Nicht stehenbleiben

Die Filmauswahl des schwullesbischen Filmfestivals PinkApple zwingt einen im positiven Sinne immer wieder, vermeintliche Gewissheiten infrage zu stellen. Auch indem sie die selbstsicher hochgehaltene Toleranz jedes Jahr neu strapaziert und einen damit die Ansätze von Scheuklappen einer privilegierten Perspektive bewusst macht.

 

Die Denkbequemlichkeit könnte einen dazu veranlassen, sich kolossal darüber aufzuregen, dass das Doppelleben – offizielle heterosexuelle Partnerschaft bei heimlich-paralleler homosexueller Liebschaft – in Filmen aus Mexiko, Israel, dem Kosovo, Argentinien und den USA einen gefühlt grossen Anteil am 21. Programm von PinkApple einnahmen. Weil aber die zentralen Fragestellungen dieser Filme sich überhaupt nicht damit aufhalten, diesen Umstand zu problematisieren, sondern sich darüber hinaus weit komplexeren Lebensrealitäten zuwenden, sieht man sich zwangsläufig mit einer vielschichtigeren Auslegung des Begriffes Diversität konfrontiert, was einem die eigene latente Begabung zum verkürzenden Schwarzweissdenken vor Augen führt. Viele der Filme dieses Jahr begnügen sich nicht mehr mit einer Problembenennung, sondern beleuchten individuelle Lebenssituationen so nuanciert, dass sich die Menschenwürde im ganzen humanistischen Sinn noch über die Definitionen von sexuellen Neigungen und Identitäten hinweg in den Mittelpunkt stellt. Das mag streckenweise verwirren, ist aber bei nochmaligem Überdenken nur konsequent und darin auch ein Signal der Weiterentwicklung von Bewusstsein und Bewusstwerdung, dass Diversität umfassend zu verstehen und zu leben ist.

 

Auf Messers Schneide

Im vergangenen Jahr zeigte PinkApple den Film «Check It» von Dana Flor und Toby Oppenheimer, der dokumentierte, wie sich eine Gruppe von obdachlosen schwulen und transidenten Strassenprostituierten in Washington DC selbstorganisierten, um ihr Überleben durch Solidarisierung bestmöglich zu gewährleisten. Wie schmal der Grat ist, auf der Strasse zu landen und für ein Weiterleben zum Verkaufen des eigenen Körpers genötigt zu werden oder trotz Abweichung der Verhaltensnorm nicht aus dem Schutzraum Familie verstossen zu werden, thematisiert dieses Jahr «Saturday Church» von Damon Cardasis. Die Vorliebe des 14-jährigen Ulysses, Mutters Kleiderschrank zu plündern und in Abendkleidern und Highheels durch die Wohnung zu stolzieren, ist der ganzen afroamerikanischen Verwandtschaft bekannt. Als das Familienkonstrukt durch den überraschenden Hinschied des Vaters aus den Fugen gerät, ist die Mutter gezwungen, einen Zweitjob und die Hilfe für die Kinderbetreuung der Schwägerin Rose anzunehmen. Schliesslich kann sie Ulysses und seinen noch jüngeren Bruder Ape nicht sich selbst überlassen. Rose führt ein strenges Regime, in dem auch das Kinderzimmer kein Schutzraum vor der Härte der Lebensrealität von Schwarzen in New York ist. In einer Mischung aus gottesfürchtigem Leben und Ohnmacht gegenüber Ulysses starkem Drang zur Travestie kennt sie zur Inschutznahme der Unversehrtheit des Jungen einzig das Mittel der Prügelstrafe. Sie stützt ihre hartes Durchgreifen sinngemäss mit den Worten: «Du bist zu deinem Nachteil schon ein schwarzer Junge. Da kannst du nicht auch noch schwul sein.» Er beginnt die Wohnung zu meiden, streunert herum, auch nachts. Auf der Strasse begegnet er einer Gruppe transsexueller Prosituierter, die sich fürsorglich seiner annehmen und ihn in die titelgebende – und in New York tatsächlich existierende – «Saturday Church» mitnehmen. Ein Hort der Sicherheit, menschlichen Wärme, Armenspeisung und Obdachlosenfürsorge. Für Ulysses wirkt dieser Schutzraum, in dem alle so sein können, wie sie sind, und die emotionale Wärme, die ihm die Gruppe entgegenbringt, wie eine Offenbarung. Nach der zwangsläufig folgenden nächsten Auseinandersetzung mit Tante Rose nimmt er gestärkt von dieser Erfahrung wieder reissaus. Allein: Es ist nicht Samstag. Also besteht der Schutzraum nicht und auch die Gruppe rund um Joan findet er nirgends. Allein auf einem Treppenaufsatz, vom Regen durchnässt, nimmt sich ihm ein vermeintlich freundlicher Geschäftsherr an. Die Fortsetzung dieser Begegnung liegt auf der Hand. Komplett derangiert, beschmutzt, erniedrigt und frierend steht Ulysses vor der Wahl des kleineren Übels und entschliesst sich zu einem letzten Versuch, zuhause unterzukommen. Im Spielfilm – mit musicalähnlichen Einlagen – stellt sich seine Mutter rückhaltlos hinter ihn und gegen Rose. Seine zwiespältigen Erfahrungen auf der Strasse und die erfahrene, grenzenlose Mutterliebe bestärken ihn darin, fortan seinen effeminierten Hüftschwung beim Gehen in ein kontinuierlich tanzendes Gehen umzuwandeln und damit gleichzeitig ein Gefühl von Befreiung zu erleben und das Glotzen der Umgebung in eine unverfängliche Richtung zu kanalisieren. Ein Schicksal auf Messers Schneide, kinotauglich in Hoffnung umgemünzt.

