Noch ein Bericht zum Lilienberg

Der Zürcher Gemeinderat lehnte die Genehmigung des Geschäftsberichts der Asylorganisation Zürich ab. Die Jahresrechnung 2021 der Stadt hingegen wurde einstimmig angenommen.

 

Die Sitzung des Zürcher Gemeinderats vom Mittwochabend begann mit dem Antrag des Fraktionspräsidenten der FDP, Michael Schmid, der verlangte, ein Postulat zum Geschäftsbericht der Asylorganisation Zürich (AOZ) von der Tagliste abzusetzen. Er argumentierte damit, es gehe aus Sicht seiner Fraktion grundsätzlich nicht an, die Beratung eines Geschäftsberichts mit der Beratung von Postulaten zu verbinden. Hier komme hinzu, dass der Gemeinderat die Oberaufsicht über die AOZ, eine selbstständige öffentlich-rechtliche Anstalt, ausübe, und diese Oberaufsicht finde institutionell einmal im Jahr im Rahmen der Abnahme des Geschäftsberichts statt. Dieser Aufgabe müsse sich der Rat «mit der nötigen Ernsthaftigkeit widmen». Damit kam er nicht durch: Walter Angst (AL) beispielsweise warf ihm vor, er stelle ihn, «weil er mit dem Vorstoss nicht einverstanden ist». Und wenn er diesen Vorstoss nicht wolle, dann solle er doch diskutieren und nicht «eine Debatte untergraben, die heute stattfinden muss». Nachdem der Rat den Absetzungsantrag mit 88:27 Stimmen abgelehnt hatte, schritt er zur gemeinsamen Behandlung des Geschäftsberichts und der Rechnung der AOZ sowie des Postulats. Eingereicht hatten es die Fraktionen von SP, Grünen und AL, und sie forderten vom Stadtrat, einen «durch Externe erstellten Bericht zur Entwicklung der Unterbringung und Betreuung von unbegleiteten Minderjährigen (MNA) und jungen Erwachsenen durch die die städtische Asylorganisation Zürich (AOZ) seit 2014 vorzulegen resp. hierfür eine Administrativuntersuchung in Auftrag zu geben». Hintergrund des Vorstosses sind die Missstände im Lilienberg, über die am Montag auch der Kantonsrat debattierte (siehe nebenstehenden Bericht).

 

«Eine Imagebroschüre»

Den AOZ-Geschäftsbericht stellte Sanija Ameti (GLP) vor. Sie sagte, darin sei die Tätigkeit der AOZ gut zusammengefasst, und der Bericht lege den Fokus auf die Unterbringung. Es würden beispielsweise Fragen danach gestellt, wie es in den Unterkünften aussehe, wie sich die Menschen dort beschäftigten und was für Bedürfnisse sie hätten. Die Antworten jedoch seien «digital ausgelagert» worden, man müsse erst einen QR-Code anwählen, um sie zu erhalten. Vor allem aber komme im Bericht «kein Wort über die MNA vor, auch nicht über jene, die im Lilienberg untergebracht sind», kritisierte Sanija Ameti. Zudem bestehe die Hälfte des Berichts aus Bildern – es hätte also durchaus Platz gehabt für Antworten und weitere Informationen: «Es ist mehr eine Imagebroschüre.» Trotz allem spreche sich die Mehrheit der GPK dafür aus, den Bericht zu genehmigen. Für die Minderheit führte Bernhard im Oberdorf (SVP) aus, bei der SVP sei es «Tradition», diesen Bericht abzulehnen. Auch wenn jetzt bei der AOZ «neues Personal» tätig sei und man sagen könnte, man sollte diesen Leuten «eine Chance geben», sage die SVP auch dieses Mal Nein. Reis Luzhnica (SP) erklärte, «ein Geschäftsbericht soll nicht nur beschönigen: Wie sollen wir sonst wissen, was dort läuft?». Doch im ganzen Bericht stehe nichts zum Lilienberg. «Wir streiten hier über die Breite von Velowegen, aber die Kindswohlgefährdung winken wir durch?», fragte er rhetorisch. Natürlich sei die Ablehnung des Geschäftsberichts «nur symbolisch», doch die SP lehne ihn für einmal trotzdem ab, schloss er.

