Mikrosteuer mit Makroeffekt

Mit einer Steuer auf alle elektronischen Geldüberweisungen das Steuersystem vereinfachen, Erwerbstätige finanziell entlasten und die Finanzspekulation eindämmen – nichts weniger als das will die am 25. Februar lancierte Mikrosteuer-Initiative.

 

Fabio Peter

 

«Es geht darum, ein komplexes, archaisches und bürokratisches Steuersystem zu vereinfachen und zu aktualisieren», sagt Marc Chesney, Leiter des Instituts für Banking und Finance an der Universität Zürich sowie Mitglied des Initiativkomitees für eine Mikrosteuer. Und zwar, «indem man das enorme Steuersubstrat betrachtet, das die Summe aller elektronischen Transaktionen repräsentieren würde.» Damit sind alle bargeldlosen Geldüberweisungen gemeint, egal ob sie per E-Banking, Kreditkarte oder App getätigt werden und dem Kauf von Kaugummis, UBS-Aktien oder Euros dienen. Chesney schätzt das jährliche Volumen der elek­tronischen Transaktionen in der Schweiz auf mindestens 100 000 Milliarden Franken. In Zeiten der Digitalisierung, in denen bezahlte Arbeit weniger wird, sei ihre Besteuerung zunehmend kontraproduktiv, argumentiert Chesney.

 

Die Initiative fordert deshalb die Einführung einer automatischen Steuer von maximal 0,5 Prozent auf alle elektronischen Geldtransaktionen, und zwar auf Absender- als auch auf Empfängerseite. Nur schon eine Steuer in der Höhe von 0,1 Prozent auf die 100 000 Milliarden Franken würde dem Staat 100 Milliarden Franken einbringen. Im Gegenzug sollen die Mehrwertsteuer, die direkten Bundessteuern und die Stempelabgabe wegfallen, die zusammen 47 Milliarden Franken ausmachen. Das Initiativkomitee setzt sich aus einer bunten Mischung von BankerInnen, WirtschaftsprofessorInnen und PolitikerInnen verschiedener Lager zusammen.

 

Zu gefährlich und unsozial?

 

Für Urs Kappalle von der Schweizerischen Bankiervereinigung entpuppt sich die Idee einer Kapitaltransaktionssteuer als Wunschdenken, wie er im Online-Magazin der Vereinigung schreibt. Während er den Wegfall der Stempelabgabe zwar begrüsse, könnten andere Bereiche wie der Hochfrequenzhandel ausgelagert werden. Dem kleineren Transaktionsvolumen müsste mit einem höheren Promillesatz begegnet werden, den die Bevölkerung berappen müsste.

Etwas erstaunlicher ist, dass die Initiative auch von gewerkschaftlicher Seite abgelehnt wird, sieht sie doch eine stärkere Besteuerung des Kapitals vor. Man sei einer Kapitaltransaktionssteuer nicht grundsätzlich abgeneigt, erklärt Denis Torche von ‹Travail.Suisse› auf Anfrage. «Es wäre aber gefährlich, ein völlig neues Steuersystem aufzubauen, das nur auf einer Säule basiert.» Am meisten stört er sich am Wegfall der progressiven Bundessteuer. Dieser hätte einen negativen Verteilungseffekt zugunsten der Reichsten zur Folge, was den sozialen Frieden gefährde. Torche betont, dass es sich bei seinen Aussagen nicht um eine offizielle Position des Dachverbands handle.

 

Eine «Reichtumssteuer»

 

Oswald Sigg, ehemaliger Bundesratssprecher und Mitglied des Initiativkomitees, zeigt sich von den Gegenargumenten unbeeindruckt. Er ist überzeugt, dass «die Besteuerung des Zahlungsverkehrs auch in anderen Ländern Schule» macht und sich eine Verlagerung des Hochfrequenzhandels nicht mehr lohnen wird. Tatsächlich wird eine ähnliche Steuer im EU-Raum seit Jahren diskutiert. Das Initiativkomitee für eine Mikrosteuer hält darüber hinaus fest, dass Transaktionen ins, vom oder im Ausland besteuert werden, sofern sie von Unternehmen mit Sitz in der Schweiz getätigt werden.