In der kroatisch-tschechisch-mazedonisch-slowenischen Koproduktion «The Constitution» von Rajko Grlic stehen sich Nationalismus und der Hass gegenüber den anderen Ethnien und die ebenso einem Hass nahe abgrundtiefe Verachtung für Homosexuelle in einem Patt gegenüber. Der kroatische Literaturprofessor Vjeko ist gleichzeitig ein glühender Nationalist, wie ein um seine Lebensliebe Boris trauernder Homosexueller, der sich nachts travestiert und ein Zweitleben als Katharina führt. Stoisch pflegt er den kriegsverletzten Vater, ein gefeierter Held und abgrundtiefer Schwulenhasser, was er ihm zu jeder Gelegenheit mit Drohungen und Beschimpfungen wie «ich hätte dich töten sollen, als ich es noch konnte» unterstreicht. Bei einem seiner nächtlichen Streifzüge wird Vjeko krankenhausreif geprügelt und ist fortan auf die Hilfe der serbischen Nachbarin und Krankenschwester Maja angewiesen. In Zagreb haben sie und ihr Gatte Ante ein schwieriges Los, selbst Jahrzehnte nach Kriegsende dominiert der Völkerhass noch die Köpfe. Ante hat Aussicht auf eine Anstellung als Polizist, qua Quote zwar und im Alltag immer wieder auch behördenintern schikaniert, was sich etwa darin äussert, dass er für die Aufnahmeprüfung die gesamte Verfassung auswendig können muss. Nur tut sich Ante ausgesprochen schwer mit Lernen. Maja schlägt Vjeko den Tauschhandel Gratispflege seines Vaters gegen Gratislernhilfe für ihren Mann vor, woraufhin ein äusserst fragiles Zweckgebilde seinen Anfang nimmt. Auf beiden Seiten braucht es nicht viel, um den schwelenden Konflikt wortreich und beleidigend eskalieren zu lassen. Verständigung wie Friedensarbeit und auch die Akzeptanz von verschiedenen Lebensentwürfen benötigen einen augenscheinlich sehr viel grösseren, bewussten Kraftakt, als das sich Verschanzen in den Schützengräben der eigenen Rechthaberei und der Selbsterhöhung gegenüber einem vermeintlich minderwertigen Dasein eines anderen. Selbst wenn «The Constitution» gewöhnungsbedürftig schwülstig dramatisierend daherkommt und sich die Handlung etwas gar eilends um eine Auflösung in Minne bemüht, so wird dank der Konstellation dennoch sehr vieles an Grundlegendem im Überwinden von Hassschranken und deren allfällig abgemilderten Äquivalenten manifest. Der (Un-)Wille zu Verständigung und Respekt ist hier über die Männerfiguren gleichmässig verteilt, die Anstrengung, die eigene Komfortzone des Denkens zu überwinden, kostet sie genau gleich viel Selbstüberwindung. Die schwule Hauptfigur genauso fehlbar wie alle anderen zu zeichnen, ist bedenkenswert.

 

