Pionierinnen

Ich weiss jetzt schon, wie das ausgeht. Und trotzdem bin ich voller Vorfreude. Auf langes Ausschlafen, Spaziergänge, Ruhe, Erholung, Raclette, Geschenke, Weihnachtsfilme, viel frische Luft, und hie und da würde ich, ganz entspannt, ein, zwei Pendenzen abarbeiten, die übers Jahr so liegen geblieben sind, während ich mir Gedanken zu wenigen, aber qualitativ hochstehenden Vorsätzen mache. Ganze zwei Wochen lang. Aber ich weiss, wie das ausgeht, ich werde am Montag, 6. Januar, wieder genau hier in diesem Büro sitzen, in dem ich jetzt gerade diese Zeilen schreibe. Ich werde unfassbar müde sein, aufgedunsen von zuviel schwerem Essen mit zuviel schwerem Wein, kombiniert mit viel zu wenig Schlaf, die bereits umfassend nicht umgesetzten Vorsätze wie schreiende Affen auf meinen schweren Schultern, und ich werde mich fragen, wie ich jemals ernsthaft hoffen konnte, die Festtage mit kleinen Kindern und unzähligen Weihnachtsfeiern bei unzähligen Verwandten könnten in irgendeiner Form so etwas wie Erholung bedeuten. Enttäuscht werde ich mich fragen, warum ich auf ein Wunder gehofft hatte.

 

Jetzt ist es so, dass dieses Gefühl der enttäuschten Hoffnung Anfang Jahr einmalig zu verkraften wäre. Aber das vergangene war bereits so übervoll davon, dass ich nicht weiss, wieviel mehr noch drinliegt.

 

Ihr wisst, was ich meine. So Klimastreiks weltweit, Hoffnung, zägg Madrid. So viele Junge auf der Strasse, Hoffnung, zägg waren sie dann doch nicht an der Urne. Die grüne Welle, die in den neu gewählten Parlamenten nicht recht rollen will. Und da war doch noch der Frauenstreik. Hoffnung, zägg, dann ist da diese eine Freundin, der eine Professur angeboten wurde, die sie ablehnte. Nach langem Ringen. Sie sage Nein, weil die 100%-Stelle in der akademischen Welt eigentlich eine 200%-Stelle ist. Sie hat kleine Kinder. Sie weiss, sie ist überzeugt, die Arbeit wäre auch in weitaus weniger Stunden zu machen, aber alle dort arbeiten grundsätzlich und aus Prinzip mehr. Hätte sie die Professur angenommen und gesagt, das geht auch anders, hätte sie nicht einfach einen neuen Job gehabt, wäre sie nicht einfach Professorin geworden, sondern sie hätte gleich auch noch Pionierin sein müssen. Wie die Freundin, die sich für ein Exekutivamt beworben hatte. Sie zog sich wieder zurück. Wegen ihrem kleinen Kind. Alle Mitglieder der Exekutive arbeiten deutlich mehr als 100 Prozent. Es wäre auch anders denkbar. Sie wusste das, sie war überzeugt. Hätte sie es versucht, wäre sie nicht einfach Politikerin geworden, sie hätte gleich auch noch Pionierin werden müssen.

 

Und Pionierinnen tragen eine schwere Last. Wenn sie nämlich scheitern, dann scheitern sie nicht einfach für sich selbst, wie wir alle das immer wieder tun, sie scheitern gleich für die Sache, für die Sache der Frau. Auch dann, wenn sie ein Arbeitsmodell ausprobieren, das für die ganze Gesellschaft wichtig wäre und längst, längst nicht nur für Frauen!

 

Solange das so ist, stelle ich fest, solange immer die Frauen auch gleich noch die Umstände selber schaffen und herbeiführen sollen, unter denen Arbeit, Familie, Politik und anderes überhaupt gemeinsam denkbar und möglich ist, solange sie immer die Ersten sein müssen, um zu beweisen, dass es auch anders geht, solange hoffen wir auf ein Wunder, das dann in der Regel doch nicht eintritt.

 

Soll ich es jetzt trotzdem tun? Auf ein gutes, neues Jahr hoffen, das voller Wunder ist? Ich tu’s. Ja, ich tu’s.

 

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