Politik als Alternative
Oswald Sigg, der ehemalige Bundeskanzler, ärgerte sich jüngst über Zweierlei: Über das knappe Scheitern der Mikrosteuerinitiative wegen der Unterschriftensammlung-Behinderung durch Corona und wegen der Praxis der grossen Parteien und Verbände, das Mittel der Initiative immer mehr einzusetzen. Corona ist Schicksal, mit dem Vorwurf der Initiatitis trifft er einen wunden Punkt. Übertrieben gesagt: Stehen Wahlen an, steht bei vielen eine Initiative an, ob man nun eine neue Idee hat oder eher nicht. Initiativen und mitunter auch Referenden dienen auch den grossen Parteien je länger je mehr der Eigenprofilierung und weniger einer neuen Idee.
Ein Paradebeispiel dafür ist das Referendum der SVP zum Einbürgerungsgesetz im Kanton Zürich. Ob das Gesetz bei der Abstimmung angenommen oder abgelehnt wird, spielt inhaltlich eine sehr marginale Rolle. Die kantonale Abstimmung bietet der SVP die Gelegenheit, sich als ‹harte› Verteidiger des Schweizer Bürgerrechts zu präsentieren und damit ihr Thema zu bearbeiten, auch wenn es nichts zu bearbeiten gibt.
Trotzdem: Bei den Referenden betrachte ich den Missbrauch, die Bequemlichkeit und die Fantasielosigkeit als geringer als bei den Initiativen. Referenden sind ein relativ wirksames Mittel, um politisch die Muskeln spielen zu lassen, sich eine günstige Ausgangslage zu schaffen. Beispiel: Im nächsten Februar stimmen wir über die Stempelsteuer ab, weil die SP und andere das Referendum ergriffen. Ob sich für diesen Verzicht allein eine Abstimmung lohnt, darüber kann man sich streiten. Nur steht diese Abschaffung in einer Reihe von weiter geplanten Steuervergünstigungen an Gutverdienende, Vermögende und Unternehmen. Gelingt im Februar ein Nein – und das ist bei einem Referendum gut möglich – verbleiben nicht nur gut 200 Millionen Franken jährlich beim Bund, sondern wird die Verhandlungsposition der Linken für kommende Finanzauseinandersetzungen gestärkt. Letzteres gilt sogar, wenn die Abstimmung knapp verloren geht. Wobei, diese Stärkung betrifft vor allem die Position in den Räten. Dass die SP bei den Wahlen damit aus ihrem Tief herauskommen könnte, glaube ich weniger. Trotzdem: Sich mit einem Referendum gegen ein Diktat zu wehren, gehört zum politischen Handwerk.
Das Jahr 2021 ist für die linke, grüne und fortschrittliche Schweiz durch zwei krachende Niederlagen geprägt: Durch das Nein zu den CO2-Gesetzen und den Abbruch der Verhandlungen über ein Rahmenabkommen mit der EU. Beide Niederlagen (auch wenn ein Teil der Linken den Bruch mit der EU eher als Erfolg sieht) sind mitverschuldet. Während bei der EU vor allem die SP sündigte, tragen die Grünen die Hauptschuld am CO2-Nein. Sie konnten zwar nichts dafür, dass die beiden Agrarinitiativen am gleichen Sonntag zur Abstimmung kamen, aber sehr wohl für die dazugehörenden Kampagnen. Die beiden inhaltlich schludrigen Agrarinitiativen schafften es, die Bauern (inklusive die Bioabteilung) derart zu verärgern, dass sie sich massiv wehrten. Die Covid-Abstimmung vom vorletzten Sonntag gilt als eine der härtesten Abstimmungen, die das Land spaltet. Im Vergleich zu den Agrarinitiativen war etwa in Appenzell die Covid-Abstimmung ein Lüftchen. Bei den Agrarinitiativen wehrte sich eine Bevölkerung geschlossen. Die Köpfe der grünen Prominenz warben für diese Initiative und auch noch ein Bisschen für das CO2-Gesetz. Was in der Stimmung höchstens ein Grund war, auch hier Nein zu sagen. Selten wurde so eindrucksvoll demonstriert, wie Initiativen das Gegenteil vom Erwünschten bewirken können.