Wild um sich schlagen

Heftig ist die Schräglage wie auch das dagegen Ankämpfen in «Tinta Bruta» von Filipe Matzembacher und Màrcio Reolon («Beira-Mar», PA 2015). Der Waise Pedro lebt mit seiner Schwester Luiza in einer heruntergekommenen Hochhaussiedlung. Alle wollen in diesem Film nur raus aus Porto Alegre und jedeR ist sich selbst der/die nächste. Das Einzelkämpfertum in Kombination mit einer offensichtlichen beruflichen Chancenarmut ergreift auch Luiza, die ein Stellenangebot im fernen Santiago annimmt. Nicht ohne zuvor ihrem Bruder während einer Gerichtsverhandlung beizustehen. In der Schule wurde der junge Mann dermassen intensiv und lange wegen seiner Homosexualität gemobbt, bis er handgreiflich ausfällig wurde. Die gewaltsame Einforderung von Respekt kostete Pedros Gegenüber ein Auge, was zur gerichtlichen Einvernahme führt, mit der die Handlung beginnt. Die Chance, mit einer Bewährungsstrafe davonzukommen, wirkt intakt, zumal die Richterin offenbar gewillt ist, die seelische Grausamkeit des Mobbers mit der körperlichen Gewaltanwendung durch Pedro gleichermassen berücksichtigend in ihre Urteilsfindung aufzunehmen. Bis dahin dauert es noch seine Zeit, die aber Luzia nicht hat, will sie die Chance für ihr berufliches Fortkommen ergreifen. Ausser diesem einen Ausraster wirkt Pedro vernunftbegabt und so erwachsen, als könne er sich selber durchschlagen. Einfach ist es in dieser Stadt für niemanden. Und er hat mit seiner Rolle als Internetstripper einerseits einen Ort, an dem er die Fäden des Handelns in Händen hält und andererseits ein bescheidenes Einkommen generiert. Seine Einzigartigkeit aber, das Hantieren mit Schwarzlicht und Neonfarben, ist Gerüchten zufolge kopiert worden. Schon wieder drängt aus Pedro die bare Wut, gleichwohl ihm bewusst ist, dass er nicht sämtliche Hindernisse niederknüppeln kann. Also lädt er seinen Konkurrenten Leo zu einem klärenden Gespräch zu sich ein. Die Anziehung zwischen den ungleichen jungen Männern gleicht einem coup de foudre. Ihre einmalig gedachte, gemeinsame Internetschau entwickelt sich zu einer heftig-zärtlichen Liebesnacht – vor laufender Kamera. Am Morgen danach eröffnet Leo Pedro die zweischneidige Nachricht, dass er seine Einzigartigkeit der Internetperformance bald wieder für sich selber habe, weil sich Leo ein Tanzstipendium bei einer Compagnie in Berlin ertanzt hat und demnächst abreisen wird. Die zaghafte amouröse Annäherung, die der Brutalität des Alltagslebens und der Not, sich selber durchzuschlagen, ein Gegengewicht aus emotionalem Halt hätte geben können, wird also nicht von Dauer sein. Alternativen werden restlos ausgeschlossen, als Leo erzählt, er habe ein vergleichbares Angebot schon einmal aus Liebe ausgeschlagen und habe zum Schluss ohne das eine und ohne das andere dagestanden. «Tinta Bruta» ist ein Trotzdem-Film, denn Pedros Situation sieht finanziell, emotional und beruflich nach einem einzigen Scherbenhaufen aus, aus dem es allerdings keinen einfachen Ausweg gibt, ausser der Mobilisierung sämtlicher eigener Kräfte. «Tinta Bruta» gewann an der letzten Berlinale den «Teddy Award» und sticht auch deutlich aus dem diesjährigen PinkApple-Programm heraus. Als geglückte Gratwanderung zwischen zart und hart, die sämtliche Lebensbelange aller Figur durchdringt. Ein steter Kampf um die Erfüllung von Sehnsüchten und seien diese vermeintlich noch so profan. Im Abspann beginnt Pedro – ganz allein – zaghaft zu tanzen, am anderen Ende der Welt in einer komplett verschiedenen Lebensrealität als der eigenen.

 

PionierInnen gedenken

Aus vielen Filmen Pedro Almodóvars seit 1993 ist die rauchig-tiefe Stimme der mexikanischen Sängerin Chavela Vargas (1919 – 2012) einer grossen Öffentlichkeit bekannt. Der Regisseur selbst sorgte für ihr musikalisches Wiederauferstehen und ihre Eroberungstournée der Herzen Europas. Dreizehn Jahre war sie zuvor in der Versenkung verschwunden. Viele glaubten, sie wäre bereits verstorben. Im Film «Chavela Vargas» von Chatherine Grund und Daresha Kyi, in dem auch Interviewmaterial mit ihr selbst verarbeitet ist, wird ihr Leben und Wirken posthum gewürdigt – und am PinkApple mit dem Publikumspreis ausgezeichnet. Es ist ein Hochgenuss, zu sehen, wie eine schnippische Neunzigjährige findet, es sei doch sehr viel interessanter zu fragen, was ihr noch bevorstehe, als was sie in ihrem Leben bisher alles geleistet habe. Wenn sie vor dem Schminkspiegel seufzt, «ich sehe ja aus wie ein Transvestit», hat sie die Lacher und somit die Herzen des Kinopublikums sofort auf ihrer Seite. Dabei war das Leben des mittelamerikanischen Superstars während dreier Jahrzehnte ab den 1950er-Jahren auch tragisch. Ihre Eltern konnten mit dem rebellischen Kind nichts anfangen, sie wuchs eigenen Angaben gemäss sehr einsam auf. Im Duo mit José Alfredo Jiménez ersang sie sich mit traditionellen Ranchera genannten Herzschmerzliedern frühen Ruhm. Und das in einer Rolle, die üblicherweise Männern vorbehalten ist. Als «Mannsweib», die aus ihrer Liebe zu Frauen nie einen Hehl gemacht hatte und von der es hiess, sie wäre «mit ganz Mexiko im Bett gewesen», so gerüchteweise auch mit Frida Kahlo und Ava Gardner, war sie eine Pionierin, die für ihren Erfolg jedoch teuer bezahlte. Die Schattenseite des Berühmtseins und des erfolgreichen Tingeltangelns war bei ihr der Alkohol. Erst brachte er ihr den kaum je versiegenden Rausch, dann die Krankheit, den Verlust sämtlicher Engagements, schliesslich die Pleite und in der Folge Jahre des Rückzugs, die fast zu ihrem Vergessen geführt hätten. Sie nennt im Film den Alkoholismus «eine psychische Krankheit» und wird inmitten dieses Ernstes auch noch schwermütig, wenn sie über die Liebe spricht: «Die ewige Liebe gibt es nicht. Die Liebe existiert zwar, aber sie ist flüchtig. Darum muss man im Hier und Jetzt leben.» Ihre Singstimme erschüttert die Zuhörerenden bis ins Mark, dermassen viel Emotion und Schmerz legt sie in ihren Gesang. Ein Leben in Extremen, dem erst im hohen Alter die Träume von Auftritten in der New Yorker Carnegie Hall und dem Pariser Olympia erfüllt wurde, nur der letzte, singend auf der Bühne tot umzufallen, wurde ihr versagt. Eine stolze Frau und eine von Vergessenheit bedrohte Vorreiterin, von der aktuell gerade noch vier Platten aus den späten Jahren im Verkauf sind (Streamingdienste bilden indes die Fülle ihres Werks ab). Eine Dokperle zur rechten Zeit, die darüber hinaus eine langjährigen Tradition von PinkApple fortführt, herausragende Figuren von früher einem jüngeren Publikum ins Bewusstsein zu bringen.

