- Kultur
Offenes Visier
Die Jüngste (Anja Andersen Rüegg) hat sich krampfhaft aus den Fängen eines transgenerationellen Traumas zu befreien versucht. Ist oberflächlich betrachtet als erste regelrecht ausgebrochen. Aber die zentralen Lebensfragen ist sie andernorts nicht losgeworden. Vielmehr wirkt es in Anaïs Clerc während des Dramenprozessors entwickelten Stücks so, als ob diese erst verdrängte Last nicht gerade durch die Flucht und Abwendung nicht exponenziell grösser geworden ist und ihren inneren Frieden regelrecht verunmöglicht. Ob sie tatsächlich zum Mittleren (Urs Jucker) und zum Ältesten (Urs Bihler) heimkehrt und die von Melanie Durrer inszenierten Dialoge auch tatsächlich führt, oder ob der ganze Theaterabend ein reiner innerer Monolog ist, ein reflektiertes Wunschdenken bleibt weitgehend im Unklaren. Was die Verunsicherung der Figur in veränderter Weise auf ihr Publikum überträgt. Nicht unangenehm, aber eben auch nicht bequem. Es beginnt mit der Feststellung, dass ihre Vorfahren aus ihrem Herzen immer eine Mördergrube gemacht, stumm und stoisch alles immer mit sich selbst ausgemacht haben. Heruntergeschluckt. Nach und nach – der auftretende Älteste scheint jüngst verstorben zu sein, was als Anlass für die Heimkehr angenommen wird – entwickelt sich in diesem ungleichen Gespann die ersehnte verbale Auseinandersetzung. Eine erstmalige Offenheit, wodurch erst das Schema des Familienleidens offenbar wird. Es ist eine bäurische Umgebung, der individuelle Wunsch einer Lebensführung zur voraussichtlichen Zufriedenheit war niemals irgendein Grund für gar nichts. Eine höhere Instanz, eine emotionale, wirtschaftliche, gesellschaftliche oder einfach eine moralische waren immer wirkmächtiger als der eigene Wille und schaffte es noch in jeder Generation, den Zwang zur Unterwerfung erfolgreich zu etablieren. Jetzt waren Identitätsfragen beispielweise in den Jugendjahren einer Grosselterngeneration nicht gleichermassen flächendeckend Thema, wie heute. Und die Möglichkeiten ein Leben ausserhalb des Gruppengefüges einer Familie überhaupt nur schon denken zu wollen, wurden von vornherein für aussichtslos angesehen. Notfalls mit unzimperlicher Gewalt und/oder der Macht des Faktischen als Flausen einfach wieder ausgetrieben. Interessant ist die verschiedene Verortung der Vehemenz über die Generationen, insbesondere nach dem überwundenen ersten Abwehrreflex. Symbolisch steht das Stück für sehr viele verschiedene Komplexe. Ob Schuld, Armut, Vertreibung: Totschweigen verlängert das Leid.
«Brennendes Haus», bis 12.6., Theater Winkelwiese, Zürich.