Monsanto vor einem Gericht der Zivilgesellschaft

Zum ersten Mal wurde Mitte Oktober ein Multi in Den Haag vor ein internationales Gericht gestellt. Es handelte sich nicht – noch nicht! – um den Internationalen Strafgerichtshof, sondern um ein breit abgestütztes Meinungstribunal.

 

von Raymond Gétaz*

 

Hochqualifiziert waren die fünf RichterInnen am Monsanto-Tribunal, das vom 14. bis zum 16. Oktober in Den Haag tagte: Sie kamen aus vier Kontinenten und sind international anerkannt aufgrund ihrer früheren Ämter am Internationalen Strafgerichthof, am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte oder an nationalen Gerichten. Auch die AnwältInnen waren weltweit gewürdigte Grössen. Die ZeugInnen kamen zum Teil aus weit entfernten Ländern wie Argentinien, Australien, Sri Lanka oder Kanada, um die durch Pestizide und gentechnisch veränderte Organismen (GVO) verursachten Schäden in ihren Ländern anzuklagen.

Die Vorbereitungsarbeiten für das Monsanto Tribunal hatten mehr als zwei Jahre gedauert. Zahlreiche Freiwillige waren involviert, darunter auch Jus-Studierende an den Universitäten Yale (USA), Louvain (Belgien) und Bordeaux (Frankreich). Begleitet wurden sie von prominenten JuristInnen wie Olivier de Schutter, ehemaliger Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung, Valérie Cabanes, Autorin des Buchs «Un nouveau Droit pour la Terre» oder Corinne Lepage, ehemalige französische Umweltministerin.
Die Tage in Den Haag waren ein unvergessliches Ereignis. Eine bunte Mischung von über 750 Menschen aus 30 Ländern fand sich zusammen in ihrem Widerstand gegen Monsanto, aber auch gegen die Industrielandwirtschaft mit all ihren verheerenden Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt. Der nigerianische Schriftsteller Nnimmo Bassey’s fand an der Eröffnungspressekonferenz die treffenden Worte dazu: «Dieses Treffen ist nicht nur ein Kampf gegen eine multinationale Firma, es ist ein Kampf für das Leben, es ist ein Kampf für die Freiheit. (…) Es ist ein Kampf für die Menschheit und die Zukunft des Planeten.»

 

Auswirkungen auf Mensch und Tier

Die ZeugInnen legten in ihren Aussagen die weltweit fatalen Auswirkungen der Produkte von Monsanto offen. Kolon Saman und Channa Jayasumana aus Sri Lanka berichteten über die Geschichte des Unkrautvernichters Roundup in ihrem Land. Seit 1984 wurde Roundup in den Reiskulturen verwendet, ohne dass die notwendigen Vorsichtsmassnahmen auf den Verpackungen erwähnt wurden. Einige Jahre später traten erste Fälle von bis dahin in der Region unbekannten Nierenkrankheiten und Leberschäden auf. Das Trinkwasser war durch das Versprühen von Roundup in den Reiskulturen verseucht. Seit seiner Erst­anwendung sind in Sri Lanka 24 800 Personen an den Folgen von Roundup gestorben und mehr als 69 000 vergiftet worden. Wissenschaftliche Untersuchungen vor Ort belegen das Monsanto-Produkt als Ursache dieser Katastrophe. In der Folge verbot Sri Lanka als erstes Land der Welt den Import, den Vertrieb und die Benutzung von Roundup auf seinem Territorium.
Sabine Grataloup aus dem französischen Departement Isère behandelte ihren Pferdeauslauf von 700m2 mit Roundup, als sie im ersten Monat schwanger war. Ihr Kind Theo kam mit einer zu kurzen Speiseröhre und einem deformierten Kehlkopf auf die Welt. In seinen ersten neun Lebensjahren musste Theo bereits 50-mal operiert werden. «Ich hatte Vertrauen in die Reklame, die Glyphosat als ‹erstes biologisch-abbaubares Herbizid› anpries, ein Produkt, das ich also gerade wegen seiner Unschädlichkeit ausgewählt hatte», erklärte Sabine Grataloup den RichterInnen.

Maria Liz Robledo aus Argentinien berichtete von einem ähnlichen Leidensweg mit ihrer Tochter. Damian Verzeñassi, ein argentinischer Arzt, bezeugte die unzähligen Vergiftungen durch Roundup in der Nähe von Soja- und Maiskulturen. Er stellte fest, «dass in gewissen Provinzen des Landes die Menschen heute an anderen Ursachen sterben als früher und dass dieser Wechsel zeitlich korreliert ist mit der Umsetzung eines industriellen, auf GVO-Produkten basierenden Landwirtschaftsmodells, das von Toxinen abhängig ist. (…) Hauptsächliche Erkrankungen sind Schilddrüsenunterfunktion, Allergien, Hautprobleme, neurologische Erkrankungen, Atemwegserkrankungen und Krebs. (…) Schon 1985 wies die amerikanische Agentur zur Genehmigung von Pestiziden auf ein mögliches Krebsrisiko von Glyphosat hin».

Der amerikanische Anwalt Timothy Litzenburg vertritt in den USA gegen 1000 Opfer von durch Monsanto hergestellten Pestiziden. Ab 1995 benutzte eine seiner Mandantinnen, Christine Sheppard, Roundup während acht Jahren auf ihren Kaffeeplantagen. Sie erkrankte an einer besonders gefährlichen Form von Krebs, dem Non-Hodgkin-Lymphom (LNH), mit nur 10 Prozent Überlebenschancen. Nach zahlreichen Spitalaufenthalten leidet sie weiterhin an chronischen Schmerzen.

