Normalität

Am Mittwoch wurde Joe Biden als 46ter Präsident der Vereinigten Staaten unter hohem Sicherheitsaufwand vereidigt. Vielleicht ist es wie ein Aufwachen aus einem vierjährigen Alptraum. Vielleicht gibt es danach wieder etwas Normalität. Und etwas Langeweile. Man sehnt sich ja schon fast danach. 

 

Es war immerhin Bidens implizites Wahlversprechen. Dafür spricht, dass Biden weder ein grosser Redner noch ein eifriger Twitterer ist. Massenrallys und Twitter-Tiraden sind also kaum zu erwarten. Und er hat letztlich immer durchblicken lassen, dass er sich eher als Übergangsfigur sieht. Ob Trump die gleiche Aufmerksamkeit erhalten wird, wenn er einmal nicht mehr im Weissen Haus ist, ist noch unklar. Zumal er seinen Lieblingskommunikationskanal verloren hat.

 

Der Schock nach dem Sturm auf das Kapitol hat durchaus etwas ausgelöst. Trump wurde im Repräsentantenhaus zum zweiten Mal impeacht. Diesmal mit dem Vorwurf der Anstiftung eines Aufstands. Zehn Republikaner haben mitgestimmt. So viele wie noch nie von einer anderen Partei in einem Impeachmentverfahren für die Amtsenthebung gestimmt haben. Darunter auch Liz Cheney, die Tochter des ehemaligen Verteidigungsministers Dick Cheney und Nummer drei in der republikanischen Führung im Repräsentantenhaus. Dies ist durchaus nicht ganz unriskant für sie und die anderen. Zum einen, weil die eigene politische Karriere gefährdet sein könnte, wenn der Trump-Flügel einen Gegenkandidaten nominiert. Zum anderen fürchten sie sich auch ganz klar vor einer weitaus physischeren Rache. Peter Meijer, einer der republikanischen Abgeordneten, der für Trumps Amtsenthebung gestimmt hat, meinte gegenüber den Medien, er müsse sich eine kugelsichere Weste kaufen.

 

Die ersten Bilder aus dem Kapitol vom 6. Januar waren verstörend. Aber teilweise auch grotesk. Ein Teil der Stürmenden sah eher aus, als wären sie gerade bei einem Open Air. Joints wurden geraucht. Selfies wurden gemacht. Zwei Wochen später merkt man: Es war mehr als ein Witz. Es wurden Bomben platziert, die glücklicherweise entschärft werden konnten. Einige der Kapitolstürmer waren bewaffnet und hatten auch Kabelbinder dabei. Die Behörden gehen davon aus, dass diese Geiseln nehmen wollten. Den Aufständigen wäre es zudem beinahe gelungen, den Senat zu stürmen, als die SenatorInnen noch im Saal waren. 

 

Die Kongressabgeordnete Alexandra Ocasio-Cortez meinte nach diesem Ereignis, sie hätte um ihr Leben gefürchtet. Angst hatte sie nicht nur vor dem Mob, sondern auch von gewissen republikanischen Kolleginnen und Kollegen. Unberechtigt war diese Angst nicht. So verkündete eine Abgeordnete während des Kapitolsturms auf Twitter, wo Nancy Pelosi, die Sprecherin des Repräsentantenhauses zu finden sei. 

 

Diese Stimmung wird nicht magisch verschwinden, wenn die Zügelmänner Trumps Sachen nach Mar-a-Lago bringen. Umfragen zeigen, dass Trump immer noch die überwältigende Mehrheit der republikanischen WählerInnen auf seiner Seite hat. Neun von zehn sind immer noch zufrieden mit seiner Amtsführung. Zwei Drittel meinen, der Sturm auf das Kapitol habe für sie nichts geändert. Fast ein Drittel findet, es habe ihre Einstellung noch bestärkt. Nur fünf Prozent bereuen ihre Stimme. 

