Mister Postermann

Thomas Bächtold sammelt in Zürich Schaffhauser Plakate. Was treibt ihn an?

 

Es ist ein kühler Februarabend 1979 und die Schweiz hat sich gerade ein erstes Mal an der Urne mit der Frage beschäftigt, wie sie es mit der Atomenergie hält. Das Argument der Ener­gieversorgung obsiegt, jenes der Sicherheit un­terliegt: Tschernobyl ist noch nicht mehr als ein Wort mit zu viel Konsonanten aus einem Land des Klassenfeinds.

 

Die Abstimmung war umkämpft, und Gegnerinnen und Befürworter der Atom­energie pflasterten in den Monaten zuvor das ganze Land mit Abstimmungsplakaten zu. Als der Chef der Schaffhauser Stadtpoli­zei, Arthur Huber, an jenem Sonntagabend auf Pa­trouille einen jungen Mann anhält, der an einer Bushaltestelle ein Plakat gegen die Atomenergieinitiative ablöst, muss er sich denken, er ertappt gerade einen Randalierer auf frischer Tat.

 

Diese Geschichte erzählt Thomas Bäch­told heute mit einem verschmitzten Lächeln, und irgendwie sieht man ihn in diesem Mo­ment als 15 Jahre alten Jungen vor sich, wie er dem bierernsten Polizisten zu erklären versucht, für was er das Plakat in Wirk­lichkeit ablöst: zum sammeln.

 

Sammeln im Exil

Inzwischen sind weitere Plakate dazugekomm­en, doch heute reisst Thomas Bächtold sie nicht mehr von den Wänden. Aus dem einsti­gen Guerillasammler ist ein Rechtsanwalt und Notar geworden; ein Kunstliebhaber, der Ga­lerien in New York besucht und immer noch Plakate sammelt. Wie viele es heute sind, weiss er nicht, nur dass exakt 318 aus Schaffhausen stammen.

 

Wir stehen in einem Keller in einem schmucklosen Bürogebäude in ­Wie­dikon und Bächtold kramt aus den schweren Metallschubladen ein Plakat nach dem ande­ren hervor. Überall stehen Kartonrollen herum, aus einer fischt Bächtold eine gerade frisch res­taurierte Affiche hervor.

 

Seit nun 15 Jahren lagert der Exilschaff­hauser einen Teil seiner Sammlung in die­sem Keller, den er mit anderen Sammlern teilt, der Rest hängt in seinem Elternhaus in Schaffhausen. Wie erklärt er sich seine Faszination für Plakate? War er schon immer ein Sammler, liegt es vielleicht in der Familie? Sein Vater war immerhin jahrelang Schaffhauser Ständerat und Sujet für unzählige politische Plakate. Doch bei solchen Fragen wägt Thomas Bächtold ab, ist kurz angebunden. Er verwehrt sich einer einfachen Coming-of-age-Story. Lieber spricht er über die Plakate in seiner Sammlung – dafür besuchen wir ihn ja.

 

Gemäss Werbepsychologie schenken wir Plakaten drei Sekunden Aufmerksamkeit – dann muss die Botschaft sitzen. Wenn das stimmt, dann spielen sich beim Betrachten aller Schaffhauser Plakate 15 Minuten Lokalgeschichte vor den Augen ab. Doch das ist nur die Oberfläche, eigentlich steckt viel mehr Geschichte dahinter, und mit jedem Plakat, das Bächtold hervornimmt, wird sie lebendiger.

 

Vor allem die Schaffhauser Industriegeschichte. Unternehmen wie die Schaffhauser Wolle, die Falken-Brauerei und Knorr aus Thayngen hätten sich mit kreativen Plakaten hervorgetan, erzählt Bächtold, während er auf seinem Laptop nach den Signaturen für das nächste Beispiel sucht.

 

Gerade Knorr ist mit seinem Maskottchen Knorrli schweizweit ein Marketingcoup gelungen. Ein erstes Mal erschien das kleine Männchen mit roter Zipfelmütze 1948 auf einem Inserat im ‹Beobachter›, danach auf unzähligen Plakaten über die nächsten Jahrzehnte hinweg. Anhand seines digitalisierten Archivs – die Plakate werden im Keller professionell abfotografiert – kann Bächtold den Werdegang von Knorrli von einer Illus­tration auf einer Suppenpackung zu einer erfolgreichen Werbefigur aufzeigen: Noch heute kennt fast jedes Kind den kleinen Kobold, und wenn nicht, dann sicher die Eltern.

 

Ein Stück Kulturgeschichte

Wenn Bächtold in seinem Keller Plakate aus den Metallschubladen kramt, über den Kubismus und säurefreies Japanpapier spricht, wirkt er manchmal wie ein Nerd im Anzug und mit weissem Einstecktuch. Doch die Plakate, die er hier sammelt und lagert, sind nicht einfach Teil einer schrulligen Nische, sondern Schweizer Kulturgut. Das Schweizer Plakat hat internationales Renommee.

