Pinsel und Farbe reichen nicht aus, um Künstlerinnen sichtbar zu machen

Im Neubau Kunsthaus Zürich sind von 350 Arbeiten 26 von Frauen zu sehen – warum sind Künstlerinnen unterrepräsentiert? Dieser und weiteren Fragen stellten sich die PodiumsdiskussionsteilnehmerInnen am Dienstagabend im Debattierhaus Karla die Grosse.

 

Natali Abou Najem 

Einsicht in die Missstände in der Kunstszene am Dienstagabend bot eine Studie der Universität Basel und der Kunst- und Kulturstiftung Pro Helvetia. Das vorgestellte Forschungsprojekt wurde von Diana Baumgartner von der Universität Basel präsentiert und die Ergebnisse sprachen für sich: Die Geschlechterverhältnisse im Schweizer Kulturbetrieb sind prekär, zumal die strategische Leitung der Kunst- und Kulturhäuser mehrheitlich bei den Männern liegt. Wie dies im Zusammenhang steht, dass in den grössten Kunstmuseen viel mehr Männer als Frauen präsentieren – lediglich 15 Prozent Einzelausstellungen von Frauen wurden im Kunsthaus Zürich im Jahre 2019 verzeichnet – beantwortete die Studie nicht. 

Die Diskussion setzte gerade an diesem Punkt an: Madeleine Schuppli, Leiterin Visuelle Künste bei Pro Helvetia äusserte, dass die Frauenförderung über die Museumsdirektion einfacher betrieben kann: «Es ist einfacher, wenn man gezielt Künstlerinnen einladen kann. Bei historischen Ausstellungen gestaltet sich das etwas schwieriger, weil es da weniger Frauen gibt.» Barbara Basting, Leiterin Bildende Kunst der Stadt Zürich, ergänzte: «Die Frage ist wiederum, wer sind die Entscheider? Zu sehr grossen Teilen sind das die Männer.» Diese Aussage korreliert mit den Erkenntnissen der Studie, dass die grossen Museen und Ausstellungshäuser seltener von Frauen geleitet werden, während die kleinen Institutionen durchaus von Frauen besetzt sind und auch geschlechterausgleichend ausstellen. Kunsthistorikerin und Kuratorin Bettina Meier-Bickel sah Aufholbedarf in der historischen Aufarbeitung, da grosse Kunsthäuser öfters historische Ausstellungen bieten: «Viele wichtige Frauen wurden von Männern verdrängt, was nicht heisst, dass es nicht wichtige historische Frauen gab: Das Museo del Prado in Madrid hat seine Sammlung vorbildlich auf Herz und Nieren geprüft.»

Einen weiteren wichtigen Einblick bot die vorgestellte Studie: Die qualitative These, dass KünstlerInnen einen spezifischen Habitus ausbilden müssen, um sich in diesem Feld zu positionieren. Der spezifische Habitus meint hier den alten Stereotyp des Genies in allen Sparten: Der autonome Autor, der geniale männliche Instrumentalist, der von Visionen getriebene Künstler. Baumgartner erklärte die These: «Damit Frauen als kreativ anerkannt werden, müssen sie sich der männlichen Norm anpassen, aber nicht zu männlich werden. Das Kunstfeld unterscheidet sich hier nicht, von anderen Feldern der Erwerbsarbeit.» Das Stereotyp des Genies erlaubt es also nicht Mutter und Künstlerin zu sein. Die einzig anwesende Künstlerin Shirana Shahbazi, die Mutter von zwei Töchtern ist, bestätigt dieses Bild: «Zu Wettbewerben, die meistens einem Zeitdruck unterliegen, wird man als Mutter seltener eingeladen. Wir können uns nicht 30 Tage einsperren – nicht, wenn man ein Elternteil ist und zwei Kinder hat, dann noch Ferien sind und ein Kind eine Lungenentzündung hat.» Schuppli verweist auf die verschiedenen Ansätze von Pro Helvetia hin: «Deswegen bauten wir Auslandsateliers ab und versuchen hier flexible Ateliers zu finden, die anpassungsfähig auf die Bedürfnisse von Eltern sind.»