Eine weitere PinkApple-Tradition besteht darin, aktuellen Kassenschlagern zu ihrer historischen Einbettung durch eine filmische Zweitperspektive zu verhelfen. So geschehen mit «Codebraker» über Alan Turing 2013 und jetzt wieder mit «Professor Marston And The Wonder Women» von Angela Robinson. Formal ist das gepflegteste MainstreamUnterhaltung aber inhaltlich sehr aussagekräftig bezüglich des subversiven Potenzials der Comicfigur «Wonder Woman», über das die gleichnamige Verfilmung von Patty Jenkins im letzten Jahr so überhaupt gar nichts mitlieferte. William Marston ist Philosophieprofessor an der Eliteuniversität Harvard. Seiner Gattin Elizabeth, einer ebenso begnadeten Forscherin, verwehrt ebendiese Universität den Doktortitel – «weil ich eine Vagina habe?» Gemeinsam arbeiten sie an der Entwicklung des Lügendetektors und finden in der Assistentin Olive eine nicht minder begabte Nachwuchskraft. Beide verlieben sie sich je in Olive und beginnen eine langjährige Dreiecksbeziehung mit gemeinsamem Haushalt und Kindern. Im prüden Amerika der 1940er-Jahre ein Skandal ohnegleichen, zumal die drei mit experimentellen Sexualpraktiken wie Unterwerfung/Dominanz spielerisch zu experimentieren beginnen. Die feministischen Ideale beider Frauen zusammengenommen ergeben, als sie ihr Familieneinkommen verlieren, weil durch den Skandal auch Williams Stelle gekündigt wird, die Grundlage für die Heldinnenfigur der Wonder Woman, die in der Urfassung sehr viel mehr war als eine knapp bekleidete, Männer abstrafende Amazone. Natürlich codiert und verklausuliert, aber aus dem Zeitgeist heraus sehr deutlich verortbar. Das Erscheinen und der Erfolg des Comics führte zu öffentlichen Heftverbrennungen und scharf geführten Befragungen vor einer Art Sitten- und Moralgericht. Die Regisseurin Angela Robinson, die bereits mit «D.E.B.S.» am PinkApple vertreten war, legt neben dem Nacherzählen der Hintergrundhandlung auch einen feinfühlig austarierten Fokus auf die emotional vertrackte Gemengelage einer Liebesbeziehung, in die zeitgleich drei Herzen involviert sind.

 