 

Als sich Ende des 19. Jahrhunderts der Tourismus breitmachte, standen plötzlich die einzelnen Regionen in Konkurrenz zueinander – das Schweizer Tourismusplakat war geboren. Mit Collagen von lokalen Sehenswürdigkeiten buhlten Orte wie Zermatt und Davos um das Feriengeld der Reisenden. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg prägte die Schweiz die Plakatkunst mit dem sogenannten «internationalen Stil».

 

Dieser war eine Mischung aus zwei Stilrichtungen: Die Zürcher Schule vertrat die Theorien der «konkreten Kunst», die Basler Schule jene der «neuen Objektivität». Erstere zeichnete sich durch ihre Linien, Flächen und Farben aus, letztere dadurch, dass sie Objekte zu Werbezwecken überdimensioniert und auf das Wesentliche reduziert hat.

 

Eine Schaffhauser Schule gab es nie, einem Schaffhauser Plakat sehe man seine Herkunft nicht an, sagt Bächtold. Mit Arnold Oechslin habe man aber einen hervorragenden Künstler in Schaffhausen gehabt, der mit seinem humorvoll-karikierender Stil die öffentliche Wahrnehmung der Falken-Brauerei über Jahre hinweg prägte. Viele der Plakate können heute als Reproduktionen im Restaurant Falken in der Schaffhauser Altstadt bestaunt werden – die Originale liegen im Keller von Thomas Bächtold.

 

Auch andere Schaffhauser Plakate seien weltweit berühmt. Stolz zeigt er auf ein Plakat mit zwei ausdrucksstarken Pferdeköpfen, ein Werbeplakat für die Reitkonkurrenz 1930 in Schaffhausen. «Das Plakat ist sehr selten, ich bekomme immer wieder Anfragen, ob es zu verkaufen ist.»

Und, ist es?

«Nein. Und überhaupt würde ich meine Plakate nur unter ganz strengen Bedingungen verkaufen.»

 

Doch was ist dann das Ziel seiner Plakatsammlung? Ein Anflug von Nostalgie? Kulturelles Kapital? Oder vielleicht doch nur eine Wertanlage? Bächtold bleibt auch hier vage, lacht aber über die letzte Frage. «Die Sammlung kostet mich vor allem Geld.» Er sagt es zwar nicht laut, aber die besten Chancen auf ein Plakat aus seinem Keller hat eine potenzielle Käuferin wohl, wenn sie ein noch selteneres dafür bietet. Und vielleicht ist das ja eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn der Sammlung: Am Anfang stand die Leidenschaft für das politische Plakat – ein Massenprodukt. Doch wer einmal mit dem Sammeln begonnen hat, möchte sich von der Masse absetzen, sucht nach Seltenem, um es noch seltener zu machen. Das klingt vielleicht nach Selbstzweck, aber im positiven Sinn.

 

Nur die SVP provoziert noch

Prägend für Bächtolds Verständnis davon, was eine gute Plakatsammlung ausmacht, war ein Treffen mit Karl Wobmann. Wobmann war bis zu seinem Tod einer der profiliertesten Kenner der Schweizer Plakatkunst und Autor einiger Bücher zum Thema. Er zeigte Bächtold, welche Plakate es sich zu sammeln lohnt – aus ästhetischen und kommerziellen Gründen. Die Antwort? Schweizer Tourismusplakate.

 

Bächtold nahm sich den Tipp zu Herzen, seine Sammlung besteht heute grösstenteils aus Tourismusplakaten, die er regelmässig für Ausstellungen im Museum für Gestaltung zur Verfügung stellt. Früher habe er noch Tourismusplakate in Antiquariaten und auf Flohmärkten gefunden, doch so etwas sei heute unwahrscheinlich. Heute kauft er sie auf Auktionen – das Schweizer Tourismusplakat, das einst die Schweiz kommerzialisierte, ist selbst zum begehrten Produkt geworden.

 

Inzwischen habe das Plakat aber als Werbeform neben der digitalen Werbung, die messerscharf auf die Bedürfnisse der Kundinnen zugeschnitten werden kann, an Bedeutung verloren. «Heute gibt es auch nicht mehr viele Plakatkünstler, Plakatkampagnen werden heute von Grafikerinnen in Agenturen gemacht, bei denen das Plakatdesign nur eine von vielen Tätigkeiten ist.» So sei auch das politische Plakat, das einst die Sammelleidenschaft in Bächtold auslöste, heute verarmt. «Einzig die SVP provoziert heute mit ihren Plakaten noch – politisch und grafisch.»

 

Bestes Beispiel: das Plakat zur Minarettinitiative, über die die Schweiz 2009 abgestimmt hat. Im Vordergrund zeigt es eine Frau in schwarzer Burka, im Hintergrund Minarette als Raketen stilisiert auf einer Schweizer Fahne. Das Plakat ging um die Welt, wegen seines islamophoben Inhalts, aber auch wegen seiner ästhetischen Qualitäten.

 

Letzten Dezember hat Thomas Bächtold das Plakat in einer Galerie in New York gesehen, es ist bei Sammlern weltweit gesucht. Hätte Thomas Bächtold das bereits am Abstimmungssonntag gewusst, er hätte es wohl von einer Plakatwand abgelöst.

 

Erstmals erschienen am 31. März in der Schaffhauser AZ.

 

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