Öffnung

Als Kind waren Joe (Hermela Tekleab) die Erzählungen ihrer Mutter Semret (Lula Mehbratu) über die Flucht aus Eritrea, den Verbleib ihres Vaters und die Nichtexistenz jeglicher Verwandtschaft Antworten genug. Mutter und Tochter lebten in einem symbiotischen Kokon der Abschottung. Wenn Semret aus ihren Albträumen aufschreckte und sich bei ihrer Tochter unter die Bettdecke schlich, war das für Joe so normal wie jede mütterliche Strenge bezüglich ihres Freizeitverhaltens. Caterina Monas Spielfilmerstling (Drehbuch/Regie) «Semret» beginnt mit der Veränderung und führt via die beginnende Infragestellung der bisherigen Gewissheiten durch Joe auch das Publikum scheibchenweise an die tatsächliche Rea­lität. Semrets Selbstschutz beruhte auf der Hoffnung, wenn alles totgeschwiegen und verdrängt würde, sie auch im Beruf nur nicht auffiele, ausser durch Fleiss, würden erlittener Schmerz, ihr Trauma, ja das Leben irgendwie erträglich. Der Film vermengt die drei Ebenen Kleinfamilie, Berufsleben/Schule und eritreische Diaspora zu einem schlüssigen Entwicklungsstrang der beiden Frauen und ihrer Beziehung zueinander. Joe findet erstmals eine gleichaltrige Freundin, lernt einen eritreischen Jungen kennen und findet Gefallen an der sich für sie erweiternden Perspektive auf ihr Leben. Sie blüht auf und beginnt das Hinterfragen, denn je mehr sie sich gegenüber der Welt öffnet, desto geringer wird die Glaubwürdigkeit der simplen Erklärmuster der Mutter. Wiederholt damit konfrontiert, beginnt auch Semret, ihr eigens angelegtes Korsett aus Verboten für sich selbst und das daraus folgende Wegducken gegenüber anderen als vielleicht nicht einzige mögliche Form des Umgangs mit den Herausforderungen des Lebens anzuerkennen. Die Bewältigung indes ist nicht leicht und schon gar nicht allein aus sich selbst heraus zu bewerkstelligen. Zaghaft, aber zunehmend beherzt nimmt sie die He­rausforderung an.

 

«Semret» spielt in den Kinos Houdini, Movie.

 

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