45 Jahre später

Zwischen 1972 und 1980 erschien mit dem «Ms. Magazine» (Miss Magazine) die erste mainstreamfeministische Zeitschrift mit zu Hochzeiten einer Auflage von über einer halben Million Exemplare. Auf dem Cover der ersten Nummer: Wonder Woman. 45 Jahre später findet die Künstlerin und Filmemacherin Irene Lusztig in einem Archiv unveröffentlichte Leserinnenbriefe an «Ms. Magazine» und macht sich auf die Suche nach den damaligen Schreiberinnen. Weil sich dieses Konzept als zu eng herausstellt, um daraus einen Langfilm zu produzieren, erweitert sie das Feld ihrer Zeitvergleichsrecherche auf Frauen gleichen Alters, Hautfarbe, Milieu und Situation wie die Absenderinnen und bitte auch sie, die damaligen Briefe vorzulesen und ein heutiges Statement bezüglich dieser bald 50-jährigen Aussagen über die Situation der Frau in den USA abzugeben. Weil «Ms. Magazine» damals eine so grosse Verbreitung fand, kann man mit Fug und Recht von einer repräsentativen Momentaufnahme sprechen. Dem 13-jährigen schwarzen Mädchen aus einer Kleinstadt, das als Berufswunsch «Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika» angab, war dies 1972 genauso ernst, wie es ihrer heutigen Entsprechung partout nicht einleuchten will, was daran Aufsehenerregender sein soll als Astronautin, Schönheitskönigin oder Ärztin. «Yours in Sisterhood» ist auch formal konzeptig, aber dem Drang, aufzustehen, spielt die Vielfalt und die Anordnung der Statements komplett zuwider. Mit jedem neuen Brief und jeder neuen Jetztbeschreibung der vergleichbaren Lage erweitert Irene Lusztig die Vielzahl von möglichen Unrechten alias Diskriminierungen, die Frauen damals wie heute benachteiligen. Daraus kann der Schluss gezogen werden, es hätte sich nichts verändert. Noch vorher aber dringt durch all die Aussagen ein offensichtlich lange schon bestehendes Unrechtsbewusstsein bezüglich emanzipatorischer Gleichbehandlung und die Bereitschaft, sich in einem schwierigen gesellschaftlichen Umfeld durch den Abdruck dieses Leserinnenbriefes öffentlich dazu zu äussern, sich also zu exponieren. Mit der Fülle der Briefe, Lebenssituationen und dem ungemein breiten Themenspektrum wird offensichtlich, wie weitreichend die Behinderung von Frauen bezüglich ihres privaten, beruflichen oder gesellschaftlichen Fortkommens eigentlich tatsächlich ist, und darüber hinaus vermittelt der Film auch eine Art Gemeinschaftsgefühl, das das «Ms. Magazine» augenscheinlich in den Jahren seines Erscheinens durch die selbstbewusste Themensetzung und dem wiederholten Treffen eines Nervs damals in abertausenden von Haushalten in den USA herzustellen vermochte. Eine Mittlerfunktion, die für Waffennärrinnen wie lesbische Prostituierte, gehörlose Frauen wie brustamputierte, inhaftierte wie gläubige Hausfrauen gleichermassen funktionierte und ihnen einen Frei- und Schutzraum zumindest in den Köpfen ermöglichte – via Papier. «Yours in Sisterhood» ist die heimliche Sensation dieses Jahres.

Einen anderen Bogen zurück spannt «After Louie» von Vincent Gagliostro. Der ehemals gefeierte Maler Sam steckt im Hochlebenlassen des Früher und damit auch im Selbstmitleid fest. Der 60-Jährige durchlebte die frühe Schwulenbewegung in New York und damit auch den jähen Schock der Aidsepidemie. Seit Jahren schon werkelt er an einem Kunstfilm über den verstorbenen Louis herum. Er übersieht in seiner Hingabe für dieses Projekt aber, dass er damit sein Andenken komplett allein für sich beansprucht und weitere ihn liebende Menschen, wie einen ehemaligen Partner übergeht und seine ganze Umgebung damit auch emotional erpresst. Denn Sam gilt als schwierig, was seinen Freundeskreis veranlasst, ihn bloss mit Samthandschuhen anzufassen. Eine Wende bahnt sich an, als er den jungen Braeden aufreisst – und ihn für einen Stricher hält. Die 500 Dollar in seinem Turnschuh am nächsten Morgen nimmt der moderne Schwule trotzdem, weil er und sein Langzeitpartner finanziell kämpfen. Jules ist HIV-positiv, dank der Therapie aber undetectable, Braeden selbst nimmt PrEP, die chemische Vorsorge, sich nicht mit HIV anzustecken. Ihre Beziehung leben sie sexuell offen. Obschon Sam, ein Kind der sexuellen Revolution, gegenüber Besitzansprüchen in einer Paarverbindung theoretisch immun sein müsste, irritiert ihn der freie Umgang miteinander von Braeden und Jules wie auch ihr stark von seinem unterscheidenden Verhältnis gegenüber HIV und Aids, das sich nicht zuletzt in Braedens Aussage «who needs another aids-movie anyway?» über Sams Herzensprojekt äussert. Vergleichbar mit einem Esel, den man erst zur Seite schubsen muss, wenn er sich weigert, weiter geradeaus zu gehen, wirkt die Bekanntschaft mit Braeden auf die Festgefahrenheit von Sam. Durch die vielfältigen Irritationen, die Braedens Haltung und Handeln in Sam auslösen, beginnt er auch gegenüber seinen alten FreundInnen und ihren Bedürfnissen eine Offenheit zu entwickeln. Die Erkenntnis, nicht als einziger die ganze Wahrheit für sich gepachtet zu haben, wird in «After Louie» als anstrengender, nicht aber unmöglicher Weg gezeichnet.

