiz landen würde, ich wollte einfach weg, überleben.

 
 
Und wie haben Sie von Powercoders gehört?
RJ: Ich bekam den Tipp von einem Freund. Also habe ich mich beworben und wurde zum Bewerbungsgespräch eingeladen. Ich bin studierter Ingenieur, hatte von Softwareentwicklung allerdings keine Ahnung. Ich fragte schliesslich, ob ich denn auch googeln dürfe, um zu einer Lösung zu kommen – und das durfte ich, so gings!

 
HG: Uns ist es nicht besonders wichtig, wieviel Programmiererfahrung die Leute mitbringen. Programmieren bedeutet, Puzzles zu lösen, und wir suchen nach Leuten, die gut Puzzle lösen können, das formale oder exakt passende Vorwissen ist dabei nicht zentral.

 
 
Dann nehmen gar nicht nur IT-SpezialistInnen am Powercoder-Bootcamp teil?
RJ: Die TeilnehmerInnen in meiner Gruppe hatten ganz unterschiedliche Hintergründe. Es gab welche, die tatsächlich schon programmieren konnten, andere hatten vorher Jura studiert oder etwas ganz anderes gemacht. Wir waren alle zwischen Anfang Zwanzig und Mitte Dreissig.

 
HG: Es können sich auch talentierte Leute bewerben ohne IT-Erfahrung, welchen Status oder Ausweis sie haben, spielt ebenfalls keine Rolle. Gute Englischkenntnisse sind allerdings Bedingung, wir unterrichten auf Englisch.

 
 
Und wie waren die drei Monate Intensivkurs für Sie? Hört sich streng an, ohne Vorwissen programmieren zu lernen?
RJ: Streng wars schon, ja. Unter anderem auch, weil ich in Schaffhausen wohnte und für Powercoders nach Bern pendeln musste. Und natürlich hatte ich auch inhaltlich hin und wieder Schwierigkeiten, ich bekam aber immer viel Unterstützung. Mehr, als ich erwarten durfte. Nun mache ich ein Praktikum bei ‹Liip›, danach kann ich hier eine Lehre als Informatiker beginnen.

 
HG: «Way Up» nennt sich das, eine verkürzte, zweijährige Lehre, die man machen kann, wenn man bereits die Matura hat.

 
 
Klingt gut, aber noch einmal ganz von vorne zu beginnen – stört Sie das nicht? Sie haben immerhin ein Studium abgeschlossen und werden jetzt noch einmal Lehrling.
RJ: Schlimm finde ich das nicht, nein. Als ich beim Öl-Ministerium anfing, musste ich auch von Grund auf alles lernen, daran bin ich gewöhnt. Ausserdem habe ich Freunde, die ebenfalls einen Uni-Abschluss haben und in der Schweiz einen komplett unqualifizierten Job machen müssen: ein Freund von mir ist Doktor und putzt Velos. Da arbeite ich viel lieber in der IT-Branche. Es ist mir auch wichtig zu zeigen, dass ich es kann.

 
 
Und was sind die Herausforderungen für das Powercoders-Team?
HG: Wir unterstützen die TeilnehmerInnen bei den Verhandlungen mit den Behörden, dem Sozialamt zum Beispiel. Wir InitiantInnen sind Unternehmer­Innen, wir wussten vor Powercoders wenig über das Asylwesen. Die Regeln unterscheiden sich je nach Kanton und je nach Aufenthaltsstatus, insofern war der Umgang mit den lokalen Behörden eine der wichtigsten Herausforderungen für uns. Wir haben aber gemerkt, dass etwa die Sozial­ämter offen sind für Massnahmen, die klar und nützlich sind und dabei keine Mehrkosten verursachen. Deswegen unterstützen wir die Geflüchteten auch mit Bahnbillets, Verpflegung oder dem Laptop, der Kurs ist kostenlos.

 
 
Und wer hat unterrichtet?
HG: Wir hatten das letztes Jahr so organisiert, dass Freiwillige aus IT-Firmen jeweils während ein paar Tagen kamen und in ihrem Fachgebiet unterrichteten. Wir sind in der Branche gut vernetzt, und dank dem Berner Coworking-Space «Effinger» konnten wir das Programm in eine bereits bestehende Community engagierter junger Menschen einbetten. Der Lehrgang hat gut funktioniert, obwohl wir alle keine ausgebildeten KursleiterInnen waren. Allerdings werden wir für Powercoders Zürich nun ein bis zwei Personen anstellen, die während den drei Monaten durchgängig anwesend sind und schauen, dass aus den verschiedenen Beiträgen ein kompakter, gut strukturierter Kurs wird.

 
RJ: Ausserdem hatten wir in Bern alle einen Mentor oder eine Mentorin, in Zürich werden einige von uns Ehemaligen wiederum die neuen coachen.

