Mit Kindern rechnen

In der Sondersession letzter Woche debattierte der Nationalrat über die Kita-Vorlage. Diese will die Einführung einer Betreuungszulage, die analog zur Familienzulage funktioniert. Die Zulage entspricht dem Betrag von 100 Franken für einen Betreuungstag pro Woche und einem Maximum von 500 Franken pro Monat. Zusätzlich will der Nationalrat Programmvereinbarungen zwischen  Bund und Kantonen einführen, um Kita-Plätze zu schaffen, flexiblere Angebote zu fördern, die Qualität zu stärken sowie die Frühförderung zu unterstützen. Dafür soll der Bund 50 Millionen Franken jährlich ausgeben. Damit soll die heutige Anschubfinanzierung abgelöst werden, die eigentlich einmal als befristete Massnahme gedacht war.  Man kann davon ausgehen, dass der Ständerat hier noch etwas gegen unten korrigiert und die Bundesbeteiligung geringer ausfallen wird. Beim letzten Anlauf waren die Programmvereinbarungen am Stichentscheid des Präsidenten (Andrea Caroni, FDP) gescheitert.

Passend zur Kita-Debatte im Nationalrat erschien ein Artikel im ‹Tages-Anzeiger›, der darlegte, dass die Kita-Kosten in der Schweiz weit höher sind als in anderen europäischen Ländern. Sie können bis zu einem Drittel des Einkommens ausmachen. Die Tarife sind von Kanton zu Kanton und von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich und auch in der Regel vom Einkommen abhängig. Es ist aber ziemlich offensichtlich, dass vom Einkommen nicht sonderlich viel mehr übrig bleibt, wenn zuzüglich zu Miete und Krankenkasse noch eine saftige Kita-Rechnung dazu kommt. Diese hohen Kosten, der sich verschärfende Fachkräftemangel und die Kita-Initiative der SP haben dazu beigetragen, dass jetzt eine Lösung gesucht wird. Die Kita-Initiative will die Kosten auf maximal 10 Prozent des Einkommens beschränken und zusätzlich die Qualität und Arbeitsbedingungen verbessern.  Der Transparenz halber: Ich bin Mitglied des Initiativkomitees und Mitglied der zuständigen Kommission. Der Vorlage zugestimmt haben SP, Grüne, GLP, Mitte und vereinzelte FDPler:innen. Die Debatte rund um Kinderbetreuung hat sich in den letzten Jahren insofern verändert, als dass der Wert der Kinderbetreuung ausser bei der SVP – und selbst da nur zum Teil – ziemlich unbestritten war. Die FDP wollte einfach nicht dafür zahlen. Und wenn man es zahlen müsse, dann sollten auch die Nannys dabei sein. 

Insofern hat mich der Artikel von Werner Vontobel (samt zugehörigen Kommentaren) erstaunt, der vergangene Woche auf Infosperber.ch erschienen ist. Dort macht Vontobel eine kleine Milchbüechli-Rechnung, um aufzuzeigen, dass sich die Kinderbetreuung volkswirtschaftlich nicht lohnt:  «Eine Familie mit – für die Erhaltung der Art nötigen – zwei Kleinkindern (wovon ein Baby) zahlt in der Kita Regenbogen in Zürich für eine Vollbetreuung monatlich 6796 Franken. Da Kitas nur in Ausnahmefällen einen Profit abwerfen, dürfte dies den effektiven volkswirtschaftlichen Kosten entsprechen. Und das, obwohl Kita-Mitarbeiterinnen eher schlecht bezahlt werden.» Ein Kind in der Kita beanspruche 150 Stellenprozente, führe aber dazu, dass ein Paar höchstens 175 Prozente arbeiten könne, selbst bei einer Vollzeitbetreuung (warum 175 Prozent wurde nicht weiter ausgeführt). «Eine Kita-Vollbetreuung schafft also maximal zusätzliche 75 Stellenprozente, beansprucht aber rund 150 Stellenprozente, meist Frauen, die zudem vier Jahre lang als Kindererzieherinnen ausgebildet werden müssen. Statt das «brachliegende Fachkräftepotenzial» der Frauen «besser auszuschöpfen», wie es immer wieder heisst, wird es durch die Kitas absorbiert und der Wirtschaft entzogen.» 

