No Future 4.0

Kaputt sind alle und selbst die unerschrockene Bereitschaft der Jugend zum Krawall wird vom Kapital instrumentalisiert. Wen der Lebenswandel bis in die Vierziger noch nicht dahingerafft hat, ist in jedem Fall am Arsch.

 

 

Berühmt wurde Virginie Despentes mit der eigenen Verfilmung ihres Romanerstlings «Baise-moi» an der Jahrtausendwende, worin sie zwei Vergewaltigungsopfer auf Racheodyssee am Mann per se schickte und zuletzt an der Sinnlosigkeit jeden Daseins zugrunde gehen liess. Ihr jüngstes Werk, «Das Leben des Vernon Subutex», ist genauso krass kaputt und frei von Hoffnung. Einzig den Bonzen (Jan Bluthard) verlangt es nicht nach Neujustierung. Fett Kohle scheffeln ist als einziger Sinn nachhaltig. Was kratzts den Baum, wenn sich das Wildschwein an ihm reibt. Die Wildschweine hier sind das Panoptikum einer in den 1980ern sozialisierten Generation, die ein Leben auf der Überholspur führten: Parties, Koks, Sex. Jetzt leben als ewiger Rausch. Heute gehen sie auf die fünfzig zu und befinden sich restlos alle am Ende der Fahnenstange. Alles bisher mit Inbrunst bis hin zur tätlichen Gewalt gepflegte Konträre ist an diesem Punkt im Leben für alle, vom Marxisten bis zum Reaktionär einerlei Einheitsbrei. Die einzig noch gültige Schnittmenge ist der ausgestreckte Mittelfinger. Im Zentrum des Romans, den Peter Kastenmüller in erschöpfenden viereinhalb Stunden auf die Neumarktbühne bringt, steht Vernon Subutex (Martin Butzke). Einst war er als Plattenladenbetreiber ein Szenenstar und war sich darüber nicht gewahr, stürzte – auch rauschbedingt, aber vielmehr wirtschaftlich, also auch sozial – ab, wo er in der Gosse alias Park für all die anderen Szenis auf Neusinnsuche wiederum zum Guru einer entmaterialisierten Lebensweise wird, sich dessen jetzt zwar bewusst ist, es aber nicht (mehr) wissen will. Bonze oder Held, alles andere ist (white) trash. Genauso wie sich die Musikspur vom Deathmetal zusehends versüsslicht und bei Hildegard Knef noch längst nicht im Maximalwohlgefühl angelangt ist, verschieben sich auch die individuell für lohnenswert empfundenen, um bis aufs Blut erkämpft zu werdenden Dogmen. Nicht unter die Räder kommt erstaunlicherweise das Hohelied auf den Schein, die propere Fassade, die im jetzigen Stadium der larmoyant beklagten Leckmich-Sinnlosigkeit nachgerade zum grotesken Accessoire wird. Weil zeitgleich die Vergangenheit – als Nutte, als Schläger, als Freier – des einstig heroisch ins Aussenseitertum der absoluten Coolness strebenden, als Rückgrat ihren Dienst versagt, wie auch die allgemeinen Kräfte physischer und psychischer Natur nur noch ‹Pause!› schreien. Vernon Subutex gleicht dem Vollstopp einer Generation alias Burn-out, der auf Psychopharmaka als wattenebelwabernder Existenzersatz verkannt wird. Ein paar Knöpfe eines analogen Synthesizers genügen für den Soundtrack des finalen Deliriums, das aus der eigenen Vergangenheit nur noch das alles dominierende Ich-Ich-Ich übrig gelassen hat, sich also ausser dem körperlichen Verfall und der Ermattung einer Kampfeslust überhaupt nicht verändert hat. Alles andere ist scheissegal. Genau genommen schreibt dieses Stück einen Loop, der nach tausenden von Stunden Bemühung um ein oberflächenpoliertes Wohlgefühl wieder am exakt gleichen Ort landet – minus Hoffnung, minus Illusionen, minus Lebensenergie. Kein Wunder, erzielt diese Parforceleistung des Ensembles (mit Gästen) zuletzt nicht nur der baren Dauer wegen ein nahezu komplettes Gefühl von Erschöpfung im Publikum. Eigenartigerweise aber geht einem diese über weite Strecken starke Darstellung eines alle ergreifenden Bedürfnisses nach Selbstdistanzierung von der früheren Selbstinszenierung und -behauptung alias Rückzug aus der Welt, seinerseits emotional komplett am Arsch vorbei. Obs dran liegt, dass wir derselben Generation entstammen?

 

«Das Leben des Vernon Subutex», bis 23.2., Theater Neumarkt, Zürich.

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