Ombudsmann: Vermitteln auf ­Augenhöhe

Die Ombudsstelle der Stadt Zürich feiert ihr Jubiläum. Seit einem halben Jahrhundert blickt sie der Verwaltung kritisch auf die Finger. 

 

Die Geschichte der Ombudsstelle der Stadt Zürich beginnt mit einer schwedischen Liebesgeschichte. Bereits in der Schule lernte Walter Haller die nordische Sprache. Als er dann als Student in einer Staatsrechtsvorlesung das erste Mal von der Institution des Ombudsmanns in Schweden hörte, packte er die Gelegenheit: Für seine Dissertation zum Thema reiste er nach Schweden, wo auch seine damalige Freundin lebte. Zurück kommt Haller mit einer brennenden Leidenschaft für die Institution – und beginnt, in seiner Stadt dafür zu weibeln. Elf Jahre später eröffnete die erste Ombudsstelle in der Schweiz ihre Pforten. Eine Pionierleistung. Diese Woche wird sie nun 50 Jahre alt. Doch die Idee dahinter ist jung geblieben.

 

Ein junger «Dorfältester»

In Schweden gibt es den sogenannten «Justitieombudsman» als unabhängige parlamentarische Kontrollinstanz seit 1809, doch die Inspiration liegt ursprünglich bei den Muhtasib, einer Art Dorfältesten im Nahen Osten, die als Ansprechperson für kleinere Streitigkeiten zuständig waren. 

Zürichs Dorfältester ist gerade einmal 52 und heisst Pierre Heusser. Seit August 2020 ist er im Amt. Über den Vergleich mit dem Dorfältesten schmunzelt er. «Im Unterschied zu den Dorfältesten schöpfe ich meine Autorität nicht aus meinem Alter, sondern aus den Instrumenten, die mir zur Verfügung stehen», erklärt der Jurist. Diese sind umfangreich: Heusser und sein Team haben volle Akteneinsicht in der gesamten Verwaltung der Stadt Zürich, selbst die Exekutive ist davor nicht gefeit. Zudem kann die Ombudsstelle mit ihrem Jahresbericht Missstände in der Verwaltung öffentlich machen, was wiederum GemeinderätInnen zu politischem Handeln motivieren kann. Was der Ombudsmann nicht hat, ist Weisungsmacht: «Ich bin kein Richter und kann nicht entscheiden, was die Verwaltung ändern muss. Das zwingt mich aber auch dazu, gute Vorschläge vorzubringen.» Diese würden von der Verwaltung in den allermeisten Fällen auch akzeptiert. Letztes Jahr behandelte die Ombudsstelle 482 Geschäfte und beantwortete 1141 Anfragen. Wichtig sei dabei, dass die Ombudsstelle vollständig unabhängig agieren könne. «Wir legen zwar gegenüber der Geschäftsprüfungskommission des Gemeinderats Rechenschaft ab, aber in unserer Arbeit sind wir vollständig unabhängig.» Dass diese Unabhängigkeit aber auch beschnitten werden kann, zeigt sich in Polen: Dort strich das Parlament unter der Führung der rechtsnationalen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) dem unliebsamen Ombudsmann das Budget zusammen. Auch die Ombudsstelle Stadt Zürich ist ein Posten im Budget – und könnte theoretisch gestrichen werden. «Das stimmt. Aber ich spüre ein starkes Bekenntnis der Stadt zur Ombudsstelle und zu unserer Unabhängigkeit», sagt Heusser überzeugt. Tatsächlich war die Ombudsstelle in den letzten 50 Jahren grösstenteils unbestritten. Nur die SVP-Fraktion lehnte den Jahresbericht über einige Jahre hinweg ab. Doch das Verhältnis hat sich gewandelt: 2020 stimmte die Fraktion einstimmig zu. Woher rührt dieser Umschwung? «Früher war der Jahresbericht der Ombudsstelle aus unserer Sicht ideologisch gefärbt. Heute ist der Bericht sachlicher, deswegen stimmen wir ihm jetzt zu», erklärt Gemeinderat Bernhard Im Oberdorf (SVP) auf Anfrage. Er ist als Präsident der Geschäftsprüfungskommission auch oberster Aufseher der Ombudsstelle. Wie sich das Verhältnis seiner Partei zur Ombudsstelle unter dem neuen Leiter Pierre Heusser entwickeln wird, werde sich noch zeigen. «Dafür wissen wir jetzt noch zu wenig.»

 

Fehlerkultur schafft Vertrauen

Heute ist die Ombudsstelle Stadt Zürich längst nicht mehr die einzige in der Schweiz: Neben den vieler Kantone setzten auch Spitäler und Berufsbranchen auf Ombudsstellen. Oft brauche es aber ein tragisches Ereignis, dass über eine Ombudsstelle diskutiert würde, stellt Heusser fest. So hat der Kanton Zug seine Ombudsstelle als Reaktion auf das Attentat 2001 eröffnet, im Kanton Graubünden laufen aktuell ähnliche Bestrebungen als Antwort auf den Bündner Bauskandal. 

Auf eidgenössischer Ebene fehlt weiterhin eine Ombudsstelle. Der letzte vielversprechende Anlauf scheiterte nach dem Rechtsrutsch bei den National- und Ständeratswahlen 2003. Seither hat es im Parlament immer wieder Vorstösse für die Schaffung von Ombudsstellen für spezifische Teilbereiche gegeben, doch der Bundesrat stellte sich fast immer dagegen. «Die Verwaltung und die Exekutive haben oft Angst, Macht zu verlieren, weil ihnen dann eine unabhängige Stelle auf die Finger schauen würde», spekuliert Heusser dazu. Dabei hätte eine Ombudsstelle gerade während der Pandemie dafür sorgen können, dass sich einige Menschen nicht so machtlos gefühlt hätten. «Ich habe wenig Verständnis für die MassnahmengegnerInnen, aber eine unabhängige Stelle, bei der die Menschen niederschwellig ihre Bedenken äussern könnten, hätte vielleicht bei einigen dem Gefühl von Machtlosigkeit entgegengewirkt.» 

Vor seiner Zeit als Ombudsmann war Pierre Heusser Anwalt. Einst gründete er mit Gleichgesinnten die Unabhängige Fachstelle für Sozialhilferecht (UFS) und setzte sich für die Schwächsten dieser Gesellschaft ein – gegen den Staat, kritisch gegenüber den Gesetzen. Heute ist er Teil davon, den Gesetzen verpflichtet. Wie also haben Sie’s mit dem Staat, Herr Heusser? «Ich bin ein Fan unseres Rechtsstaates, aber im Einzelfall durchaus kritisch.» Er würde sich selbst aber nicht als staatskritisch bezeichnen. Doch verteidigt er als Ombudsmann nicht auch die Gesetze, die er einst bekämpfte? «Klar. Und privat habe ich auch weiterhin meine Meinung dazu. Wäre ich aber Aktivist, könnte ich nicht mehr wirksam mit der Verwaltung zusammenarbeiten.»

Zum Schluss liefert Heusser dann die schönste Beschreibung seiner Funktion als Ombudsmann. Zwischen Verwaltung und BürgerInnen bestehe ein Machtgefälle: BehördenmitarbeiterInnen seien hochspezialisiert und hätten so einen Wissensvorsprung vor jenen, die auf ihre Unterstützung angewiesen seien. «Meine Aufgabe ist es, dass sie sich auf Augenhöhe begegnen können.»

 

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