Nun anerkennt Vontobel zwar, dass das frühere Ernährermodell vielleicht eine patriarchalische Schlagseite hat. Sein Ideal wäre also ein anderes: «Viel effizienter wäre es, die Erwerbsarbeit etwa auf zwei 60-Prozent-Stellen aufzuteilen und die Rahmenbedingungen für die unentgeltliche Arbeit in der Familie und Nachbarschaft zu verbessern.» Dann braucht es auch «keine Spezialausbildung, keine Kita-Lokale, keine Kita-Bürokratie, keine langen Wege.» Vontobel gibt zu, dass dies wohl «schwierig und bestenfalls langwierig» wäre.

Die Frage, die sich hier aber auch stellt: Wäre dieses Ideal überhaupt wünschenswert? Aber zuerst zum Volkswirtschaftlichen: Eine Studie von BAK Economics kommt zum Schluss, dass pro Betreuungsplatz 46 Stellenprozente geschaffen würden. Vontobels Rechnung geht schon allen mathematisch nicht auf: Bei mir ergäbe eine 175-prozentige Beschäftigung minus 150 Prozent Betreuungspersonal immer noch ein plus von 25 Prozent. Abgesehen davon ist der Betreuungsschlüssel niemals bei 1,5 Personen pro Kind. BAK Economics rechnet aber zusätzlich noch mit einer generell steigenden Lohnsumme (weil niemand aus dem Job ausfällt) und einem generell steigenden Bruttoinlandprodukt und einer positiven volkswirtschaftlichen Nettorendite.

Ein wichtiger Punkt an der ganzen Geschichte, die jetzt ein wenig ökonomisch daherkommt, ist dass BAK Economics den volkswirtschaftlichen Nutzen nicht allein durch die Beschäftigungseffekte berechnet, sondern auch durch den Bildungsgewinn durch frühkindliche Förderung. Die Studienlage ist hier selbstverständlich nicht eindeutig, weil sie auch abhängig ist von der Qualität. Wenn diese aber stimmt, dann profitieren die Kinder sowohl sozial wie auch pädagogisch. Das gilt insbesondere für Kinder aus benachteiligten Verhältnissen, die heute oft eben nicht in Kitas gehen. 

Jetzt noch einmal zur generellen Frage. Wäre das Vontobelsche Ideal überhaupt wünschenswert? Zweimal 60 Prozent und einmal Grosseltern kann ein Modell sein, das für gewisse Familien gut funktioniert. Aber es ist nicht für alle möglich: Zum einen sind die Teilzeitstellen vielleicht nicht in allen Berufen gleich üblich und das Verdienst ist bei gewissen Stellen vielleicht auch ungenügend. Und es führt dazu, dass Führungspositionen oder anspruchsvollere Berufe nur noch für Kinderlose oder jene mit schon grösseren Kindern offenstehen würden. 

Ich halte diese Lösung aber auch für die meisten Kinder nicht unbedingt für wünschenswert. Kinder profitieren auch vom Aufwachsen mit andern Kindern und es ist nicht dasselbe, ob sie mit ihren Geschwistern oder allein bei Eltern oder Grosseltern sind. Kindern finden in der Kita Freund:innen und liebevolle Betreuungspersonen, sie lernen Konflikte zu lösen und andere Lebenswelten kennen. Ich würde auch in einer idealen Welt nicht darauf verzichten. 

Und abgesehen davon könnte man statt «Kita-Bürokratie» zu beklagen oder die ausserfamiliäre Kinderbetreuung als «Niedriglohnsektor» zu bezeichnen, unter dem «vor allem die Frauen leiden», sich dafür einsetzen, dass dieser wertvolle und anspruchsvolle Beruf aufgewertet wird, besser bezahlt und bessere Arbeitsbedingungen bekommt. Wie dies zum Beispiel in den Kantonen der französischsprachigen Schweiz der Fall ist und wie es Stadtrat Raphael Golta jetzt in Zürich angehen will.