Politwelt im Ausnahmezustand

Ein Rücktritt aus dem Stadtrat, die Ergebnisse einer Administrativuntersuchung der Stadtwerke: Die Winterthurer Politwelt ist im Ausnahmezustand. Die SP hingegen kann relativ gelassen agieren.

 

von Matthias Erzinger

 

Noch vor zwei Wochen entlastete der Bezirksrat den Winterthurer Stadtrat Matthias Gfeller (Grüne) vom Vorwurf der Fehlinformation. Nun hat er trotzdem seinen Rücktritt angekündigt. Tags darauf wurden die Ergebnisse einer Administrativuntersuchung über das Finanzgebaren der Winterthurer Stadtwerke im Zusammenhang mit der Wärmering AG in Frauenfeld veröffentlicht. Fazit: Da lief einiges schief. Klar wurde aber auch: Thurgauer Zeitungen liest in Winterthur niemand. Sonst wäre schon lange bekannt gewesen, dass die Frauenfelder Wärmering AG finanzielle Probleme hat. Die ‹Thurgauer Zeitung› schrieb schon längere Zeit dazu. In Winterthur aber konnten der Direktor von Stadtwerk und sein Finanzchef diese Verluste verschleiern, ohne dass nachgefragt wurde. Matthias Gfeller, seit 2006 Stadtrat und Vorsteher der Werke, lies sich ebenfalls einlullen. Und später liess er die Stadtwerke gewähren, um das Ganze wieder ins Lot zu bringen, ohne den Gesamtstadtrat zu informieren.

Vom Vorwurf der gezielten Fehlinformation wurde Gfeller entlastet, die politische Verantwortung für die Eigendynamik der Stadtwerke konnte er nicht ablegen. Verbunden mit glaubwürdig dargelegten gesundheitlichen Problemen war dies zuviel und so erklärte er am Montag seinen Rücktritt auf das kommende Frühjahr. Obwohl Mitglied der Grünen, verkörperte Gfeller inhaltlich mehr den Typ des Grünliberalen. Sein Amt leitete er entsprechend und unterstützte die Stadtwerke und ihre Expansionsstrategie im Bereich Energiecontracting. Nun wurde ihm das Vertrauen in seine Kaderleute zum Verhängnis.

 

Privatisierung vom Tisch

Seit langem schon fordern die ‹Wirtschaftsvertreter› im Gemeinderat die Privatisierung der Stadtwerke. Ein erster Anlauf scheiterte jedoch schon vor Jahren … Trotzdem wurden SVPFDPCVP nicht müde, über die Beamtenkultur, fehlendes Marktbewusstsein etc. bei den Stadtwerken zu klagen. Mit der Administrativuntersuchung zur Wärmering-Affäre wurde klar, dass weder die Kontrolle durch die Politik funktionierte, dass aber auch unabhängig davon zu wenig klare Regeln u.a. für die Einsitznahme von städtischen Angestellten in Verwaltungsräte privater Firmen fehlen. Die Kaderleute nahmen sich die Worte der Wirtschaftsparlamentarier zu Herzen und versuchten, unternehmerisch zu agieren. Dezidiert wurde im Bericht zur Affäre festgehalten, dass ihnen keine Bereicherung oder strafrechtlich relevanten Vorwürfe gemacht werden. Aber sie begingen Kompetenzüberschreitungen und vertuschten diese. Indem die SVPFDPCVP-Allianz die Affäre benützte, um an Gfellers Sitz zu sägen, haben sie gleichzeitig ein weiteres ihrer Lieblingsprojekte in den Sand gesetzt. Auch wenn Stadtpräsident Michael Künzle bei der Präsentation der Massnahmen verkündete, schon 2018 das Projekt Privatisierung der Stadtwerke wieder anzugehen, ist klar, dass auf absehbare Zeit der Wind in die andere Richtung weht. Als Folge der Affäre werden eine ganze Reihe von neuen Regeln und Kontrollmechanismen eingeführt.

 

Überraschend ähnliche Reaktionen

Der am Wochenende bekannt gewordene Rücktritt Gfellers, die Veröffentlichung der Ergebnisse der Administrativuntersuchung hat die Winterthurer Politwelt in den Ausnahmezustand versetzt. Bevor Gfeller noch seinen Rücktritt effektiv bekanntgeben konnte, wurden die ersten Stellungnahmen publiziert. Überraschend ähnlich waren die Reaktionen von GLP, Grünen und SP: Primär stehe die Sicherung des Sitzes auf der Seite des «fortschrittlichen Lagers» im Vordergrund. Man werde mit möglichen Kandidatinnen und Kandidaten, aber auch den anderen Parteien das Gespräch suchen. Durch die Medienwelt angeheizt rechnen (fast) alle mit einer SVP-Kandidatur in der Person von Nationalrätin Natalie Rickli. Ob sie allerdings ihren ‹nationalen Status› und das für ihren Arbeitgeber wichtige Mandat zugunsten eines Sitzes in der Winterthurer Stadtregierung eintauschen will? Ein Doppelmandat wäre schwierig zu vermitteln. Auch wäre eine 5er- Vertretung auf der rechten Seite sogar mit Rickli schwierig zu erreichen. Ihre Chance basiert nur auf einer Zersplitterung in der Mitte und Links. Wenn sich Grüne und SP, allenfalls im Verbund mit der GLP einigen, wird es für die SVP unmöglich, den Sitz zu erobern, da sich wohl die FDP kaum gross engagieren wird.

Ob eine Zusammenarbeit von GLP und SP überhaupt möglich ist, ist aber ungewiss, waren die Grünliberalen doch in den letzten Jahren fest in die wirtschaftsdominierte Spar­allianz eingebunden. Für beide Parteien wäre es ein grosser Schritt zur Zusammenarbeit. Klar ist aber: Die SP kann relativ ruhig an die Sache gehen. Denn ohne ihre Unterstützung hat niemand aus dem Mitte-Links-Lager eine Chance.

 

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