Paradox

Die Überforderung, von der jüngere Generationen dauernd reden, bringt Claire Dessimoz völlig verwirrend rüber.

 

Üblicherweise ist die erste Reaktion auf Unverständnis das Umleiten von Konzentration auf irgend etwas real Beschäftigendes. Das Kunststück von Claire Dessimoz in ihrem Solo «Du bist was du holst» besteht darin, dass sie einzig mittels ihrer Bühnenpräsenz das Paradox zustande bringt, einen durch die völlig verwirrende inhaltliche Überfütterung mit im Einzelnen kaum entzifferbaren Codes immer nur noch tiefer mit in den von ihr dargestellten Schlund einer Gleichzeitigkeit aller Eindrücke und gleichmässiger Dringlichkeit sämtlicher Anforderungen – von aussen oder selbsternannt – hinabzuziehen und einen damit trotz restlosem Unvermögen, auch nur im Ansatz ein Detail davon restlos zu entschlüsseln, dennoch beim Schlawittchen hat und damit sämtliche Aufmerksamkeit in hochkonzentrierter Form für eine ganze Stunde auf sich zieht. Eine Faszination, die letztlich vollends unverständlich bleibt, die aber nachgerade physisch fühlbar trotzdem da war. Ihre sprunghafte Hektik bezüglich eines Inhaltes, der an (die Vorstellung) einer Unterhaltung mit jemandem im ADHS-Schub grenzt, zog keinerlei Nervosität von beobachtender Seite nach sich, sondern verkehrte sich vielmehr ins Gegenteil einer grossen Gelassenheit, ja nahezu einer meditativen Ruhe. Ihr Bewegungsmaterial unterstützt das Einschlagen in diese Richtung von vornherein, denn entgegen des gesprochenen Multitasking bleibt ihre Physis konzentriert, fokussiert, entspannt angespannt. Soweit, das jetzt unbedingt ein zweites Mal sehen zu wollen, geht die Faszination dafür nicht, aber die Verblüffung ist doch dermassen kolossal, dass aus zwei einander zuwiderlaufenden Bewegungen kein Kollaps entsteht, sondern ein angenehm berührendes Wohlgefühl. Zwar noch immer unverständlich, aber ohne dass daraus irgend ein nachtragendes Gefühl entsteht. Verstörendes Verführen könnte das am nächsten kommende Sprachbild dafür heissen. froh.

 

«Du bist was du holst», 22.11., Tanzfestival Winterthur.

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