 

Dem Vorwurf, dass die Steuer Reiche begünstigt, widerspricht Sigg vehement. Da über 90 Prozent des Zahlungsverkehrs auf den Finanzsektor entfällt, handle es sich bei ihr um eine «veritable Reichtumssteuer». Vergrössert oder verkleinert die Initiative also die soziale Ungleichheit? Wer alleine die Streichung der Mehrwertsteuer und der direkten Bundessteuer in Betracht zieht, kommt zum selben Schluss wie die GegnerInnen der Vorlage. Zwar profitieren alle davon, wenn die Mehrwertsteuer zugunsten einer tieferen Mikrosteuer ersetzt wird. Dasselbe gilt aber nicht für die direkte Bundessteuer. Ihr Steuersatz nimmt mit steigendem Einkommen zu. Je mehr eine Person also verdient und direkte Bundessteuern bezahlt, desto stärker profitiert sie von deren Wegfall. Aus dieser Perspektive führt die Initiative zu einer Vermögenskonzentration. Andererseits kann davon ausgegangen werden, dass der Konsum und das Vermögen mit steigendem Einkommen zunehmen. Mehr Konsum führt zu mehr Transaktionen und damit zu mehr Steuern. Vermögen wiederum werden von Finanzinstituten verwaltet und investiert. Mit jeder Verschiebung wird dieses Kapital besteuert. So gesehen bezahlt mehr Steuern, wer mehr Geld hat.

 

Zwei Aspekte der Initiative wurden in der bisherigen Debatte noch ausser Acht gelassen. Zum einen scheinen sich die beiden Ziele der Initiative zu widersprechen, mit einer Kapitaltransaktionssteuer gleichzeitig die Finanzspekulation reduzieren und Steuereinnahmen generieren zu wollen: Je weniger nämlich spekuliert wird, desto weniger Einnahmen wirft die Steuer ab und umgekehrt. Zum anderen ist vorgesehen, dass die Steuer von Finanzinstituten eingezogen und an den Staat weitergegeben wird. Wie die Beschlüsse des Bundesrats zum elektronischen Identitätsnachweis gezeigt haben, birgt das Delegieren hoheitlicher Aufgaben an Private viel Brisanz. Hinzu kommt das unvorteilhafte Image der Banken, in der Vergangenheit häufiger bei der Umgehung von Steuern als bei deren Eintreibung behilflich gewesen zu sein.

 

Eine schwierige Ausgangslage

 

Die Forderungen der Mikrosteuer-Initiative dürften sich grosser Beliebtheit erfreuen. Trotzdem hat die Initiative politisch einen schweren Stand. Die letzte steuerpolitische Vorlage ihrer Art, die die Abschaffung der Mehrwertsteuer zugunsten einer Energiesteuer gefordert hat, wurde von der Bevölkerung 2015 mit 92 Prozent Nein verworfen. Parteien und eta­blierte Interessenorganisationen werden der Initiative mit Skepsis begegnen. Eine starke Zivilbewegung hinter der Initiative ist bisher auch nicht erkennbar. Die Kampagnenleitung wurde denn auch der E.R.M.& P. AG übertragen, einer professionellen Campaigningfirma. Unterstützung erhält die Initiative bisher nur von Attac Schweiz, einer globalisierungskritischen Organisation, die sich seit den 1990er-Jahren für die Einführung einer Kapitaltransaktionssteuer einsetzt. Ob sich weitere Organisationen dem Anliegen anschliessen werden, hängt vom Erfolg der Unterschriftensammlung ab, die ab dem 1. Juni wieder aufgenommen wurde. 

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