- Gedanken zur Woche
Oben gegen unten
Bereits bei der Hochrechnung war klar. Die Senkung der Unternehmenssteuern wird abgelehnt. 54,47 Prozent der Zürcher Stimmbevölkerung sagen Nein. Ein kurzer Blick auf die Karte zeigt, dass sich das Nein nicht nur auf die grossen Städte konzentriert, sondern auf den ganzen Kanton verteilt ist. Selbst Männedorf am Zürichsee sagte Nein. Die grössten Ja-Stimmenanteile sind auch da zu finden, beispielsweise Zumikon, das mit 72,5 Prozent zustimmt oder Herrliberg mit 69,9 Prozent Ja.
Die Verlierer zeigen sich konsterniert. Schuld trage die Kampagne der Verbände, meinte etwa die SVP und glaubte auch gleich die Ursache für das Unbehagen mit der Senkung der Unternehmenssteuer zu kennen. Es ist – Sie haben es erraten – natürlich die Zuwanderung. Raphael Tschanz, Direktor der Handelskammer glaubt, dass das Nein andere Gründe hat: «Es geht dem Kanton gut. Wir haben Vollbeschäftigung, Überschüsse in der Rechnung.» Die FDP beklagt in ihrer Medienmitteilung linke Falschaussagen und schlägt vor, mittels Bürokratie- und Regulierungsabbau die Firmen zu entlasten. «Basel, douze points, Zürich zero points» kommentiert Daniel Fritzsche in der NZZ. Basel hatte nämlich gleichentags einem Paket mit einer Senkung der Unternehmenssteuern zugestimmt. 63 Prozent der Basler Stimmbürger:innen haben Ja gestimmt. Allerdings gab es doch einige Unterschiede zur Zürcher Vorlage (die auch ein Leser verdankenswerterweise als Kommentar unter dem Fritzsche-Artikel hinterlassen hat). Bei der Basler Variante ging es um eine Rückverteilung der Überschüsse aus den Unternehmenssteuern. In Zürich wurden hingegen Mindereinnahmen befürchtet. Und: In Basel müssen 80 Prozent der Dividenden-Einnahmen versteuert werden. In Zürich hat der Kantonsrat es abgelehnt, den Anteil von 50 auf 60 Prozent zu erhöhen. Dazu kommt, dass in Basel zusätzlich ein Fonds geschaffen wird, mit dem Unternehmen unterstützt werden, die eine Elternzeit anbieten oder Klimamassnahmen ergreifen. Diese verschiedenen Ausgleichsmassnahmen haben dazu geführt, dass sich die Basler SP für die Vorlage ausgesprochen hat. Bekämpft wurde sie nur von den Grünen und Basta, die aber mit dem Resultat nicht unzufrieden waren, weil sie über ihren Wähler:innenanteil mobilisieren konnten. In Zürich hat sich eine Allianz aus SP, Grünen, AL und EVP gegen die Vorlage eingesetzt und konnte weit über die Parteigrenzen hinaus punkten. Eine Umfrage von GFS Bern im Auftrag der Handelskammer hat gezeigt, dass auch die Wähler:innen von GLP und Mitte die Senkung der Unternehmenssteuern ablehnen. Finanzdirektor Ernst Stocker (SVP) meint, dass sich zukünftig solche Vorlagen nur verkaufen liessen, wenn man der Bevölkerung auch ein «Goodie» gibt.
