Paranoia

Nach «Nuevo Ordem» erweitert Michel Franco mit «Sundown» das Faszinosum Oberschicht um eine Facette.

 

Nein, sie langweilen sich nicht in ihrem Gated-Community-Luxusresort bei Acapulco. Klippenspringern zuschauen, tagsüber Longdrinks im Pool schlürfen und sich hauptsächlich die Sonne auf den Pelz scheinen lassen. Aber irgendetwas stimmt hier nicht. Alice Bennett (Charlotte Gainsbourg) und Neil Bennett (Tim Roth) verbringen mit zwei jungen Erwachsenen ebenfalls Bennetts Tage der Unbeschwertheit. So zumindest macht die Szenerie den Anschein. Charlotte Gainsbourg blickt leidend drein, Tim Roth wirkt wortlos abwesend. Ein Anruf versetzt sie in Alarmbereitschaft. Abreisen, sofort. Unter einem Vorwand bleibt Neil zurück und taucht in einer billigen Absteige unter, lacht sich die um viele Jahre jüngere Berenice (Iazua Larios) an und führt den Trott gepflegter Langeweile unter veränderten Vorzeichen nahtlos fort. Michel Franco (Regie und Drehbuch) belässt sein Publikum bezüglich der Verstrickungen und Hintergründe seiner Hauptfiguren beabsichtigt im Ungewissen. Auch darüber, welcher Art Geschichte er hier eigentlich erzählt. Erst nach einer Schiesserei am Strand, die aber den Puls des Films auch nicht erhöht, steht Alice überraschend auf dem Plan und überhäuft Neil mit moralischen Vorhaltungen, Appellen an sein Verantwortungsgefühl und stellt ihm ein wirtschaftliches Ultimatum. Neil bleibt seelenruhig, willigt in alles ein. Der eingeflogene Hausnotar hält alles fest und bis zum Abspann geschieht schon noch das eine oder andere. In gleichbleibend unaufgeregtem Erzähltempo. Nachdem Michel Franco in «Nuevo Orden» dargelegt hat, wie die Oberschicht selbst in revolutionären Zeiten zuletzt immer obenauf schwimmt, widmet er sich in «Sundown» der Unabänderlichkeit der Erwartungen, Zwänge und Unfreiheit, die mit einer Geburt als wirtschaftlich und gesellschaftlich höchstgestellte Person einhergehen. Abgeschirmt von der Welt lässt sich das verdrängen, führt aber zu Symptomen.

 

«Sundown» spielt in den Kinos Kosmos, Piccadilly.

 

Spenden

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte. Jetzt spenden!

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.