«Die Post schneidet sich ins eigene Fleisch»

Gewerbeverein, Quartierverein, Gewerkschaft und Kirche: Sie alle rufen morgen Samstag zu einer Demo auf – und zwar gegen die drohende Schliessung der Poststelle Aussersihl. Über die Hintergründe gibt Martin Bühler, Regionalsekretär Branche Logistik der Gewerkschaft Syndicom, im Gespräch Auskunft.

 

Seit wann wissen Sie, dass die Poststelle Aussersihl geschlossen werden soll?
Martin Bühler: Offiziell wissen wir noch gar nichts. Eines unserer Mitglieder hat uns mitgeteilt, dass die Angestellten am 31. August über die geplante Schliessung informiert worden seien, aber lediglich informell und mündlich; es gibt kein Protokoll dieser Zusammenkunft. Damit hat diese Information noch nicht den offiziellen Status, aufgrund dessen auch die Gewerkschaft angerufen werden müsste.

 

Aber Sie haben etwas über die Gründe gehört, welche laut Post die Schliessung nahelegen?
Genannt werden die Einzahlungen am Schalter und das Briefvolumen, die beide stark abnähmen. Das stimmt wohl auch, ist aber nicht weiter erstaunlich: Vor wenigen Monaten wurde die Postfachanlage der Poststelle Aussersihl geschlossen. Den KundInnen beschied die Post, sie könnten in Wiedikon oder in der Sihlpost ein neues Postfach bekommen. Wer dies machte, erledigt seither logischerweise all seine Postgeschäfte am neuen Ort. Was die Post zudem nicht gerne sagt: Die Paketpost hat in letzter Zeit massiv zugenommen, auch in Aussersihl.

 

Laut dem Lokalblatt ‹Zürich West› vom 7. September bemüht sich die Post, im Quartier jemanden zu finden, der künftig eine Postagentur führen will: Ist letzteres der Grund dafür?
Darüber kann ich nur spekulieren. Aber ich werde auf jeden Fall misstrauisch, wenn es einerseits heisst, die Poststelle rentiere nicht mehr, und andererseits jemand gesucht wird, der sie in Form einer Postagentur übernehmen will: Auch ein bestehendes Geschäft muss von etwas leben und wird kaum in zusätzlichen Lagerraum und weitere Angestellte investieren, wenn nichts dabei herausschaut.

 

Es ist also gar nicht wahr, dass die Post Aussersihl nicht mehr rentiert?
Diese Poststelle rentiert – aber sie rentiert nicht so gut, wie sie in den Augen der Post sollte. Das ist der Punkt. Kommt hinzu, dass das Haus an der Molkenstrasse, in dem sich die Poststelle befindet, der Post gehört. Das Haus könnte langsam eine Renovation vertragen, doch eine solche kostet Geld. Für die Post wäre es deshalb einfacher, das Haus zu verkaufen; das würde Geld bringen, und ums Sanieren könnte sich jemand anders kümmern: Laut dem Gewerbeverband haben sich die Immobilienpreise rund um den Helvetiaplatz in den letzten Jahren verdreifacht bis vervierfacht, und selbst wer vor weniger als zehn Jahren in der Gegend etwas gekauft hat, kann es heute offensichtlich gewinnbringend verkaufen.

 

Der Verkauf des Firmensitzes ist doch etwas für Unternehmen, die kurz vor dem Konkurs stehen: Hat die Post das wirklich nötig?
Die Post schreibt nach wie vor Millionengewinne, und sie ist nach wie vor ein Unternehmen, das der öffentlichen Hand gehört. Umso unverständlicher finde ich es, wenn sich die Post für die Gewinnmaximierung entscheidet, anstatt Service public zu bieten, wie es ihre Aufgabe ist.

Zumal es anlässlich der Schliessung der Fraumünsterpost hiess, die ‹nahe gelegene› Poststelle Aussersihl bleibe ja erhalten. Als dort vor wenigen Monaten die Postfächer stillgelegt wurden, hiess es, es sei nur die Postfachhalle betroffen, die Poststelle bleibe erhalten. Nun heisst es, die Poststelle gehe zwar zu, aber die Poststellen Wiedikon und Sihlpost seien ja bloss einen Katzensprung entfernt…

Ist man einmal in dieser Logik drin, kann sich die Spirale munter weiterdrehen: Hat man vier Postfilialen, dann ist immer eine diejenige, die am wenigsten rentiert. Also macht man die dicht. Dann sinds noch drei, und von denen gibt es wiederum eine, die am wenigsten rentiert… und so weiter, bis es gar keine Poststellen mehr gibt.