Auch Politgeograph Michael Hermann meint gegenüber dem ‹Tages-Anzeiger›, dass es «geschickt» gewesen sei von der Basler Regierung, auch einen Ausgleich für die Bevölkerung in das Standortpaket zu packen. Ausserdem sei sich Basel der Abhängigkeit von der Pharmaindustrie wohl sehr bewusst. Thomas Widmer, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Zürich glaubt im Gegensatz zur SVP nicht, dass die Frage der Zuwanderung eine Rolle gespielt habe. Das sei auch im Abstimmungskampf kein Thema gewesen. Widmer meint gegenüber dem ‹Tages-Anzeiger›: «Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger scheinen mehrheitlich zur Auffassung gelangt zu sein, dass die Vorlage die Wirtschaft einseitig bevorzuge und das Steueraufkommen gefährde.» Auch Lukas Golder von GFS Bern sieht gemäss ‹Tages-Anzeiger› eine gewisse Entfremdung zwischen Konzernen und Gesellschaft: «Interessen von global erfolgreichen Wirtschaftsakteuren und der Stimmbevölkerung sind nicht mehr gleichgerichtet», sagt der Co-Leiter des Forschungsinstituts GFS Bern. Zudem, so Golder, empfänden die Menschen die Arbeitslosigkeit angesichts des Fachkräftemangels nicht mehr so eine grosse Sorge. Die Linke habe es gut geschafft, den Triggerpunkt «oben gegen unten» zu treffen.
Die Reaktionen der Handelskammer und der SVP sind symptomatisch für die Kommentierung von Abstimmungsergebnissen, die diesen nicht gefallen. Bei der SVP ist grundsätzlich an allem die Zuwanderung schuld. Interessanterweise hört man von gewissen Exponent:innen der SVP erstaunlich wachstumskritische Voten, die man schon fast in der Ecopop-Ecke vermuten könnte. Bis anhin hat sich aber die wirtschaftsfreundliche Parteielite noch immer durchgesetzt. Bei der Wirtschaft und deren politischen Vertreter:innen vor allem in der FDP gibt es eine eher eine andere Klage: Den Leuten geht es zu gut, sie sind verwöhnt und zu faul geworden. Christina Neuhaus schrieb dazu in der NZZ Anfang Jahr einen Leitartikel «Das Buddenbrooks-Syndrom». Thomas Mann habe im Roman einen sich über vier Generationen hinziehenden Verfall einer Familie dargestellt, frei nach dem Bonmot von Otto von Bismarck: «Die erste Generation schafft Vermögen, die zweite verwaltet Vermögen, die dritte studiert Kunstgeschichte, und die vierte verkommt vollends.» So gehe es auch der Schweiz: «Wäre die Schweiz eine Familie, läge ihr Vermögen mittlerweile in den Händen der Kunstgeschichte studierenden Enkel. Während für die vorhergehenden Generationen Militärdienst und Milizarbeit noch selbstverständlich waren, kümmert sich die Bevölkerung heute lieber um ihr eigenes Wohlergehen.» Dieser Artikel sorgte für begeisterte Zustimmung von vielen Wirtschaftsleuten wie beispielsweise Sergio Ermotti, dem UBS-CEO, der ja auch ein Musterbeispiel ist für eine Person, die ihr Leben dem Allgemeinwohl opfert. Wenn Stimmbürger:innen in ihrem eigenen Interesse abstimmen, dann ist das etwas ganz Schlimmes und Eigennütziges, wenn Wirtschaftsmagnaten ihre in den Vordergrund stellen, ist das natürlich etwas ganz anderes.
Das Tröstliche an der Geschichte ist, dass die Doppelmoral derart offensichtlich ist, dass man ziemlich gelassen weiteren ähnlichen Abstimmungskämpfen entgegensehen kann. Etwas Erschreckender scheint aber, dass diese Leute das ganz Offensichtliche verkennen, nämlich dass die Unternehmen steuerlich in den letzten Jahrzehnten ständig entlastet wurden, für die normalen Haushalte grosse Ausgaben wie Miete und Krankenkassenprämien immer weiter steigen. In den 1990er-Jahren hatte man immerhin noch das Gefühl, die Neoliberalen hätten wenigstens eine einigermassen kohärente ideologische Weltsicht. Heute sind viele von diesen damals hochgelobten Prinzipien von Freihandel bis Marktwirtschaft oder Wettbewerb längst obsolet geworden. Die Profitgier wird gar nicht mehr ideologisch untermauert oder ihr noch einen gesellschaftlichen Nutzen angedichtet, sondern ist reiner Selbstzweck geworden. Wenn es so weitergeht, ist die Ablehnung einer Steuervorlage wohl der kleinste Schaden, den Wirtschaftskreise daraus ziehen werden.