 

Früher Widerstand

Was in New York die Stonewall-Krawalle 1969 waren, war in Sydney neun Jahre später der Zusammenschluss von Schwulenaktivisten und Gewerkschaften, die gegen die Polizeigewalt einen Mardi-Gras-Marsch abhielten und damit den Grundstein für die moderne Homosexuellenbewegung in Australien legten. Jeffrey Walker verpackt seine Ehrung für frühe Aktivisten in «Riot» in ein Biopic von Lance Gowland, einem aufsässig renitenten Vorkämpfer für gleiche Rechte. In jeder gesellschaftlichen Bewegung gibt es die vorsichtig diplomatisch taktierenden, die Mitläufer und eben auch selbstbewusst vorpreschende Heisssporne wie Lance. Durch die brutale Niederschlagung des ersten – polizeilich vorgängig bewilligten – Demonstrationszuges, der trotz Drohgebärden der Obrigkeit gleichentags die Abendnachrichten dominiert, entstand eine breite Solidaritätsbewegung, die quer durch die ganze Bevölkerung ging. Dem charismatischen Lance glückte die weitere Mobilisierung und die trotzige Wiederholung der Demonstration, zu der die gewaltbereiten Polizisten unter öffentlicher Beobachtung für den Ausdruck ihres Unmuts nur noch verbale Beschimpfungen, nicht aber ihre Schlagstöcke zu gebrauchen sich trauten. Hinsichtlich der beelendenden Nachrichten aus vergangenen Jahren bezüglich gewaltsamen Niederschlagungen von Pride-Demonstrationen in Belgrad, Moskau, Kiew oder Budapest wo sich Polizei und Nationalisten gemeinsam auf die friedlich Demonstrierenden stürzten, ist «Riot» auch ein positives Signal in die Welt, sich für die Durchsetzung der eigenen Rechte auch gegen Schlagstöcke zur Wehr zu setzen und mittels medialer Präsenz den öffentlichen Druck so lange zu steigern, bis eine Veränderung erreicht ist.

In Finnland galt Homosexualität bis 1971 als Verbrechen, bis 1981 als Krankheit, wie der zur Premiere von Dome Karukoskis «Tom of Finland» angereiste finnische Botschafter – mit Gatte – in seiner Ansprache in Erinnerung rief. Die zwei Stunden Historienfilm sind ein wenig zäh, aber erzählen anhand des Werbeillustrators Touko Laaksonen, der als Tom of Finland mit seinen einschlägig homoerotischen Männerdarstellungen – alles kerlige Muskelberge mit immensem Gemächt – von den USA ausgehend zu einer Ikone wurde. Klandestin, wie in Zürich die Zeitschrift «Der Kreis», schmuggelte er seine Zeichnungen nach dem Zweiten Weltkrieg ausser Landes und fand später in Kalifornien einen Verleger für seine gezeichneten pornografischen Männerträume, der diese wiederum weltweit verbreitete. Als sich Aids, damals noch als «Schwulenseuche» beschimpft, auszubreiten begann, sah er sich als Urheber freizügigster Bilddarstellungen in der Pflicht und engagierte sich als Kampagnenunterstützter mit Bildern, Geld und seinem Künstlernamen für die Aufklärungs- und Präventionsarbeit der ersten Stunde. Die filmische Gegenüberstellung der Polizeipräsenz in Kalifornien und in Finnland gehört mit zu den einprägsamsten Momenten des Films: Während über finnischen Privatsalons und in Parks eine latente Angst hing, zeigt Dome Karukoski das damalige Kalifornien als regelrechtes Paradies: Zwar stürmt auch hier ein Polizeiaufgebot eine ausgelassene Poolparty in einem ausgedehnten Privatgrundstück, aber sie sind auf der Suche nach einem Verbrecher, und als sie diesen hier nicht finden, wünschen die Uniformierten den sie umgebenden Nackedeis «weiterhin viel Spass, Jungs.» Hinzu kommt, dass just dieses Bild, wie eine neckische Nebenbemerkung, exakt der filmischen Übersetzung der Tom of Finlandschen Phantasie entspricht…

 

