«Mich stört die unfreiwillige Freiwilligkeit»

 

Wo sieht die Stadtzürcher CVP ihre Rolle in der Wohnpolitik, und was hat sie gegen die Mehrwertabschöpfung? Parteipräsident  und Gemeinderat Markus Hungerbühler* nimmt im Gespräch mit P.S. Stellung.

 

Zur Weisung «privater Gestaltungsplan Quai Zurich», die am Mittwoch im Gemeinderat behandelt wurde, reichten SVP, FDP und CVP ein Postulat ein, das verlangte, auf eine «Voranwendung des Mehrwertausgleichs» sei zu verzichten. Im 18-Punkte-Plan der CVP Schweiz zur Wohnpolitik heisst es jedoch, «Investoren sollen Beiträge zur kommunalen Infrastruktur leisten». Hat die CVP Stadt Zürich das Heu nicht auf derselben Bühne wie die CVP Schweiz?

Markus Hungerbühler: Wir stehen hinter dem Grundsatz der Mehrwertabschöpfung, wie ihn die Schweizer Stimmberechtigten mit der RPG-Revision am 3. März 2013 gutgeheissen haben. Nur: Mit dem Ja an der Urne haben wir noch kein Instrument zur Umsetzung zur Hand. Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, welches staatliche Willkür verhindern soll, verbietet es, ohne ausreichende gesetzliche Grundlage Abgaben zu erheben. Das gilt für alle – auch für Unternehmen.

 

Der Bund hält die Kantone schon seit langem zur Mehrwertabschöpfung an, nur haben sich die meisten bisher nicht darum gekümmert.

Die Kantone haben hier tatsächlich ‹geschlafen›. Das ändert aber nichts daran, dass im Kanton Zürich nach wie vor die gesetzliche Grundlage dafür fehlt. Bis wir eine solche haben, ist die CVP für ein Moratorium, wie wir es im gemeinsam eingereichten Postulat fordern.

 

Vor der Abstimmung vom 28. September 2014 sprachen sich nicht nur SP, Grüne und AL für den neuen Artikel 49b des Planungs- und Baugesetzes (PBG) aus, der die Mehrwertabschöpfung ermöglicht, sondern auch CVP, EVP und GLP. Jetzt ist die Änderung beschlossen – und die CVP krebst zurück?

Von «zurückkrebsen» kann keine Rede sein. Aber an der Mehrwertabschöpfung, wie sie zurzeit in der Stadt Zürich praktiziert wird, stört mich die «unfreiwillige Freiwilligkeit». Ein solches Konstrukt passt schlecht in unseren Rechtsstaat und öffnet der staatlichen Willkür Tür und Tor.

 

Die Stimmberechtigten sind dafür – die CVP zögert weiter?

Es geht nicht ums Zögern, sondern um rechtsstaatliche Prinzipen: Auch die Verwahrungsinitiative und die Masseneinwanderungsinitiative sind angenommen worden; diese einfach mal anzuwenden, bevor die entsprechenden Ausführungsgesetzgebungen vorliegen, würde Ihnen wie mir wohl kaum gefallen. Es ist nicht falsch, dass solche Umsetzungen ein wenig Zeit für seriöse Abklärungen benötigen.

 

Bis Regierungsrat Kägi dem Kantonsrat eine Vorlage zur Änderung des PBG präsentiert und das Parlament sich darauf einigt, ob die Mehrwertabschöpfung künftig nur bei den – in der Stadt kaum mehr vorkommenden – Neueinzonungen oder auch bei Umzonungen möglich sein soll, sagt die CVP also Nein zu Vorlagen à la «Quai Zurich»?

Erstens: Wir haben dem Projekt der ‹Zurich› zugestimmt. Zweitens: Ohne gesetzliche Grundlagen sollte man keine solchen Vereinbarungen treffen – die Stadt sollte sich nicht auf die Ebene eines Basars begeben!

 

Dem Gestaltungsplan Green City Manegg samt freiwillig zugesichertem Anteil von 30 Prozent gemeinnützigen Wohnraums stimmte die CVP zu – und Anfang Januar 2013 ging im Gemeinderat eine Motion der AL-, CVP-, Grüne- und SP-Fraktion ein, die verlangte, einen Mindestanteil preisgünstiger Wohnungen festlegen zu können, wenn mit dem Gestaltungsplan wertvermehrende Um- oder Aufzonungen verbunden sind und wenn die GrundeigentümerInnen einverstanden sind, sprich freiwillig mitmachen…

In den letzten Jahren hat es tatsächlich immer mehr Vorlagen gegeben, die auf die eine oder andere Art eine Mehrwertabschöpfung verlangten. Wir schauen uns jeden Einzelfall genau an. Aber wenn es nun Schule macht, bei Gestaltungsplänen stets auch noch ein bisschen Abschöpfung einzubauen, dann stört uns das ganz gewaltig. Ich halte wenig von immer mehr und immer neuen Vorschriften, und vor allem halte ich nichts von Zwängen – und dass die ‹Freiwilligkeit› in solchen Fällen wirklich immer gegeben ist, wie uns weisgemacht wird, bezweifle ich stark.

