- Atomkraft
Neue AKW rechnen sich nicht
Noch bis am 3. April läuft die Vernehmlassung zum indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative Blackout stoppen (siehe auch P.S. vom 10. Januar). Was wäre, wenn es in der Schweiz tatsächlich wieder möglich würde, neue AKW zu bauen? Beim Versuch, diese Frage zu beantworten, bietet sich der Blick nach Schweden an, wo sich die im Herbst 2022 gewählte bürgerliche Regierung sogleich daran machte, den Weg für neue Kernkraftwerke zu ebnen.
Diese Geschichte beginnt mit dem sogenannten Tidö-Abkommen vom 14. Oktober 2022. Was es damit auf sich hat, ist auf Wikipedia unter dem Stichwort «Tidöavtalet» nachzulesen*: Nach den Wahlen einigten sich die Christdemokraten, die Liberalen und die liberalkonservativen Moderaten mit den rechtspopulistischen Schwedendemokraten (die sie als Mehrheitsmacher brauchten) auf ein Abkommen, das Tidö-Abkommen heisst, weil die Verhandlungen auf Schloss Tidö abgehalten wurden. Die Sozialdemokraten und die Linken nannten es prompt «Schlossabkommen», da es in ihren Augen eine Übereinkunft ist, die nur dem reichen Teil der schwedischen Bevölkerung zugute kommt. Es beinhaltet nicht nur, dass Moderate, Christdemokraten und Liberale eine Minderheitsregierung bilden, mit Unterstützung der Schwedendemokraten, sondern in der Energiepolitik einigten sich die vier Parteien gleich noch darauf, das bisherige Ziel, «100 Prozent erneuerbar», umzuändern in «100 Prozent fossilfrei». Die Voraussetzungen für Investitionen in Kernenergie sollten mittels staatlicher Kreditgarantien über 400 Milliarden Kronen (ca. 35 Milliarden Schweizer Franken) «gestärkt» werden. Das Verbot, stillgelegte Reaktoren wieder aufzustarten, sollte gestrichen werden und bestehende Reaktoren sollten weiterlaufen, «solange sie sicher sind», kurz, in Schweden begann das «Zeitalter der neuen Kernkraftwerke».
400 Milliarden Kronen reichen nicht…
Am 28. September 2023 schickte die Regierung ihren Vorschlag für neue AKW ins Parlament: Künftig sollte es möglich werden, nicht nur neue Reaktoren zu bauen, sondern auch an anderen Standorten als nur dort, wo heute schon AKW stehen, wie auf der Webseite der Regierung nachzulesen ist (regeringen.se). Am 16. November 2023 präsentierte die Regierung den entsprechenden Fahrplan. Energieministerin Ebba Busch sagte, Schweden lege nun die Basis, um «wieder eine führende Kernkraftnation» zu werden. Der Fahrplan umfasste vier Punkte: Erstens sollte ein Kernkraftkoordinator angestellt werden, zweitens sollte der Staat seine finanzielle Verantwortung mittels eines «Risikoteilungsmodells» klarstellen – dies, weil nach Ansicht der Regierung die zuvor vorgeschlagenen staatlichen Darlehen über 400 Milliarden Kronen allein nicht reichen würden, um neue Kernenergieproduktion zu «stimulieren». Drittens sollten zwei neue AKW mit mindestens 2500 Megawatt spätestens 2035 verfügbar sein. Viertens sah die Regierung «angesichts des langfristigen Bedarfs an fossilfreiem Strom» einen Ausbau für nötig an, der rund zehn neue grosse Reaktoren umfassen sollte, wobei die exakten Mengen und Reaktortypen «von verschiedenen Faktoren abhängig» seien.
…es braucht auch eine Strompreisgarantie
Sodann bekam ein weiterer Experte den Auftrag, zu untersuchen, welche Art «Risikoteilung» infrage kommen könnte, um die neuen Kernkraftwerke in Schweden zu bauen. Am 12. August 2024 lieferte er seinen Untersuchungsbericht dem Finanzdepartement ab. Die Online-Zeitung altinget.se
fasste zusammen: Damit neue Kernkraftwerke Wirklichkeit werden könnten, müsste der Staat für 75 Prozent der Baukosten zinsgünstige Darlehen bereitstellen und einen Strompreis von mindestens 80 Öre (ca. 7 Rappen) pro Kilowattstunde garantieren – für 40 Jahre. Der Vorschlag ging in die Vernehmlassung, und am 15. November 2024 schrieb altinget.se von «starker Kritik an den Kernkraftwerksgeldern». Am 2. Dezember 2024 lief die Vernehmlassungsfrist ab. Tatsächlich hatten sich seit dem Start in die Debatte um die neuen Kernkraftwerkspläne im öffentlichen Diskurs vor allem die Befürworter:innen zu Wort gemeldet. Es gab aber auch Ausnahmen: Die Boulevardzeitung ‹Aftonbladet› ätzte schon am 23. Dezember 2023, «es gibt niemanden, der in Schweden AKW bauen kann». Unterdessen scheinen sich die Gegner:innen vermehrt Gehör zu verschaffen, was sich an Beiträgen in verschiedenen Medien ablesen lässt, Beiträgen mit Titeln wie «die Kernenergie löst ein Problem, das kaum existiert», «der Fahrplan hält nicht» oder «höre auf die enorme Kritik, Ebba Busch».