Unfrei, auch im Kopf

Die Angst vor den Folgen eines Outings und/oder das nicht existierende Vorbild eines möglichen homosexuellen Lebensentwurfes in Kombination mit einer Selbstschutzmassnahme, sich wegzuducken und via Nichtauffallen unbehelligt leben zu können, thematisieren einige Filme. Auffallend stark ist dabei die Macht der Schere in eigenen Kopf, die Betroffene zu einem Leben in Selbstgeisselung und Entbehrung veranlassen kann. Richtiggehend tragische Ausmasse nimmt diese Jugendliebe zwischen Isauro und Evaristo in «Sueño en otro idoma» von Ernesto Contreras an. In einem entlegenen mexikanischen Dorf sucht der Sprachforscher Martin nach der noch lebenden Tradition der indigenen Sprache Zikril. Er findet sich in einer Welt wieder, in der die Geister der Verstorbenen einen grossen Einfluss auf die Lebenden haben und in der die Moderne kritisch beäugt wird. Die anfängliche Übersetzerin verstirbt im hohen Alter. Also muss Martin den gebildeteren Evaristo, der auch Spanisch spricht, dazu überreden, mit ihm den ausserhalb des Dorfes ein Einsiedlerdasein fristenden und nur Zikril sprechenden Isauro zu einer Tonaufnahme der Originalaussprache zu überreden. Vor fünfzig Jahren verband die beiden Männer eine Jugendliebe. Seither haben sie kein einziges Wort mehr miteinander gewechselt und sie werden auch im Film in diesem Leben nicht mehr zueinander finden – dafür im Tod. Bemerkenswert ist, dass der ausserhalb der Gesellschaft lebende Isauro ein tendenziell unbelasteteres Gemüt hat als Evaristo, der sich damals gewaltsam gegen diese Liebe sträubte und mit der Dorfschönheit eine Familie gründete. Wie sehr die Gram eines weit zurückliegenden, eigens begangenen Unrechts sich über Jahrzehnte in eine Seele fressen kann, wird hier erschütternd exemplarisch verhandelt.

Auch Adi ist als ethnologischer Forscher in «Soldiers. Story from Ferentari» von Ivana Mladenovic unterwegs. Zumindest, was die Rahmenhandlung in einem Bukarester Vorort anbelangt. Er holt sich den bärig-bulligen Rom Alberto gegen Bezahlung ins Bett. Zuallererst möchte man die Selbstverständlichkeit, mit der Alberto über das Geld, die Zeit, die Wohnung und das emotionale Zärtlichkeitsbedürfnis von Adi zu verfügen beginnt, als typisches Verhalten von fremdländischen Strichern abkanzeln, die sich einen wirtschaftlich bessergestellten Westler geangelt und am ausgestreckten Arm emotional hungern lassen und dafür abkassieren. Schnell aber ertappt man sich, einer westzentrierten Perspektive aufgesessen und die faktische Rollenverteilung komplett verkannt zu haben. Denn wenn schon von einem Opfer-Täter-Gefälle die Rede sein kann, dann ist der Musikalienforscher der Eindringling in eine eigenständig funktionierende Gesellschaft. Ferentari ist mehrheitlich von Roms bewohnt, die in der rumänischen Gesellschaft ausgegrenzt leben, für alle Verbrechen als schuldig angesehen werden und die sich nicht zuletzt darum ihre Clanstruktur zum Selbstschutz bewahrt haben. Es ist ein Leben voller Schikane und weit unter der Armutsgrenze. Dass sich Alberto vor Sanktionen des weitherum verwandten Clanchefs fürchtet, hat viel weniger mit seiner – im Gefängnis noch tolerierten – Männer liebenden Lebensweise zu tun, als sie ihre faktische Berechtigung darin hat, dass Alberto schlicht Geld unterschlagen hat. Das Versteckspiel hat also weitaus mehr, wenn nicht sogar überhaupt andere Gründe als eine nicht opportune sexuelle Ausrichtung, was die gesamte Ambivalenz in diesem Film noch viel stärker verkompliziert. Gleiches gilt die eine mögliche Identifikation mit einer der Figuren. Wer schnell im Vorverurteilen ist, könnte in diesem gewöhnungsbedürftig schrillen Film banal fehlendes Rückgrat monieren, wird damit aber der komplexen Gemengelage nicht gerecht. Denn letztlich ist «Soldiers» ein veritabler Angriff auf jegliches Schwarzweissdenken im Publikum, und sei es noch so gut versteckt.

 