 

Quotenkünstlerin?

Eine weitere Erkenntnis lieferte die zu Beginn präsentierte Studie: Die Kunst folgt immer auch gesellschaftlichen Transformationen. Die Debatten zu Geschlechterverhältnissen, Diversität und die Suche nach alternativen und queeren Konzepten werden jedoch vor allem von selbstorganisierten Kunsträumen getragen. Baumgartner verwies dabei auf grosse Häuser: «Sie könnten hier deutlicher Position beziehen.» Basting erklärte daraufhin, warum das nicht auf Anhieb passieren kann: «Alte Kulturinstitutionen sind Vereine. Die Entscheidung liegt nicht bei Kulturförderern, die zwar mitwirken können. Es hängt viel mehr von der Organisationsform ab und wer in den Vereinen ist. Man muss an der Stelle ansetzen, wo die Hebel für die Ermächtigung sind.» Roger Fayet, Direktor des Schweizerischen Instituts der Kunstwissenschaft ergänzte aus wissenschaftlicher Perspektive: «Es ist ganz klar über Jahrhunderte hinweg kein Thema gewesen, sodass kein Bewusstsein für die Frage der Gleichstellung vorhanden war.» Er ergänzte seine Aussage, dass in den letzten Jahren eben dieses Bewusstsein in den Vordergrund gerückt sei, hier stelle sich die Frage, ob eine Quote sinnvoll wäre. Shahbazi als anwesende Künstlerin fügte ein, dass ihr der Begriff Quotenfrau egal sei: «Im Gegenteil – ich wäre gerne Quotenfrau! Nein ja, ich bin für die Einführung einer 100 Prozentquote.» Meier-Bickel stimmte Shahbazi zu: «Ich denke, es braucht jetzt Radikalität. Es gab Jahre, in denen nichts verändert wurde. Es wäre an der Zeit für ein klares Statement. Im Baltimore Museum of Arts wurden ein Jahr lang nur Frauen ausgestellt, ein Jahr davor KünstlerInnen aus verschiedenen Ländern. Solche Aktionen setzen Statements.» Auch Madeleine Schuppli stimmte dieser Idee mit einem Aber zu: «Ich bin nicht für etablierte langfristige Quoten, sondern für die Intervention. Mit einer solchen kurzfristigen radikalen Quote können Menschen ihre Denkweise verändern, indem sie aus einer Komfortzone rausgedrängt werden.»  

 

Purplewashing

Nach Bettina Meier-Bickel hätten nicht nur Quoten eine Wirkung, sondern eben die laufende gesellschaftliche Debatte: Die Hoffnung besteht, dass mehr ausgestellte Frauen ein Trend werden. «Viele Kunsthäuser haben Leader-Funktionen. Das Centre Pompidou in Paris oder die Tate Gallery of Modern Art, sie haben bereits ein Statement gesetzt und ich frage mich, warum das hier noch nicht angekommen ist. Damit kann man ein neues Pu­blikum gewinnen.» Die Diskussion drehte sich weiter, über das Zürcher Kunsthaus, das im Neubau nur 26 weibliche von 350 Arbeiten ausstellt. Barbara Basting erläuterte, dass es aus strategischer Sicht sogar ein Vorteil für viele Kunsthäuser sei: «Es muss nicht mal die tiefste Überzeugung sein, es macht nur schon aus strategischer Sicht Sinn, Künstlerinnen auszustellen.» Somit sei das Glas eben nicht nur halb-leer, sondern auch halb-voll. Das Problem liege in der Schweiz aus ihrer Sicht viel tiefer: «Wir kommen selbst bei politischen Diskussionen nicht vom Fleck. Die Bremse dafür ist die archaische Familienpolitik in der Schweiz und dort liegt der Hebel.» Ob schlussendlich die Politik oder der gesellschaftliche Wandel Künstlerinnen sichtbar machen wird, blieb offen.

 

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