Strom vom AKW nicht billiger
Vor allem aber hat die Politik unterdessen zu rechnen begonnen und festgestellt, dass der AKW-Strom nicht billiger wäre, wie versprochen, sondern teurer. Dass die schwedischen Steuerzahler:innen und Stromkund:innen gezwungen werden sollten, zu zahlen, weil man sonst Investoren nicht dazu bringe, Reaktoren zu bauen, gehe gar nicht, ist auf der schwedischen Webseite von Greenpeace zu lesen. Dort findet sich zudem eine Zusammenfassung kritischer Stimmen, von Wissenschaftler:innen renommierter schwedischer Hochschulen ebenso wie von einem Wirtschaftsforschungsinstitut oder der Umweltschutzbehörde. Greenpeace selbst ist «kategorisch gegen die vorgeschlagene staatliche Unterstützung, will heissen Subventionen», die für Investitionen in Kernkraft gesprochen werden sollten. Die schwedische Gesellschaft für Naturschutz veröffentlichte am 3. Dezember 2024 eine Analyse zum Thema, wie der Ausstoss von Treibhausgasen durch den Fahrplan der Regierung für neue AKW beeinflusst werde. Klingt abgehoben? Die Argumentation geht so: Der Fokus auf neue AKW könne dazu führen, dass der Kohlendioxidausstoss rund 220 Millionen Tonnen höher ausfalle, als wenn man mit dem Ausbau erneuerbarer Energien im gleichen Stil wie bisher weitermachen würde. Das entspreche fünfmal der Menge an Treibhausgasen, die Schweden im Jahr 2023 ausgestossen habe. «Fürs Klima wäre es deshalb klar das Beste, den aktuellen, schnellen Ausbau erneuerbaren Stroms weiterhin zu ermöglichen und die Kernkraftwerkspläne zu verschrotten», wird die Generalsekretärin der schwedischen Gesellschaft für Naturschutz, Karin Lexén, zitiert.
AKW-Bau dauert länger und wird teurer
Damit zurück zu Energieministerin Ebba Busch beziehungsweise deren politischem Problem: Die bürgerliche Regierung dürfte auch dank dem Versprechen gewählt worden sein, neue AKW zu ermöglichen. Politische Gegner:innen werfen ihr unterdessen vor, es sei unverantwortlich, sich nicht einmal darum bemüht zu haben, auch andere Möglichkeiten auszuloten. Dies vor dem Hintergrund, dass es, wen wunderts, auch in Schweden länger zu gehen und (noch) teurer zu werden droht, bis erste neue AKW effektiv gebaut werden können. Noch im Dezember hatte Ebba Busch behauptet, mindestens der Spatenstich fürs erste neue AKW werde wie geplant noch vor den nächsten Wahlen erfolgen, die in gut eineinhalb Jahren anstehen.
Am 20. Februar 2025 war auf der Webseite von Sveriges television (svt.se) zu lesen, selbst die Behörde für Strahlenschutz halte fest, der Zeitplan der Regierung für neue AKW gehe nicht auf: Es gebe noch gar keine Gesuche, und die Prüfung solcher Gesuche dauere länger als bis zu den Wahlen im September 2026, nämlich mindestens zwei bis drei Jahre. Und «unsere Planung basiert nicht auf Mandatsperioden», hält der Generaldirektor der Strahlenschutzbehörde in einem Beitrag von Sveriges television fest. ‹Aftonbladet› spottete am 25. Februar 2025, falls Ebba Busch einen Spatenstich wolle, müsse sie ihn im Sandkasten machen. Doch auch das grosse Versprechen der Regierung, die zwei neuen Kernreaktoren bis spätestens 2035, könnte scheitern, heisst es auf svt.se weiter, es sei denn, mit dem Bau des ersten Reaktors könnte bis 2027/28 begonnen werden.
SMR mit Geld aus der Schweiz
Die Energieministerin kam dann doch noch zu ihrem Spatenstich, wie einer Medienmitteilung des Klima- und Wirtschaftsdepartements zu entnehmen ist: Am 3. Februar 2025 nahm Ebba Busch den ersten Spatenstich für den elektrischen Testreaktor der Firma Blykalla neben dem Kernkraftwerk Oskarshamn vor. Es handelt sich um einen Test für einen sogenannten small modular reactor, einen kleinen modularen Reaktor, abgekürzt SMR. Dieser sei «ein wichtiger Schritt im Hinblick darauf, die Technik zu demonstrieren und zu kommerzialisieren, und ein noch wichtigerer Meilenstein für schwedische Kernkraftinnovation», wird Ebba Busch zitiert.
Damit zurück in die Schweiz: Unter den 300 Reichsten des Jahres 2024, welche die ‹Bilanz› auflistet (handelszeitung.ch), findet sich auch Daniel Aegerter, «Vermögen im Jahr 2024 650 Mio.». Weiter schreibt die ‹Bilanz›, als Investor sei er mit seinem Family Office Armada Investment «ambitioniert» unterwegs: «Neu im Armada-Portfolio ist der schwedische Reaktorbauer Blykalla. Die Zahl seiner Nuklearinvestments stieg damit auf fünf.» Atomenergie sei für Daniel Aegerter «nicht nur eine Anlagechance, sondern auch eine Herzensangelegenheit», schreibt die ‹Bilanz› weiter: «Gemeinsam mit seinen Eltern ist er eine der treibenden Kräfte hinter der Initiative «Jederzeit Strom für alle (Blackout stoppen)». Aegerter sei überzeugt, dass «eine sichere und CO2-neutrale Stromversorgung in der Schweiz nur mithilfe von Atomkraft machbar» sei.
* alle Übersetzungen aus dem Schwedischen von Nicole Soland