Natürlich

Stars stillen gerade wieder öffentlich und fotografieren sich dabei. Was herauskommt, sind sogenannte «Brelfies» ( «Brusternährungs-Selfies», was ich auch erst weiss, seit ich kürzlich einen Text zum Thema im ‹Tages-Anzeiger› gelesen habe). Brelfies gibt es von Gisele Bündchen zum Beispiel, von Gwen Stefani, Angelina Jolie oder Alanis Morissette. Die Aussage ist klar: Wir sind Supermütter, wir stillen.

«Der Krieg ums Stillen», so nennt Peter Praschl in ebendiesem Artikel die regelmässig aufflammende Debatte für und wider die ‹natürliche› Ernährung von Säuglingen. Ein verwandter Kriegsschauplatz ist jene Diskussion, die kürzlich im Zürcher Kantonsrat stattgefunden hat. Ein Postulat von SP, AL und EVP verlangte, dass erfahrene Hebammen vermehrt eigenverantwortlich Schwangere und Mütter betreuen können. Die Debatte wurde dann aber vor allem über den Kaiserschnitt geführt, nicht zuletzt deshalb, weil die Postulantinnen und Postulanten selbst darauf hinwiesen, die hohe Kaiserschnittrate könne medizinisch nicht begründet werden und eben dieses Betreuungsmodell durch Hebammen würde helfen, diese Rate zu senken.

Nun gibt es meines Erachtens viele Gründe, weshalb man weder Fan vom Stillen noch Gegnerin von Kaiserschnitten sein muss. Beispielsweise die Tatsache, dass Babys sich sowohl mit Muttermilch als auch mit Flaschennahrung gesund entwickeln (vorausgesetzt, man hat Zugang zu sauberem Trinkwasser). Oder einfach die Feststellung, dass ein ‹natürlich› geborenes Kind keine gesundheitlichen oder sonstigen Vorteile hat gegenüber einem durch Kaiserschnitt zur Welt gebrachten. Es gibt schlicht keinen medizinischen Grund, der den Fanatismus in dieser Thematik rechtfertigen würde. Dass die Debatte trotzdem geführt wird, deutet darauf hin, dass es um etwas ganz anderes geht. Um einen neuen ‹Natürlichkeitstrend› nämlich, der ausgesprochen irritierend ist, weil er völlig ausser Acht lässt, dass das Gebären eines gesunden Kindes bei gleichzeitigem Überleben der Mutter eine eher neue Errungenschaft ist und eine Exklusivität der Ersten Welt. Überall sonst ist die Säuglingssterblichkeit hoch und die Geburt noch immer die zweithäufigste Todesursache für Frauen, da diese dem «natürlich» Gebären nicht aus Modegründen frönen, sondern es einfach tun müssen, sehr oft mit fatalen Folgen, nämlich dem Tod. Nummer eins ist neuerdings, wie die WHO 2012 veröffentlichte, Suizid, dies vor allem in patriarchalischen Gesellschaften, in denen Frauen nichts zu sagen haben und nichts wert sind und deshalb in der Selbsttötung den einzigen Ausweg aus dieser Unterdrückung sehen. Durch den Natürlichkeitswahn sehen sich die Frauen im Westen nun mit einer anderen Form der Unterdrückung konfrontiert. Mit einer Gesellschaft und einer Politik, die sich in den privatesten und persönlichsten Bereich einer Frau einmischen, die Kaiserschnittraten ermitteln und diese nach akzeptiert (medizinisch begründet) und unnötig (von der Frau gewünscht) kategorisieren und den Stillzwang, aus dem sich die Frauen in den 1970er-Jahren gerade erst befreit hatten, wieder aufleben lassen. Man reibt sich die Augen ob dieser Entwicklung, die unschöne Auswirkungen hat. Sonst eigenständige und selbstbestimmte schwangere Freundinnen rennen zu Ärzten, Physiotherapeuten und Hypnotiseuren, damit sich das Kind doch noch dreht, weil sie ‹richtig› gebären möchten. Sie brechen wenige Tage nach der Geburt weinend zusammen, weil das mit dem Stillen einfach nicht klappen will, in den Armen ein kerngesundes Kind. Und ein Bekannter fragte kürzlich seine Mitarbeiterin, ob sie einen Kaiserschnitt hatte, weil sie musste oder einfach weil sie zu faul war.

Die beste Lösung wäre, schreibt der ‹Tagi›-Journalist, die Frauen selbst entscheiden zu lassen. Aber das mit der Wahlfreiheit ist nicht ganz so einfach, wenn sie in einem alles dominierenden, moralingesäuerten gesellschaftlichen Korsett wahrgenommen werden sollte.

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