 

Das ist trotz allem unrealistisch, oder?
Wie mans nimmt: Die Post behauptet zwar, es gebe in der ganzen Schweiz noch 2400 Poststellen, mithin ein dichtes Netz. Schaut man genau hin, präsentiert sich die Lage wie folgt: Es gibt 800 Postagenturen, 200 Pickpoststellen, 300 Poststellen mit reduziertem Angebot – und ganze 1100 vollwertige Poststellen. Sogar wenn man die 2400 Poststellen zum Nennwert nimmt, hat es in der Schweiz immer noch mehr Velohändler als Postfilialen – und ein neues Velo beziehungsweise eine Veloreparatur braucht man beim besten Willen auch nicht jeden Tag. Zudem ist die Post längst nicht mehr überall Monopolistin: Die Gewerbetreibenden im Zürcher Kreis 4 etwa könnten ihre Zahlungen auch über eine Bank abwickeln und für Pakete einen Kurierdienst engagieren.

 

Wie viele Mitarbeitende müssten bei einer Schliessung der Poststelle Aussersihl versetzt werden beziehungsweise würden ihre Stelle verlieren?
Es wären neun Mitarbeitende betroffen. Bis anhin war es bei Schliessungen stets so, dass die Post die Weiterbeschäftigung in einer anderen Filiale anbot. Im aktuellen Fall war davon allerdings noch nichts zu hören. Würde es dabei bleiben, sprich würde die Post die Leute ohne ein Angebot auf die Strasse stellen, wäre das eine neue, uns noch nie begegnete Vorgehensweise.

 

Wären davon auch ältere Mitarbeitende betroffen?
Da wir noch nicht offiziell informiert wurden, kann ich dazu keine konkreten Angaben machen. Fest steht aber: Gemäss Gesamtarbeitsvertrag (GAV) ist die Post bei Mitarbeitenden, die über 55 Jahre alt und länger als 20 Jahre bei der Post angestellt sind, verpflichtet, Angebote zur Weiterbeschäftigung zu machen. Wer jedoch beispielsweise erst 53 Jahre alt ist und dort die Monopol-Ausbildung gemacht hat – oder gar nur eine Anlehre –, der oder die hätte im Fall einer Entlassung schlechte Karten: In diesem Alter und mit lediglich einem Zeugnis eine neue Stelle zu finden, ist schwierig.

 

Sind PöstlerInnen mit Monopol-Lehre nicht die Ausnahme?
Früher war das die typische Ausbildung, wenn man bei der Post arbeiten wollte, und es sind noch längst nicht alle Mitarbeitenden mit diesem Hintergrund pensioniert. Dass bei ihnen die Unsicherheit und die Existenzängste gross sind, wenn von drohenden Schliessungen die Rede ist, lässt sich auch mittels eines Blicks aufs Finanzielle illustrieren: Wer 50 Jahre alt und seit mindestens 20 Jahren bei der Post ist, verdient rund 6000 Franken brutto pro Monat, und zwar 13 Mal pro Jahr. Das ist nicht alle Welt, aber ein anständiges Salär. Wer heute neu anfängt, kommt auf 13 Monatsgehälter à 4650 Franken brutto – nicht viel mehr als Detailhandelsangestellte bei Lidl, die mit Ausbildung 4350 Franken brutto verdienen und ohne Ausbildung 4200 brutto.

 

Heisst das, dass die Postangestellten einfach zu teuer geworden sind?
Der obige Vergleich mit ‹gewöhnlichen› Detailhandelsangestellten zeigt, dass die Post zurzeit noch eher mehr zahlt als im Verkauf üblich. Nur: Während Jahrzehnten hat die Post spezielle Dienstleistungen angeboten wie etwa den Zahlungsverkehr, den die Mehrheit der KundInnen unterdessen selbstständig via Internet abwickelt. Diese Spezialisierung hatte einen höheren Lohn gerechtfertigt: Die Mitarbeitenden trugen Verantwortung, sie waren Vertrauenspersonen, und es gab denn auch in all den Jahren sehr selten interne Diebstähle.

Wenn immer mehr Poststellen geschlossen und stattdessen Agenturen geöffnet werden, dann hat diese Entwicklung früher oder später auch Auswirkungen aufs Lohngefüge. Denn für Agenturen gilt der Post-GAV nicht: Wie die einzelne Agentur ihre Angestellten entlöhnt, braucht die Post nicht zu kümmern. Aus gewerkschaftlicher Sicht ist das stossend. Wir finden, dass die Post weiterhin für die Einhaltung des GAV sorgen müsste, genau wie auf dem Bau jeder Unternehmer dafür verantwortlich ist, dass sein Subunternehmer keine Leute zu Dumpinglöhnen beschäftigt.