Die Aussagen der an die 30 ZeugInnen waren sehr ergreifend und umfassten die ganze Bandbreite der Auswirkungen von Roundup und anderen Pestiziden auf Mensch, Tier und Natur. Mexikanische Bienenzüchter aus der Region Campeche in Yucatan können ihren Honig nicht mehr verkaufen, weil er durch gentechnisch veränderte Mais- und Sojakulturen, die mit Glyphosat behandelt werden, verseucht ist. Ein Bauer aus Burkina Faso klagte über Ernteeinbussen seit der Einführung von GVO-Baumwolle. Ein Delegierter einer Bauerngewerkschaft aus Indien denunzierte den Aufkauf von traditionellem Baumwollsaatgut im ganzen Land durch Monsanto, wodurch die Bauern gezwungen werden, auf GVO-Baumwolle umzustellen. In nur zehn Jahren stieg der Anteil der GVO-Baumwolle in Indien von 5 auf 95 Prozent, und die Preise für das Saatgut erhöhten sich um 7000 Prozent. Eine Bäuerin aus Bangladesch bezichtigte Monsanto des Raubes von lokalem Auberginen-Saatgut, um so ihr Saatgut durchzudrücken…

 

Roundup auf der Anklagebank

Nicolas Defarge, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter des französischen Forschungsinstituts Criigen, klärte die RichterInnen über die Zusammensetzung von Roundup auf. Neben dem Wirkstoff Glyphosat enthält dieses Unkrautvernichtungsmittel auch 1000mal giftigere Beistoffe wie Arsenik, Kadmium und weitere Schwermetalle. Die genaue Formel von Roundup ist nicht öffentlich zugänglich, sie ist ein Firmengeheimnis von Monsanto. Die wissenschaftlichen Arbeiten vom Criigen zeigen, dass Roundup auch in geringeren Dosen als den für den landwirtschaftlichen Gebrauch zugelassenen giftig ist.
Wissenschaftler und Institutionen, die Monsanto-Produkte anprangern, werden von Monsanto als unseriös und inkompetent bezeichnet und stehen unter massivem Druck: Dr. Shiv Chopra, Kadermitglied in der kanadischen Gesundheitsbehörde «Santé Canada», beschrieb den Druck von Monsanto auf Institutionen, um die Kommerzialisierung eines Wachstumshormons in der Milchproduktion in Kanada durchzusetzen. Weil er auf gesetzlich vorgeschriebenen Tests bei der Zulassung dieses Produktes bestanden hatte, wurde er wegen Ungehorsams gefeuert. In Europa, berichtete Peter Clausing, ist die European Food Safety Agency (EFSA), die erst kürzlich über eine Verlängerung der Zulassung von Glyphosat bis Ende 2017 entschieden hat, der chemischen Industrie unterworfen. Denn diese beschliesst, in welchem Land die entscheidenden Analysen für die Zulassung eines Produktes gemacht werden.

Wie skrupellos Monsanto über die Unschädlichkeit seiner Produkte lügt, zeigt sich unter anderem darin, dass das Herbizid «Lasso» in Belgien bis 1991 und in Frankreich sogar bis 2007 vermarket wurde, obwohl es in Kanada schon 1985 verboten wurde. Allfällige Gefahren bei der Handhabung seien auf der Produktverpackung nicht explizit beschrieben worden, erklärte Paul François, ein Landwirt, der in Frankreich Opfer der Ausdünstungen von Lasso wurde. Der Anwalt William Bourdon qualifizierte in seinem Plädoyer das Verhalten von Monsanto als «weltumfassende, intellektuelle Betrügerei – durchgeführt von organisierten Banden, die das Recht auf freie Information mit den Füssen treten».

 

Die Zivilgesellschaft kann handeln

Das Tribunal vereinte Menschen aus der ganzen Welt mit einem gemeinsamen Ziel: Der multinationale Konzern Monsanto soll zur Verantwortung gezogen werden. Die durch seine Pestizide entstandenen Schäden und seine unlauteren Machenschaften sollen öffentlich bekannt werden. Die Zeugenaussagen legten klar dar, dass die am Tropf von giftigen Produkten hängende industrielle Landwirtschaft eine Plage für die Menschheit ist, sowohl heute wie auch für künftige Generationen. Die RichterInnen werden aber auch die Auswirkung der Machenschaften von Monsanto auf die Menschenrechte, auf eine gesunde Umwelt und auf eine gesunde Nahrung beurteilen sowie abklären, ob das Unternehmen des Ökozides, eines bisher noch nicht anerkannten Völkerrechtsverbrechens, schuldig ist. Weiter werden sie klarlegen, in welchem Masse Monsanto das Recht auf freie Meinungsäusserung und wissenschaftliche Forschungsfreiheit verletzt und, als einer der Produzenten von Agent Orange, an Kriegsverbrechen in Vietnam beteiligt war.

In einigen Monaten, wahrscheinlich im April 2017, werden die RichterInnen die juristischen Gutachten bekanntgeben. Diese können Klagen gegen multinationale Konzerne, welche die Menschenrechte verletzen und die Umwelt zerstören, weltweit unterstützen und werden sicher noch viele Nachwirkungen haben.

 

Die Abschlusserklärung der Präsidentin des Tribunals und zahlreiche Zeugenaussagen finden sich auf der Website www.monsanto-tribunal.org und auf vimeo.com.

 

* Raymond Gétaz ist Mitglied der Kooperative Longo maï in Undervelier (Kanton Jura).

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