- Gedanken zur Woche
Paul Krugman und die Pinguine
Ich verzichte jetzt darauf, die letzte Kehrtwende und neusten Verkündungen des «stabilen Genies» (Eigendeklaration) bei den Zöllen nachzuzeichnen. Die Chance ist zu gross, dass zwischen dem Schreiben dieser Zeilen und der Veröffentlichung dessen Politik schon drei Mal geändert hat. Ich verzichte auch darauf, zu spekulieren, was die Kehrtwenden ausgelöst haben könnte, das Telefonat mit Karin Keller-Sutter, das Interview von Magdalena Martullo-Blocher oder die Intervention von trumpnahen Milliardären. Der Versuch, ein nicht rationales Verhalten nachträglich zu rationalisieren, ist auch eine Form der Verharmlosung.
Dass diese Form einer Hüst-und-Hott-Politik, die Berechnung von Zollformeln via Handgelenk mal Pi oder vielleicht gar ChatGPT, die selbst auf Inseln angewendet werden, auf denen nur Pinguine leben, dass diese Form der Politik schlecht ist und auch schädlich für die Wirtschaft, ist weitgehend unbestritten von links bis rechts, wenn man mal ‹Weltwoche› & Co ausnimmt, für die Trump (und Putin) niemals etwas falsch machen. Eine durchaus berechtigte Frage ist die nach den Auswirkungen für Freihandel und Globalisierung. Und in diesem Zusammenhang stellt sich dann auch die Frage, ob Zölle ein geeignetes Mittel sind, um unerwünschten Folgen der Globalisierung wie der Deindustrialisierung zu begegnen. Es gibt also durchaus auch Linke, die dieser Politik (so sie denn gezielt und rational wäre) etwas abgewinnen können.
Ich bin keine Ökonomin, habe mich aber im Rahmen meines Soziologieststudiums mit einem Teil dieser Fragen beschäftigt. Damals war die Globalisierung erst in ihren Anfängen, aber was diskutiert wurde, ist die Frage von erfolgreichen Industrialisierungsstrategien für Entwicklungsländer. Es war die Zeit des Aufstiegs der sogenannten Tiger-Staaten in Südostasien und eine der Fragen, die uns beschäftigten war, warum den einen Ländern der wirtschaftliche Aufstieg gelang und andere nie aus dem Schwellenländer-Status hinauskamen. Die erfolgreichen Länder setzten auf einen Mix zwischen importsubstituierender und exportdiversifizierender Strategie. Einfach erklärt: Wer erfolgreich sein will, schützt seine Industrie während des Aufbaus (unter anderem mit Zöllen oder Importrestriktionen), setzt danach aber auf Export. Wer die Märkte zu früh öffnet, kann keine eigene Wirtschaft aufbauen, weil diese zu sehr unter Konkurrenzdruck steht.
Zölle können also unter gewissen Umständen tatsächlich eine Rolle zum Aufbau einer Industrie spielen. Oder taten es zumindest in der Vergangenheit. Wie erfolgreich sie dann aber sind, um eine verloren gegangene Industrie zurückzuholen, ist wieder eine andere Geschichte. Der Ökonom und Nobelpreisträger Paul Krugman geht in seinem Newsletter vom Montag dieser Frage nach. Und stellt dabei drei Thesen auf: 1. Die Zölle helfen der amerikanischen Industrie nicht, sondern werden ihr schaden. 2. Wer die Industrie stärken will, setzt auf Industriepolitik und nicht auf Zölle. 3. Gute Arbeitsplätze für Menschen ohne Universitätsabschluss müssen nicht zwingend Industriearbeitsplätze sein. Zu Punkt 1: Die globalisierte Arbeitsteilung ist nicht so einfach rückgängig zu machen. Die amerikanische Industrie ist auch von importierten Waren und Rohstoffen abhängig, die sich durch die Zölle verteuern. Zum zweiten ist die Unsicherheit ein abschreckender Faktor. Natürlich wird es Unternehmen geben, die jetzt aufgrund des Drucks ankündigen, mehr in die USA zu investieren. Für die meisten ist die Unberechenbarkeit aber abschreckend, genauso wie die Rechtsunsicherheit. Industriepolitik ist laut Krugman das viel effizientere Mittel, um Industrie zu fördern. Zölle wirken im Gegensatz zu Subventionen nur indirekt und verteuern zudem die Preise. Der Preisanstieg wird vor allem für die kleinen Einkommen ein Problem. Die Industriepolitik, wie sie die Biden-Administration verfolgte (und die Trump beenden will) habe tatsächlich zu einem Anstieg der Industrieproduktion geführt. Zu guter Letzt habe die Nostalgie, die sich teilweise bei Industriearbeitsplätzen findet, mehr mit den Gewerkschaften als mit den Arbeitsplätzen zu tun. Tatsächlich gab es früher teilweise gut bezahlte Jobs beispielsweise in der Autoindustrie. Die Republikaner haben die Gewerkschaften aber gezielt geschwächt und wehren sich beispielsweise auch gegen Mindestlöhne. Mit dem Resultat, dass diese Industriearbeitsplätze auch keine guten Arbeitsplätze sind, da die Löhne tief und die Arbeitsbedingungen schlecht sind. Tatsächlich lässt sich zudem auch ein Teil des Verlustes der Industrie auch durch andere Faktoren als durch die Globalisierung erklären, wie Eric Levitz auf ‹Vox.com› ausführt. Die Veränderung der Wirtschaft von einer Industrie- zu einer Dienstleistungsgesellschaft sei vor allem durch den wachsenden Wohlstand zu erklären. Mit wachsenden Mitteln steigt die Nachfrage nach Dienstleistungen mehr als jene nach Gütern. Schliesslich kauft man sich nicht wöchentlich eine neue Waschmaschine oder ein neues Auto, kann es sich aber mehr leisten, Essen zu gehen oder die Kleider in die Reinigung zu bringen. Zum zweiten ist die Automatisierung in der Produktion weit mehr fortgeschritten als bei den Dienstleistungen. Industrieroboter sind gang und gäbe, auf den Abwaschroboter warten wir alle noch sehnlichst.
Einen weiteren Aspekt zur trumpschen Zollpolitik hat Constance Grady auf ‹Vox.com› aufgeworfen, auf die man nicht so einfach kommt. Die Ideologie, die sich hinter den Zöllen verbirgt, habe auch eine Geschlechterkomponente. Denn die verschwundenen Industriearbeitsplätze haben vor allem Männer beschäftigt, wohingegen die Dienstleistungsgesellschaft und die Bürojobs eher weiblich wurden. Amerika kann man nur wieder gross machen, wenn man auch die frühere Hierarchie der Geschlechter wiederherstellt. Das vergisst natürlich den Punkt, dass viele Berufe in Lohn und Prestige absteigen, sobald sich der Frauenanteil massiv erhöht.
Man kann also durchaus nüchtern über Vor- und Nachteile von Zöllen diskutieren. Nur ist dies unter den bestehenden Umständen nicht möglich, weil dies eine Rationalität voraussetzt, die es schlicht nicht gibt. Umso irritierender ist es, dass es immer noch Demokraten gibt, die meinen, man müsse Trump entgegenkommen. Zu einer funktionierenden Demokratie gehört auch eine Opposition, die den Wähler:innen eine echte Alternative bietet. Bis zu den Zwischenwahlen und den nächsten Wahlen bleibt zwar noch Zeit. Es wäre aber sträflich, diese nicht zu nutzen.