 

Die Post aber kümmert das nicht, sie macht lieber aus PöstlerInnen ‹gewöhnliche› VerkäuferInnen?
So sieht es zumindest aus – es sei denn, die Post lässt sich etwas einfallen. In Bern beispielsweise kam vonseiten der Geschäfte im neuen Einkaufszentrum «Welle» beim Hauptbahnhof die Idee eines Raumes mit Umkleidekabinen, wo die Leute ihre Pakete von Zalando öffnen, die Kleider anprobieren und, falls etwas nicht passt, das entsprechende Teil gleich wieder verpacken und retournieren können. In der geschlossenen Postfächeranlage in Aussersihl könnte die Post ein solches Angebot leicht einrichten. Es gäbe durchaus Alternativen, mit denen die Post neue Kunden an sich binden könnte. Ideen, die besser sind, als im Postshop Rasenmäher zu verkaufen.

 

Die Post ist schlicht zu faul, sich Gedanken zu machen, und schliesst lieber kurzerhand Poststellen?
Zu schliessen, was zu wenig rentiert, ist tatsächlich die einfachste Art von Management; es braucht am wenigsten Hirnschmalz. Indem jedoch immer mehr Poststellen geschlossen werden, ist die Post gegen aussen immer weniger sichtbar. Die Leute gewöhnen sich daran, fürs Finanzielle zur Bank und für Päckli zum Kurier zu gehen.

Oder anders gesagt: Die Post schneidet sich mit ihrer aktuellen Politik ins eigene Fleisch. Sie sabotiert ihre eigene Sichtbarkeit und Attraktivität als Dienstleisterin, und sie betreibt diese Kannibalisierung ihrer selbst bald auf allen Ebenen: Drucksachen verteilen Presto und Quickmail, Pakete werden an private Kurierdienste ausgelagert – es droht die absolute Deregulierung. Wenn demnächst Leute, die sich bereits via Uber als Taxichauffeure betätigen, auch noch ein paar Päckli für die Post austragen, würde mich das jedenfalls nicht erstaunen. Dagegen kämpft Syndicom an.

 

Angenommen, die Gewerkschaft wird demnächst offiziell über die Schliessung der Poststelle Aussersihl informiert: Welches sind dann die nächsten Schritte?
Laut GAV muss die Post allen Betroffenen einen Sozialplan anbieten. Damit ist leider eine Weiterbeschäftigung nicht garantiert, aber immerhin beinhaltet das Vorgehen, dass die Post sich während zweier Jahre ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe einer Poststellen­schliessung um die Betroffenen kümmert und sie zum Beispiel bei der Stellensuche unterstützt.
In letzter Zeit stellen wir allerdings fest, dass die Post Schliessungen immer früher ankündigt, so dass die zwei Jahre jeweils praktisch um sind, bis die Poststelle ihre Tür für immer zumacht. Das mag zwar rein rechtlich gesehen korrekt sein, doch es unterläuft nichtsdestotrotz die Idee des Sozialplans. Denn während man noch seiner angestammten Arbeit nachgeht, hat man nun mal weder die Zeit noch den freien Kopf, um sich ernsthaft darum zu kümmern, wie es weitergehen soll.

 

Die öffentliche Reaktion auf die drohende Schliessung ist die Demo von morgen. Hand aufs Herz: Dass sich die Post dadurch von ihrem Beschluss abbringen lässt, ist doch illusorisch.
Das sehe ich nicht so: In der Stadt St. Gallen haben wir beispielsweise erreicht, dass die Post, die ursprünglich mehrere Filialen aufs Mal schliessen wollte, einige davon bestehen liess. Hier in Zürich ist die Demo von morgen nicht die einzige Massnahme: Wir haben eine Petition lanciert, die man an der Demo unterschreiben kann. Die Petition richtet sich an den Stadtrat, denn dessen Meinung zu geplanten Schliessungen muss die Post von Gesetzes wegen einholen. Stellt sich der Stadtrat dezidiert genug gegen die Pläne der Post, überlegt sie es sich hoffentlich nochmals.

 

Aber ein Vetorecht hat der Stadtrat nicht.
Stimmt, die Post darf sich über seine Meinung hinwegsetzen. Aber eine Petition mit vielen Unterschriften und eine dezidierte Haltung des Stadtrats zusammen können durchaus etwas bewirken.

 

 

Morgen Samstag, 8. Oktober findet eine Demo gegen die Schliessung der Poststelle Aussersihl statt. Das Motto lautet, «Poststelle Aussersihl muss bleiben!». Treffpunkt ist um 11 Uhr auf dem Helvetiaplatz.
Der Aufruf zur Demo kommt von ‹tout Aussersihl›: Quartierbewohnende, der Quartierverein Aussersihl-Hard, der Gewerbeverein Zürich Vier, diverse weitere Institutionen sowie politische Parteien von der SVP bis zur AL setzen sich für den Erhalt der Poststelle und der Arbeitsplätze ein.

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