 

Immerhin kann die Stadt beim «Quai Zurich» die 8,35 Millionen Franken sparen, welche die ‹Zurich› freiwillig in die Aufwertung der Hafenpromenade Enge steckt. Die CVP ist doch sonst auch immer fürs Sparen?

Die CVP befürwortet, dass wir in der Stadt Zürich den Gürtel nun endlich enger schnallen. Es gibt keine Alternative dazu, auch wenn das noch immer nicht alle Parteien begriffen haben. Gegen ein Sponsoring einer Seeanlage ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Mich stört aber bei dieser Vorlage in erster Linie die erwähnte ‹Freiwilligkeit›. Das hinterlässt bei mir ein mulmiges Gefühl im Magen. Mir wäre es lieber, wenn der Stadtrat endlich mit dem Sparen vorwärts machte: Das, was bei seinem Projekt 17/0 bislang herausgeschaut hat, ist dürftig. Der Berg hat nicht mal eine Maus geboren! Ausser Ankündigungen ist bis jetzt wenig herausgekommen. Und die finanzielle Lage wird sich zuspitzen.

 

Warum hat CVP-Fraktion der Vorlage «Quai Zurich» angesichts all dieser Vorbehalte überhaupt zugestimmt?

Der geplante Neubau selbst ist nicht Gegenstand der Abschöpfungsaktion, sondern nur die Hafenpromenade. Dieser Weisung kann man deshalb zustimmen – allerdings mit wenig Begeisterung. In Zukunft unterstützen wir solche Deals wohl weniger.

 

Angenommen, ein Privater will demnächst für seine drei alten Mehrfamilienhäuser im Seefeld Ersatzbauten mit Familienwohnungen erstellen. Weil er dafür eine höhere Ausnützung braucht, gibts einen Gestaltungsplan, und darin verlangt die Stadt von ihm, im Erdgeschoss eine Kinderkrippe zu bauen. Dazu würde die CVP folglich Nein sagen?

Das ist ein ziemlich konstruiertes Beispiel. Wie schon erwähnt: Wir schauen jede einzelne Vorlage genau an, bevor wir unsere Entscheidung treffen.

 

Aber dieser Private hätte, genau wie auch die ‹Zurich›, einen Vorteil von der höheren Ausnutzung – und der ‹Zurich› geht es zudem kaum so schlecht, dass sie sich einen freiwilligen Beitrag nicht leisten kann…

Das mag sein, aber genau darum geht es nicht: Mit Ihrer Frage sprechen Sie den wunden Punkt an: Der ‹Zurich› darf man das ‹freiwillig› abverlangen, weil sie Geld hat. Solange wir nicht wissen, wie freiwillig das ist, solange haftet solchen Vorlagen ein Geruch von Hinterzimmer-Geschäften an, und das finde ich heikel. Was kommt als nächstes? Bekanntlich kommt der Appetit mit dem Essen. Das gilt wohl auch für die Stadt in solchen Belangen.

 

Das kann man sich auch bei der CVP fragen: Im Herbst 2011 war die Stadtpartei praktisch pleite. Und zur CVP-Unterschrift unter das Quai-Zurich-Postulat ist das Gerücht in Umlauf, die Stadtpartei habe sich diese von den Bürgerlichen bezahlen lassen…

Das ist absurd!

 

Gegen Hilfe im Wahlkampf hat die CVP ja auch nichts.

Sie spielen auf die Regierungsratswahlen an. In der Schlussphase des Regierungsratswahlkampfs hat die SVP für unsere Kandidatin Silvia Steiner einige Inserate geschaltet und bezahlt. Das ist völlig transparent abgelaufen – es stand sogar in den grossen Zürcher Tageszeitungen – und hatte ausserdem wenig mit der CVP Stadt Zürich zu tun, da Regierungsratswahlen kantonal sind und somit in erster Linie Sache der Kantonalpartei. Es ist ja auch schon vorgekommen, dass die SP KandidatInnen anderer Parteien unterstützt hat; das ist aus meiner Sicht nichts Anrüchiges. Hier irgendwelche Konstrukte zu bilden, ist abwegig: sie gehören vielmehr definitiv ins Reich der Sagen und der Märchen.

 

Die CVP macht es der Gerüchteküche aber auch einfach: Vor der Abstimmung über die Siedlung Hornbach weibelte CVP-Gemeinderätin Karin Weyermann für ein Ja – und die Präsidentin der kantonalen CVP, Nicole Barandun, machte sich für ein Nein stark. Einer Partei, von der man nie weiss, wo sie steht, traut man halt auch sonst allerhand zu.

Unsere Partei war klar für die Vorlage; immerhin geht sie auf einen Vorstoss eines ehemaligen CVP-Gemeinderats zurück. Frau Barandun hat sich in ihrer Funktion als Gewerbeverbandspräsidentin geäussert. Oder haben Sie irgendwo das CVP-Logo oder ihre Funktionsbezeichnung als Kantonalparteipräsidentin gegen die Vorlage gesehen? Ich auf alle Fälle nicht.