 

Die Polarisierung dauert also an. Und es wird schwierig werden, diese WählerInnen anzusprechen. Ein Teil glaubt an die ‹QAnon›-Verschwörungstheorie, wonach Eliten Kinder gefangen halten, um aus ihrem Blut Adrenochrom zu gewinnen, das nach dem Glauben von ‹QAnon› eine verjüngende Wirkung haben soll. Trump sei derjenige, der gegen diese Verschwörung kämpft. Mittlerweile gibt es eben sogar Kongressabgeordnete, die sich zu dieser abstrusen Theorie bekennen. Das Problem: Man kann keinen Dialog führen mit Menschen, die glauben, dass man Teil einer kinderschändenden Elite sei. Natürlich sind die ‹QAnon›-Gläubigen auch bei den Republikanern in der Minderheit. Das Problem ist aber, dass praktisch alle – wider besseren Wissens – in der Partei die Lüge Trumps genährt und unterstützt haben, dass bei der Wahl nicht alles mit rechten Dingen zuging. Dass dies bei den Wählerinnen und Wählern nicht spurlos vorbeigeht, versteht sich von selbst. Und wer nun mal glaubt, die Wahl sei illegitim, wird kaum dem neuen Präsidenten eine Chance geben. 

 

Nun hat der ehemalige Senats-Mehrheitsführer Mitch McConnell durchblicken lassen, dass er Trump eine Mitschuld am Kapitolsturm gibt. Vielleicht ist es ja dem republikanischen Establishment doch ein bisschen Gschmuch ob dem Monster, das sie, wenn nicht geschaffen, so doch willig genährt haben. Doch Trump ist keine Anomalie, sondern die logische Fortsetzung einer Strategie und Ideologie, die schon lange das Problem der Republikaner sind. Das gezielte Schüren von Rassismus, die Verschwörungstheorien, das sind keine neuen Phänomene. Dem Establishment mochte es nicht immer wohl dabei sein, aber es wurde für Steuersenkungen für Reiche und Unternehmen (also für sich selber) noch so gerne in Kauf genommen. Dass man es nicht so mit der Demokratie hat, wenn die WählerInnen dummerweise nicht sie wählen, ist auch bekannt. Dazu gehören nicht nur die Wahlrechtseinschränkungen, mit denen seit Jahren versucht wird, Arme und Schwarze vom Wählen abzuhalten. So wurde beispielsweise auch in verschiedenen Staaten, in denen ein Demokrat die Gouverneurswahl gewonnen hat, die Republikaner aber die Mehrheit im Parlament besassen, dem neuen gewählten Gouverneur schlicht via Parlament alle Kompetenzen entzogen. 

 

Zu einer Demokratie gehört eben auch, dass man eine Niederlage akzeptiert und akzeptieren kann. Das heisst nicht, dass man sie gut finden muss. Oder nicht enttäuscht oder wütend sein darf. Aber dass man letztlich eingesteht, dass man verloren hat und es beim nächsten Mal besser zu machen versucht. Demokratie, das haben wir in den letzten Jahre vermehrt gesehen, ist fragiler, als man denkt. Sie muss verteidigt und geschützt werden. 

 

Ich dachte früher immer, dass Stilfragen in der Politik unwichtig seien. Dass die Diskussion rund um Plakatsujets, Verhalten in einer Kollegialitätsbehörde oder andere Fragen des Anstands inhaltlich bloss Ablenkungen vom Inhalt sei. Hier habe ich meine Meinung geändert. Substanz und Inhalt sind wichtig. Aber das nützt nichts, wenn die In­stitutionen und Gesetze nicht funktionieren. Regeln und Gesetze sind nicht immer geschrieben. Und sollten es auch nicht immer sein. Aber das elementare Zusammenleben, das demokratische Funktionieren braucht auch ungeschriebene Regeln. Anstand und Respekt – auch vor dem politischen Gegner. Erst dann klappt es vielleicht wieder mit der Normalität.

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.