Selbstbefreiung

Ähnlich komplex verhandeln «The Marriage» von Blerto Zequiri aus dem Kosovo, «Nadie Nos Mira» von Julia Solomonoff aus Argentinien und «The Cakemaker» von Ofir Raul Graizer aus Israel die darin – auch – vorkommende homosexuelle Komponente. Der in Frankreich im Exil lebende Kosovare Nol kehrt zeitgleich wie die anstehende Hochzeit seines ehemaligen Geliebten Bekim mit Anita zurück nach Pristina. Mit sehr viel Alkohol und reihenweise Schlägereien verbunden erzählt «The Marriage» auch von der Weigerung des Rückkehrers, die Realität in seiner Heimat, die er vermutlich im Krieg geflohen ist, zu akzeptieren. Die künftige Lebensplanung Besims in einer gesellschaftlich akzeptierten Normform mit Ehefrau und potenziellen Kindern, sind für Nol höchstens in dem Masse Stein des Anstosses wie der gefühlt beleidigte, eigene Stolz. Nach Jahren unvermittelt hier wieder aufschlagen und das Gefühl haben, die Welt würde sich auch weiterhin zuallererst nur um ihn herum drehen, stellt sich als Verkennen der Lage heraus. Nols Herausforderung in diesem Film ist der finale Schnitt mit der Vergangenheit, der er mit der zeitlichen und physischen Distanz im Kopf eine überhöhte romantisierende Note beigemischt hatte, die in der Realität der weiteren Beteiligten nicht mehr entspricht. In «Nadie Nos Mira» versucht der frühere Telenovela-Star aus Argentinien, Nico, in den USA als ernsthafter Schauspieler durchzustarten. Mit dem verheirateten argentinischen Produzenten Pedro verbindet ihn eine emotionale (vulgo sexuelle) wie auch wirtschaftliche Abhängigkeit, aus der er sich im Verlauf des Films zu befreien versucht. Kaum steht dieser für einen Geschäftstermin in New York am Flughafen, fällt Nico in die alten Verhaltensmuster zurück. Der Träumer verweigert sich nicht nur einem Weiterleben wie bisher, sondern auch dem Ziehen eines finalen – wenngleich schmerzhaften – Schlussstrichs in der On/Off-Beziehung zu Pedro. Prägnanter noch als die schwule Komponente im Film steht die Lage der mittel-/südamerikanischen MigrantInnen in den USA im Zentrum: Illegal, überbeschäftigt und unterbezahlt, sind viele gezwungen, sich beinahe rund um die Uhr zu verdingen, um über die Runden zu kommen. Die Aussicht, dass sich das absehbar verändern könnte, besteht nicht und trotzdem wird diese Lebensweise einer Rückkehr vorgezogen. Ein bedenkenswertes Opfer, das die oberflächliche Betrachtung von Fluchtgründen jenseits von Kriegen in einen allzumenschlichen Kontext stellt und einen über die Verteilung von Chancen qua Geburtsort sehr viel eindringlicher ins Grübeln versetzt, als es die auch eingeflochtene Liebes-/Abhängigkeitsgeschichte für sich in Anspruch nehmen kann. Noch weitere Grenzen von festgefahrenen Vorstellungen sprengt «The Cakemaker» von Ofir Raul Graizer. Der Konditor Thomas ist für den israelischen Geschäftsmann Omer ein Liebhaber in der Fremde, derweil er daheim Ehegatte und Familienvater ist. Als der geplante Besuch von Omer ausbleibt und Thomas in Erfahrung bringt, dass er auf dem Weg zu ihm tödlich verunglückt ist, fasst er den ungewöhnlichen Plan, dessen Frau in Jerusalem zu besuchen. Die Witwe Anat hat soeben ein Café eröffnet und kämpft mit den Koschervorschriften, die sie als nicht gläubige Jüdin ohnehin als zu überschätzt anschaut. Via Thomas’ Zuckerbäckerkünsten floriert das Café von Anat bald und expandiert. Der orthodoxe Vetter des Verstorbenen, der insgeheim auf eine Vereinigung mit der Witwe hofft, sieht die freundschaftliche Annäherung zwischen beiden überhaupt nicht gern und versucht, sie via Entzug der Koscherbescheinigung wirtschaftlich in die Knie zu zwingen. Die Komplexität von Trauerarbeit wird hier noch einmal gesteigert, da beide um dieselbe Person trauern, was Anat lange gar nicht bewusst ist. Dass sie in einem Augenblick des gemeinsamen Festhaltens im luftleeren Raum einer ungewissen Zukunft in der Backstube übereinander Herfallen, ist nicht unbedingt die zwingendste dramaturgische Entwicklung, bringt aber den Handlungsstrang insofern weiter, als der mittels dieses emotionalen Haltes wieder Hoffnung schöpfende Anat endlich die Kraft gibt, sich den Hinterlassenschaften ihres verstorbenen Gatten widmen zu können, wo sie einschlägige Briefe an und von Thomas findet. Dass an einem schwullesbischen Festival die thematisch gegebene Figurenzeichnung mitunter sehr in den Hintergrund rückt und dafür unter den Nägeln brennende Fragestellungen, die über das Sexuelle hinausgehen, kann gleichermassen als ärgerlich das Thema verkennende Programmgestaltung angesehen werden, wie es genausogut positiv konnotiert betrachtet werden kann: Denn auch ist die Nichtmehrdominanz der sexuellen Ausrichtung oder Identität in Spielfilmen ein Zeichen einer kompletten Selbstverständlichkeit, die Realität in ihrer Vielschichtigkeit abzubilden, was dem eigenen Ego als Publikum genauso wenig konstant flattiert, wie auch der reale Alltag keine unaufhörliche Freude darstellt. Aus dieser Perspektive ist die Verschiebung der zentral verhandelten Themen in Filmen auch Ausdruck eines weiteren Schrittes in Emanzipiertheit. Dafür spricht beispielsweise auch der erste überhaupt je realisierte, exemplarische Erklär- und potenzielle Lehrfilm «Diversity Exists» von Claudia Bach. Anhand einer Hospitalisierung des Schülers Orlando fächert sie den Strauss an möglichen Vorverurteilungen gegenüber anderen reichlich stereotyp herausgearbeiteten Individuen auf und schafft es durch den Twist in der Handlung, einen mehr als bloss einmal auf dem falschen Fuss zu erwischen und demonstriert: Scheuklappen sind hartnäckig…

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