- Post Scriptum
Müde
Allerdings bleibt auch nicht viel Hoffnung.
Aber genau dieser sollen wir verpflichtet bleiben, schreibt Daniel Binswanger für die ‹Republik›. «Die Welt verfinstert sich – aber sie geht nicht unter. Wir müssen nüchtern bleiben, die Chancen und Gefahren der Entwicklung klar benennen. Das zeigt nun auch der deutsche Urnengang.» Die AfD, so Binswanger, hätte am letzten Wahlsonntag in Deutschland 20 Prozent erreicht, aber eben auch nicht mehr.
Das hat mich kurz beruhigt, aber eben auch nicht mehr. Denn ist es nicht so, dass einem die Welt gerade um die Ohren fliegt? Überall, aber auch zuhause? Also nicht bei mir daheim, in der Schweiz, meine ich. Wo soll man anfangen.
Da ist die Spitze der Armee, die sich kollektiv verabschiedet in einer aussenpolitisch einmalig unsicheren Situation. Wie kommt ein einigermassen der Sache verpflichteter Mensch denn gerade jetzt auf die Idee, zu gehen? Man staunt, wie hektisch diese Abgänge und Skandale übereinander purzeln. Man fragt sich, wie ein Kadermitarbeiter der Ruag dermassen ungeniert und ungehindert während Jahren mit Panzerersatzteilen handeln konnte, indem er sie unter Wert an eine Firma weiterverkaufte, die zur Hälfte seiner Frau gehörte. Die Sache ist natürlich viel zu ernst, um sie ins Lächerliche zu ziehen, aber auch zu gut, vielleicht gibt das mal eine Netflix-Serie. Gleichzeitig scheint es fast ein Nebenschauplatz in dieser offensichtlich zerrütteten Armee.
Nicht nur dort gehen die Leute (entschuldigt den Übergang), Abgänge, weit weniger dramatisch natürlich, gibt es auch in Zürich. Filippo Leutenegger, FDP-Stadtrat, wird nicht wieder zu den Wahlen 2026 antreten, wie er diese Woche mitteilte. Es sei die Vernunft, die ihn antreibe! Denn er habe gemerkt, dass es da und dort Loyalitätsprobleme gibt, wenn er Stadtrat und gleichzeitig Parteipräsident der FDP ist. Wir sind überrascht. Nicht aber, dass er noch Parteipräsident bleiben wird, denn da habe es noch einige Baustellen in der FDP, wie er sagt und wer, wenn nicht der starke, erfahrene Mann, könnte die sonst lösen. Zumal er natürlich, wie alle Männer über 70 in Exekutivämtern, überhaupt gar nicht müde ist, wie er das im Interview mit dem ‹Tages-Anzeiger› betont und natürlich könnte er kräftemässig im Prinzip noch ewig weitermachen, aber eben, da sind die Konflikte der beiden Ämter, da rufen andere Aufgaben, da muss man Prioritäten setzen.
Ich hingegen, ich habe nicht mal ein Amt und bin trotzdem müde. Sehr müde. Man liest und mag überhaupt gar nicht mehr. So beelendend ist das. Denn beinahe nebenbei, so scheint mir, wurde die Ukraine aufgegeben. Die US-Regierung von Trump hat im UNO-Sicherheitsrat eine Resolution durchgedrückt, die Russland nicht als Aggressor benennt, keinen russischen Rückzug fordert und weder die UNO-Charta, das Völkerrecht noch die souveränen Rechte der Ukraine (wie das in der anderen Resolution stand, die von der USA unter freundlicher Mithilfe anderer vertrauenswürdiger Staaten abgewürgt wurde) erwähnt. Eine Resolution ganz nach dem Geschmack Russlands, das dieser denn auch zustimmte, ebenso wie beispielweise China. Die fünf europäischen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates enthielten sich der Stimme. Grossbritannien und Frankreich, die beiden ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates, hätten zwar ein Vetorecht, nutzen dieses aber seit 1989 nicht mehr. Ich weiss nicht, vielleicht bin ich einfach zu müde, aber wäre das eventuell jetzt der ideale Moment gewesen, um mit dieser Tradition zu brechen?
Überhaupt Trump. Ich habe den Überblick über die zahlreichen Dekrete verloren, die er bereits erlassen hat, aber die, an die ich mich erinnere, reichen mir eigentlich auch. Vom Austritt aus der Weltgesundheitsorganisation und dem Pariser Klimaabkommen über die Ankündigung gesetzlich festzulegen, dass es nur noch zwei Geschlechter geben darf, die Begnadigung jener, die das Capitol stürmten damals, die irre Umbenennung des Golf von Mexiko in Golf von Amerika. Und vieles mehr.
Seid ihr auch so furchtbar müde?