 

Und damit Verwirrung gestiftet?

Überhaupt nicht. Ich halte generell nichts von Maulkörben und stalinistischem Kadavergehorsam. Monokulturen sind bekanntlich schädlich. Die CVP ist eine breit aufgestellte Partei. Das ist kein Geheimnis – und bei uns nicht anders als bei den andern Parteien auch. Zudem war das Engagement von Frau Barandun mit der Partei abgesprochen. Die Partei, in der immer alle einer Meinung sind, gibt es nicht – auch nicht bei den Linken. Und die Abstimmung ist im übrigen ja in unserem Sinne ausgegangen.

 

Fassen wir zusammen: Die CVP ist für den wohnpolitischen Grundsatzartikel, aber nicht in jedem Fall für dessen konkrete Umsetzung?

Wir sind vor allem dafür, dass die städtischen Wohnungen in erster Linie Familien und Einzelpersonen mit tiefen Einkommen zur Verfügung stehen. Deshalb unterstützen wir das Anliegen, dass die Stadt künftig sowohl das Einkommen als auch das Vermögen ihrer MieterInnen periodisch kontrollieren soll. Dafür braucht es aber keinen riesigen Verwaltungsapparat. Es geht lediglich darum, jene Leute aus den Wohnungen zu bringen, die keine Berechtigung haben, dort zu wohnen, und zwar ungeachtet dessen, ob es sich um ehemalige Chefbeamte im Ruhestand handelt. Wir wollen keine Wohnkolonien von irgendwelchen Parteimitgliedern. Die städtischen Wohnungen sollen jenen Menschen zur Verfügung stehen, die sie wirklich brauchen.

 

Per 31. Dezember 2012 hatten in der Stadt Zürich 27,8 Prozent der Ehepaare ein steuerbares Einkommen von 0 bis 50 000 Franken. In den städtischen Wohnsiedlungen gehörten 46,1 Prozent der Ehepaare in diese Kategorie. Was genau macht die Stadt falsch?

Dagegen, dass solche Ehepaare in einer städtischen Wohnung wohnen, ist sicher nichts einzuwenden. Der CVP geht es darum, dass Topverdiener nicht länger in diesen Wohnungen geduldet werden dürfen. Es gibt Paare, die vor 20 Jahren tatsächlich berechtigterweise in eine städtische Wohnung zogen, doch heute leben sie immer noch in den gleichen vier Zimmern, und die tiefe Miete ist nicht wesentlich höher, obwohl sie längst bei einem Jahreslohn von über 100 000 Franken angelangt sind. Das geht nicht. In solchen Fällen müsste die Stadt schon längst marktübliche Preise verlangen oder zumindest die Belegungsvorschriften rigoros durchsetzen – oder je nach Situation die Kündigung aussprechen.

 

Laut Gemeindeordnung gilt für die städtischen, nicht-subventionierten Wohnungen das Prinzip der Kostenmiete. Geht es nach der CVP, müsste man künftig sowohl Mietverhältnisse zur Kosten- wie auch solche zur Marktmiete zulassen: Wo genau würden Sie die Grenze ziehen?

Wie das im Detail zu regeln wäre, kann ich nicht allein entscheiden; das ist Gegenstand der Debatte, die beginnt, sobald der «Neuerlass der Verordnung über die Grundsätze der Vermietung von städtischen Wohnungen» in den Rat kommt. Er steckt zurzeit noch in der Kommission. Aber nochmals zum Grundsatz: Städtische Wohnungen sollen jenen zugute kommen, die solche günstige Wohnungen benötigen, weil sie auf dem normalen Wohnungsmarkt keine oder solche nur unter schwierigen Bedingungen erhalten. Wir wollen keine Residenzen für verdiente Funktionäre.

 

Die CVP ist somit für städtische Wohnungen für die, die es nötig haben: Befürchten Sie keinen Ärger, wenn Lochergut, Hardau & Co. zu Siedlungen werden, in denen ausschliesslich die Ärmsten wohnen?

Nein, wir wollen keine Ghettos. Zustände wie in den USA, wo es in einigen Städten klar ist, wo ‹die Reichen› wohnen und wo ‹die Randständigen›, brauchen und wollen wir in Zürich definitiv nicht. Uns ist eine gute Durchmischung wichtig – und die ist noch lange nicht in Frage gestellt, wenn ein paar pensionierte Chefbeamte die Kündigung des Mietvertrages erhalten und sich eine neue Bleibe suchen müssen.

 

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* Markus Hungerbühler (40) ist seit 2008 Parteipräsident der CVP Stadt Zürich und seit 2011 Mitglied im Zürcher Gemeinderat. Er ist Geschäftsleiter des Baumeisterverbands Zürich/Schaffhausen. Zudem ist er Präsident des Vereins Krankenstation Friesenberg und Vorstandsmitglied der Homosexuellen Arbeitsgruppen Zürich.

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