 
 
Und nach drei Monaten Intensivkurs haben alle einen Praktikumsplatz gefunden?
HG: Ja genau. Das war interessant, am Schluss wurden alle Praktikumsplätze von den Firmen gestellt, wo die freiwilligen KursleiterInnen arbeiten. So geplant war das nicht, manche KursleiterInnen hatten extra frei genommen für das Bootcamp und unterrichteten als Privatpersonen. Und trotzdem kam es dann zu Kooperationen mit ihren Firmen.

 
 
Sind denn die Firmen nicht skeptisch, dass sich der Aufwand rechnet?
HG: Darum geht es den meisten nicht. Klar, wer eine strikte Kosten-Nutzen-Analyse macht, geht natürlich ein Risiko ein, wenn er einen Praktikumsplatz für Geflüchtete anbietet und jemanden ins Büro holt mit ganz anderer Vorbildung, ganz anderem Hintergrund. Es sind sich aber immer mehr CEO und CIO bewusst, dass sie in ihrer Position viel soziale Verantwortung tragen. Und sie sehen: Es kann nicht sein, dass so viel Potenzial einfach verschwendet wird. Andererseits ist es auch eine extrem gute Erfahrung für die anderen MitarbeiterInnen, jemanden im Team zu haben mit Fluchtgeschichte. Viele Leute kennen das Thema Flucht nur aus den Nachrichten. Und dann arbeiten sie plötzlich mit einem Geflüchteten zusammen, der kein Problem ist, sondern beim Probleme lösen hilft. Das verändert die Einstellungen zum Thema und macht plötzlich Engagement und Solidarität möglich, wo vorher nur schlimme Fernsehbilder in den Köpfen waren.

 
 
Wie finanzieren Sie die Bootcamps?
HG: Wir haben Sponsoren, in Bern waren das die Raiffeisen Bank, die Migros Aare und das Migros Kulturprozent, für das Programm in Zürich die Arcas Foundation, eine Stiftung für soziale Innovation. Der konventionelle Weg wäre wahrscheinlich, ein anerkanntes Integrationsprogramm auf die Beine zu stellen, das durch den Kanton finanziert würde. Das hätte gedauert, und für uns ist klar: Wir sind gut, wenn wir schnell sind und beweglich. In der Softwareentwicklung nennt man das Konzept «Agile Development»: Selbst wenn man einen Marathon laufen muss, unterteilt man die Strecke in kurze Sprints. So machen wir das auch beim Organisieren des Powercoder-Programms: Wir machen schnell vorwärts, lernen dabei unheimlich viel und passen den eingeschlagenen Kurs immer und immer wieder an.

 
 
Und bis jetzt kommen Sie ohne staatliche Unterstützung aus?
HG: Genau, wobei sich auch das durchaus ändern darf. Für den Moment müssen wir primär handeln, nicht verhandeln. Und hätten wir vorab um Erlaubnis gefragt, wäre das Projekt wohl heute noch nur ein Plan. Wir werden fürs Erste sicher weiter Erfahrungen sammeln und beweglich bleiben, aber Powercoders zu einem offiziellen, nationalen Programm werden zu lassen und es vielleicht sogar international zu skalieren, steht im Raum, wir führen viele Gespräche, die Möglichkeiten sind gross.

 
 
Sie denken also, das Modell hat Zukunft?
HG: Auf jeden Fall. Uns ist bewusst, dass unser Projekt nur wenigen und nur gut ausgebildeten Geflüchteten hilft, aber auch das muss getan werden – und es ist etwas, das wir hier und jetzt tun können.

 
RJ: Für mich hat Konzept sehr gut funktioniert. Ich kann im Sommer eine Lehre anfangen in einem Bereich, der mich interessiert. Ich kann am Vormittag einen Deutschkurs besuchen und erst um 12 Uhr anfangen zu arbeiten. Aber auch, was das Soziale betrifft, war das Programm wertvoll für mich. Die anderen TeilnehmerInnen und ich machen jetzt alle Praktika, wir sehen uns aber immer noch regelmässig, wir unternehmen einmal im Monat etwas gemeinsam, wir sind wie eine Familie geworden.

 
 
Was wäre die Alternative zu Po­wercoders gewesen?
RJ: Um in der Schweiz zu studieren, bräuchte ich Deutsch-Level C1, das würde bedeuten, dass ich zuerst noch etwa ein Jahr lang intensiv Deutsch lernen müsste. Ich habe das schon einmal eine Zeit lang probiert, ich hatte jeden Tag zwei Stunden Kurs und musste während dem Rest der Zeit zuhause selbstständig lernen. Die ganze Zeit alleine zuhause zu sein, das lag mir aber überhaupt nicht.

 
 
Was würden Sie Leuten raten, die gerne am Powercoders-Programm teilnehmen würden?
RJ: Sie können sich online bewerben unter www.powercoders.org. Es gibt ein Online-Formular mit ein paar Fragen, ausserdem kann man den CV heraufladen.

 
HG: Genau. Ihr werdet hier gebraucht, und mit eurem Können und eurer Motivation könnt ihr einen echten Unterschied machen. Und es gibt nichts besseres, als zusammen gute Arbeit zu leisten, um hier richtig anzukommen und dabei zu sein.

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.