Nichts zu feiern

Freude herrscht! Nicht nur bei Adolf Ogi, der seinen Erfolg beim Neat-Entscheid in Fels gehauen sieht. Euphorie allenthalben, zumindest medial. Erlebten wir je einen solchen Hype?

Vielleicht nervt er mich doppelt, weil ich damals Nein gestimmt habe. In der hart geführten Auseinandersetzung war unser Hauptargument, dass die mit der gigantischen Investition am Gotthard versprochene Umlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene nicht gesichert sei. Prompt wurden die politischen Proklamationen gebrochen; das Ja zur zweiten Auto-Röhre machte auch die als Garantie lancierte Alpen-Initiative irrelevant. Ich sehe keinen Grund zum Feiern. Weil wir wieder einmal den Längsten haben? Dass der Tunnelbau weit weniger Tote forderte als das vorletzte «Jahrhundertwerk», kann Anlass zur Anerkennung technischen Fortschritts sein. Dann müsste die sonst gern eingeschobene Floskel, jeder Tote sei einer zu viel, das Spektakel dämpfen. Sie starben für Unnötiges: für eine halbe Stunde weniger Reisen – nicht mehr durch Landschaft, im längeren Loch! Und wenn die Güter eines Tages doch noch aufs Gleis kommen sollten, werden auch diese Transporte mehrheitlich überflüssig sein.

Aber das ist ja alles ohnehin bald kein Problem mehr. «Wir werden in den nächsten fünf bis zehn Jahren auf den Strassen eine Revolution erleben», gab Peter Bodenmann dem TA zu Protokoll. Der hat den «alpinen Politiker» neben der Teufelsbrücke befragt, zusammen mit Franz Steinegger, der jedoch ein volles Jahrzehnt schätzt, bis «Laster ohne Chauffeur als Konvois elektrisch» unterwegs sind. Irgendwo müssen sich SP und FDP unterscheiden. Ansonsten sieht Steinegger die «rosa Zukunft», welche Bodenmann via ‹work› regelmässig bei den Gewerkschaften propagiert, ähnlich. Andere tun sich mit seiner frohen Botschaft schwerer. «Leider ist bei Linksgrün immer noch der alte Jammeri-Sing-Sang angesagt.»

Stimmt nicht, höre ich die Genossen Hoesch und Schaffner protestieren. Sie hätten doch im P.S. letzte Woche ganz im Geiste von Bodenmann für einen verkehrspolitischen New Deal im Kanton Zürich geworben. «Weichen stellen, Wahlen gewinnen», lautete der Titel. Momentan «werfen die Banken den staatlichen Einrichtungen das Geld förmlich nach», um moderne Infrastrukturen für den wachsenden Verkehr zu schaffen. Mit zum Deal gehört, «ab und an den Ausbau des Strassennetzes» mitzutragen, wenn dies den Abbau von Stau ermöglicht.

Die damit demonstrierte «sozialdemokratische Lösungsfähigkeit» würde vom Volk positiv quittiert. Solches war schon 1991 in der SP zu hören, als die Grüne Partei sich gegen die Neat stellte. Ursula Koch allerdings, einst Stadträtin in Zürich und eine für viele unbequeme Präsidentin der SP Schweiz, hatte bereits im Zusammenhang mit S-Bahn und Bahn 2000-Planungen gewarnt, dieser Ausbau werde in Zukunft nicht nur Gutes bewirken.

Gut, hat der TA im «Countdown» zur Tunneleröffnung an jene «Debatte um ökologische Risiken von Bahnprojekten» erinnert. Koch habe vom «Verlust an Lebensqualität durch Übernutzung» gesprochen. «Man kann dann problemlos in Basel wohnen und in Zürich arbeiten», sagte sie. «Es fragt sich nur: problemlos für wen?»

Bodenmann wie Steinegger wollten und wollen keine Bedenkenträger sein. Sie klopfen sich auf die Schulter. «Der ökologische Umbau ist inzwischen ein Sonntagsspaziergang», meint der Walliser; der Urner klagt, die Umweltpolitik sei in Umweltbürokratie abgeglitten. «Aber ich bin ja nicht mehr verantwortlich.» Für die zweite Auto-Röhre warb er aktiv. Falls am 5. Juni eine «Milchkuh»-Kalberei zusätzliches Geld in den Strassenbau spülen sollte, wird wohl demnächst ein Basisdurchstich für den Privatverkehr gefordert. Dann könnte auch die nächste Generation einen Jahrhundertbau bejubeln.

Hans Steiger

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