Was machen die Grünen jetzt? Eine neue Initiative. Und dies erst noch in einem sinnlosen Wettbewerb mit der SP, die ihrerseits auch noch an einer Initiative für einen umweltgerechten Finanzplatz werkelt. Und damit bei der Klimabewegung aufspringen will, statt sie machen zu lassen. Der Inhalt der Initiativen der Grünen und der SP für ein Impulsprogramm mag inhaltlich sinnvoll sein, aber das Klima ist mehr als eine Profilierungsmöglichkeit vor den Wahlen.
Eine Initiative ist chancenlos, wenn sie zuspitzt oder so allgemein ist, dass bei einem Ja eine Lösung im Parlament gesucht werden muss. Also warum nicht gleich? Ein beachtlicher Teil der bürgerlichen Parteimitglieder und jener der Mitte wissen auch, dass es nach dem Nein zum CO2-Gesetz eine Lösung braucht, und die Resultate im Kanton Zürich zeigen auch Möglichkeiten zur Lösung. Also bitte, ran an die Säcke einer parlamentarischen Lösungssuche und weg von der Bequemlichkeit der Profilierung einer nur Zeit verschwendenden Initiative.
Die ‹Operation Libero› denkt an eine Initiative zur EU. Ihre Sache. Eine Beitrittsinitiative gäbe inhaltlich Sinn, ist aber chancenlos. Eine Initiative zur Wiederaufnahme der Verhandlungen betrachte ich als Unsinn. Das eventuelle Mitmachen der Grünen und der SP beinahe als Witz. Vor allem, wenn dann in der Initiative noch so etwas wie rote Linien gesetzt werden, um mitzumachen.
Ich mag nicht mehr viel dazu schreiben. Nur ganz banal: Die EU ist ein bestehender Verein, bei dem die Schweiz auch etwas mitmachen möchte. Aber einen Schiedsrichter, der Fouls abpfeift, akzeptieren wir nicht. Wir wollen auch unsere eigenen Arbeitsregeln, etc. Wie soll der Bundesrat – auch wenn er willens ist – so sinnvoll verhandeln? Wo es gar nicht so viel zu verhandeln gibt. Wir können in der EU mitmachen oder nicht. Weil sie uns ganz gerne dabei hätte, bot sie im Rahmenvertrag auch Konzessionen. Möglicherweise gehen die Konzessionen in einer weiteren Verhandlungsrunde etwas weiter, aber im Kern kaum. Daran ändert eine Initiative nichts. C’est à prendre ou à laisser. Tut mir leid, dass es wohl so simpel ist.
Geht es um Wahlen, kann die SP der Stadt Zürich auf eine Initiative nicht verzichten. Diesmal sollen es sogar drei sein. Alle im Bereich des Wohnens. Der Inhalt ist durchaus diskutierbar, die Illusion allerdings gross. Man will sozusagen mit einer Knallbombe selbstgesteckte, eher unerreichbare Ziele doch noch packen und vergisst dabei einen zentralen Mechanismus: Dem vielen Anlagen suchenden Geld der Immobiliengesellschaften und Pensionskassen stehen auch viele Doppelverdiener gegenüber, die sich teure Wohnungen leisten können. Da nützen ein paar Hundert Millionen dagegen nicht so viel.
Aber fast noch wichtiger: Warum soll ich, bitte schön, SP-StadträtInnen und SP-GemeinderätInnen wählen, wenn sich die Partei trotz Mehrheiten gezwungen sieht, die Änderungen mit Initiativen zu erzwingen? Oder sind die Initiativen einfach ein Wahlgag?
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