 

«Kaskade von Berichten»

Zur Rechnung der AOZ (der Rest der Jahresrechnung 2021 wurde im Anschluss an die AOZ-Debatte behandelt) fasste sich Përparim Avdili (FDP) kurz: Die Mehrheit der Rechnungsprüfungskommission (RPK) heisse sie gut. Johann Widmer (SVP) erklärte für die Minderheit in fast ebenso knappen Worten, diese lehne sie ab. Zur Begründung des Postulats erinnerte Walter Angst an die Berichte, die ehemalige MitarbeiterInnen des Zentrums Lilienberg in Affoltern am Albis Anfang Juni im ‹Tages-Anzeiger›, im Radio SRF und im Online-Magazin ‹Das Lamm› anonym erhoben hatten. Als «Sofortmassnahmen» brauche es «zusätzliches Personal und kleinere Einrichtungen», und zudem sollten die jugendlichen Geflüchteten die normale Schule besuchen dürfen. Walter Angst erklärte weiter, er sei «zu 150 Prozent sicher, dass Mario Fehr gelogen hat, als er am Montag im Kantonsrat sagte, die AOZ habe die Eröffnung des zusätzlichen Zentrums Affolternstrasse verzögert». Es brauche eine gemeinsame Anstrengung der Stadt Zürich und der AOZ – «und des Kantons, also von Mario Fehr, sowie der Schulgemeinde Affoltern», um nachhaltige Änderungen durchsetzen zu können. Im geforderten Bericht sollten aber auch Fragen danach beantwortet werden, «wie die AOZ mit ihren MitarbeiterInnen umgeht», würden doch «hochqualifizierte und gute Leute» die AOZ verlassen. Auch deshalb hätten SP, Grüne und AL dieses Begleitpostulat eingereicht.

 

Der Stadtrat lehne das Postulat ab, sagte Stadtrat Raphael Golta, und das, obwohl er zu einem guten Teil damit einverstanden sei, was Walter Angst gesagt habe. Nur «zum Regierungsrat» sage er nichts, fügte er an… Die Ablehnung des Stadtrats erfolge aus «grundsätzlichen Erwägungen»: Werde das Postulat überwiesen, gebe es «einen weiteren Bericht in einer ziemlichen Kaskade von Berichten». Bereits angekündigt sei die Betriebsprüfung durch das kantonale Sozialamt, und der Gemeinderat habe auch schon ein Postulat überwiesen, das eine unabhängige Untersuchung der AOZ im Bereich der Arbeit mit den MNA verlange. Zudem beantworte der Stadtrat Fragen aus der GPK, und der Stadtrat sei mit dem Bericht zu zwei Jahren Bundesasylzentrum (BAZ) wie auch der Berichterstattung des Verwaltungsrats der AOZ an einer eigenen Administrativuntersuchung zur Arbeit der AOZ im BAZ dran. Im Herbst gebe es einen Bericht dazu, wie sich der Stadtrat künftig das Thema «Kollektivstrukturen» vorstelle. Zudem habe die Stadt nicht den ganzen Bereich unter eigener Kontrolle, der Kanton sei mit verschiedenen Stellen involviert, man könne deren Informationen nicht einfach abholen und einen öffentlichen Bericht machen, kurz: Es bestehe die Gefahr von «Enttäuschungen». Nach ausführlicher Debatte über sowohl den Geschäftsbericht wie auch das Postulat lehnte der Rat den Geschäftsbericht mit 43:74 Stimmen ab und überwies das Postulat mit 89:27 Stimmen.

 

Die anschliessende Behandlung der Jahresrechnung 2021 ging glatt über die Bühne. Es gab keine einzige Fraktionserklärung dazu, was Finanzvorstand Daniel Leupi mit Erstaunen zur Kenntnis nahm. Mit den Worten, insgesamt sei die Rechnung «natürlich erfreulich, und es gibt wenig zu mäkeln, wenn die Stadt positiv abschliesst», traf er gut, was im Rat im Anschluss debattiert wurde. Natürlich gab es auch Kritik, etwa, es sei jeweils «zu viel Luft im Budget» und/oder die Steuern müssten gesenkt werden, doch in der Schlussabstimmung hiess der Rat die Rechnung mit 113:0 Stimmen gut.

 

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