Neoliberaler Gottesdienst
Einer auf Sensation abzielenden Unterschichten-Fernsehshow nicht unähnlich, führt «Kinder des Wohlstands» Lebensberatung suchende KandidatInnen am Gängelband vor. Zynismus in Reinform.
«Mir wänd doch alli echli Fun, echli Orientierig, echli Gmeinschaft», säuselt der Moderator Kaspar Weiss in jovial-kumpelhaftem Ton und einer demonstrativ vor sich hingetragenen, unzerstörbar guten Laune. «Min Wunsch isch es: Zäme echli vorwärts cho». Der nette Onkel, der das Publikum durch die über zwei Stunden Motivationscoaching alias «Kinder des Wohlstands» begleitet, hat sich als vertrauensbildende Massnahme die Welt von Pippi Langstrumpf als Oberfläche ausgesucht. Selber verkleidet als Kleiner Onkel – ohne Punkte, aber die würden die gesamte glatte Oberfläche des Abends eh nur irritieren – nennt er die publikumsseitig involvierten Zuschauer konsequent Tommy und Annika. Die direkte Ansprache ist augenscheinlich dazu da, die Hemmschwelle möglichst abzubauen, ein allgemeines Wohlgefühl zu verbreiten. Wie ein esoterisch angehauchter Guru oder wahlweise ein Bauernnepper der Hochfinanz oder einer selbsternannten Kirche, holt er das Publikum pädagogisch besonders wertvoll da ab, wo es sich in reiner Erwartungshaltung in eine passive Zuschauerrolle zurückziehen möchte und involviert es emotional. Das Wir-Gefühl ist wichtig, denn «mir sind doch alli meh oder weniger guet ufgstellt – mit händ doch alli Potenzial». Die permanente Betonung der Gemeinsamkeit, der absoluten Chancengleichheit in Kombination mit der Vorführung einiger vom rechten Weg abgekommenen ProbandInnen, soll die anwesende Gesellschaft ganz offensichtlich in zwei Lager spalten. Die Guten, Aktiven, die ihr Leben in die Hand nehmen, die niemals versagen und die eben Anderen. Die Schwachen, die aufgegeben haben, die sich im Konkurrenzkampf den besten Platz auf der Karriereleiter einfach so entreissen liessen und die jetzt hier sind und mit der gnädigen Unterstützung von uns allen den Weg zurück auf die Erfolgsschiene finden. Glauben ans Ich ist alles, Solidarität leeres Gewäsch. Der Parolendrescher mit sichtlich grossen Eiern am künstlichen Pferdearsch teilt nicht nur die Menschen in zwei Gruppen, sondern malt ein Bild von möglichen Situationen auf dieser Welt, die nur zwei Schattierungen kennen: Schwarz und Weiss. Mehrfach entern Johannes Suhm und Franziska Wulf die Bühne in freudiger Erwartung, jetzt auch ihr Scherflein für das Gelingen dieses Coaching-Seminars beitragen zu können, und werden von Kaspar Weiss herrisch abgekanzelt und der Bühne verwiesen. Erst als die effektiv Hilfsbedürftigen – dargestellt durch überdimensionierte Zündhölzer mit Gesichtern – an der Reihe sind, haben die beiden anderen gefälligst zur Stelle und parat zu sein. Es hagelt einen nichtssagenden Floskelregen am anderen: «Es isch immer Hoffnig drin, im System», «Du muesch Dini Social Skills usbaue», «a dinere Fruschtrationstoleranz schaffe», «entscheidend isch dini Arbet a dim soziale Defizit», «was für Dich schmerzvoll isch, isch für eus es Gschänk». Ob nun der Lehrer Markus durch Burn-out aus dem Arbeitsleben geschieden ist, die Tattookünstlerin Joy durch Arthrose am Handgelenk, oder der Ex-Werber Klaus seine damaligen Praktikanten schlecht behandelt hat, die ihn, kaum selber auf dem Chefposten, fristlos entlassen haben – der Gesellschaft die Schuld am eigenen Scheitern zu geben, ist falsch und verlogen. Ein Kandidat am anderen wird öffentlich verbal hingerichtet, als hinterletzter Versager dargestellt, der notabene immer nur selber Schuld an der eigenen Misere ist. Die alleinerziehende Mutter Eva ist einfach nicht erschienen, was Kaspar Weiss zu einer bösartigen, generellen Tirade nutzt. Erst als mit Stephanie eine Powerfrau auftaucht, die überhaupt gar kein Problem hat, sich hier einfach mal angemeldet hat, um zu schauen, ob für sie was rausschaut, das sie weiterbringt, ist der Pferdemoderator für einen kurzen Augenblick irritiert. Profi genug, verkehrt er die Situation im Handumdrehen in ihr Gegenteil und verkauft Stephanies Wankelmut als vorbildliches persönliches Engagement. Er redet sich gleich selbst in Wallung und folgert zuletzt: «Orientierigslosigkeit isch die neui Schlüsselqualifikation». Darüber gerät er in regelrechte Verzückung, die von der Musik von Arvil Baud noch unterstrichen wird mit Songtexten wie «you can be a hero» oder «it’s not the end». Flexibilität, alles einem Ziel unterordnen, bei erfahrenem Erfolg dankbar sein, beim Gegenteil die Schuld immer bei sich selber suchen, das ist das Mantra, das in «Kinder des Wohlstands» bis weit über die Schmerzgrenze wiederholt wird. Ein Hochgesang auf den Zynismus der neoliberalen Idee. froh.
«Kinder des Wohlstands», bis 29.3., Gessnerallee, Zürich.