«Menschlich, wenn ihr könnt, aber unter allen Umständen – holt Gold!»

Von der Kolonialzeit bis heute – Gold aus südamerikanischem Boden erreicht seit Jahrhunderten Europa. Heute findet jährlich peruanisches Gold im Wert von mehreren Milliarden Dollar seinen Weg in die Schweiz. Im Kontext der Konzernverantwortungsinitiative werden jedoch seit Jahren vermehrt Vorwürfe gegen einige der weltweit grössten Goldraffinerien mit Sitz in der Schweiz laut: Sie verarbeiten vermutlich Gold, dessen Abbau in Peru unter menschenrechtsverletzenden und umweltzerstörerischen Bedingungen geschieht.

 

von Jenny Hutchings

 

«Holt Gold menschlich, wenn ihr könnt, aber unter allen Umständen – holt Gold!», befahl der spanische König Ferdinand 1511 den sogenannten Eroberern des amerikanischen Kontinents. Diese leisteten Folge. Der letzte Inkaherrscher Atahualpa wurde erdrosselt, und die zahllosen Tonnen Edelmetall, die von der indigenen Bevölkerung und versklavten Menschen aus Afrika abgebaut und nach Europa verschifft wurden, verhalfen den Europäern zu wirtschaftlicher Dominanz.

 

Schweiz dominiert Goldhandel

 

Heute ist es vor allem die Schweiz, die den globalen Goldhandel dominiert. Sie ist zur Gold-Drehscheibe der Welt geworden. In kein anderes Land werden so grosse Mengen des beliebten Edelmetalls importiert wie in die Schweiz. Und auch bei den Exportzahlen ist sie alleinige Anführerin. Lange wurde über die Rolle der Schweiz im Goldhandel gemunkelt. Doch als die Eidgenössische Zollverwaltung 2014 damit begann, den Handel von Edelmetallen in die Aussenhandelsstatistik einzubeziehen, wurde klar: Nicht Schweizer Käse, Uhren oder Medikamente geben den Ton an, sondern Gold ist mit einem Anteil von rund einem Fünftel des Gesamtwertes des Schweizer Aussenhandels führend. Erklären lassen sich diese Zahlen damit, dass vier der weltweit grössten Goldraffinerien ihren Sitz in der Schweiz haben: Valcambi, Metalor, Argor-Heraeus and Produits Artistiques Métaux Précieux (PAMP). So werden jährlich etwa 70 Prozent des global abgebauten Edelmetalls hier verarbeitet. Auch Gold aus peruanischen Minen wird auf Schweizer Boden zusammengeschmolzen. Dass diese bedeutsame Handelsbeziehung mit dem Schwellenland Peru ganz unproblematisch ist und die teilweise arme und indigene Lokalbevölkerung von den Goldminen profitiert, zweifelt die Schweizer Gesellschaft für bedrohte Völker seit Jahren öffentlich an.

 

Von Geldwäscherei bis Zwangsprostitution

 

Lange Zeit stand die Raffinerie Metalor mit Sitz in Neuenburg im Zentrum der Kritik. Ihr wurde vorgeworfen, über den peruanischen Exporteur Minerales del Sur an Gold aus illegalem Abbau zu gelangen. Dieser wird mit Praktiken wie Geldwäscherei, Korruption, illegaler Abholzung und Menschenhandel – auch für Zwangsprostitution – in Verbindung gebracht. Die langjährigen Vorwürfe gegen Metalor hatten Hand und Fuss: Minerales del Sur unterhält ausschliesslich Filialen in den zwei Regionen Puno und Madre de Dios. Beide sind Hochburgen des Kleinbergbaus, wo Minenarbeiter unter prekären Arbeitsbedingungen und mithilfe von hochgiftigem Quecksilber Gold abbauen.

 

Im März 2019 bestätigte Metalor erstmals, Gold aus La Rinconada in der Region Puno bezogen zu haben. Hier wird Gold zumeist illegal abgebaut. Augenzeugenberichte wie etwa der von Hildegard Willer vom März 2018 in der ‹Tageswoche› zeichnen von der berüchtigten Minenstadt ein düsteres Bild. Auf über 5100 Metern in den Anden Perus leben hier mehr als 50 000 Menschen ohne Kanalisation und Müllabfuhr. Im Gestein unter dem nahegelegenen Gletscher, von der indigenen Quechua-Bevölkerung auch «schlafende Schönheit» genannt, suchen Minenarbeiter unermüdlich nach Gold. Das ausbeuterische «Cachorreo»-System, das hier gilt, verhilft jedoch den wenigsten aus der Armut. 25 Tage arbeiten die Bergleute ohne Lohn, um dann alles Gold, was sie am sechsundzwanzigsten Tag finden, behalten zu dürfen. Viel ist das meistens nicht. Um die Bergarbeiter bei Laune zu halten, werden minderjährige Mädchen mit dem Versprechen auf einen Job in einem der lokalen Restaurants angelockt, dann aber in den zahllosen Bordellen der Stadt sexuell ausgebeutet. Ausserdem wird die gesamte Bevölkerung von La Rinconada durch das bei der Goldförderung freigesetzte Quecksilber gefährdet. Die giftigen Dämpfe kondensieren und setzen sich auf dem Schnee der Hausdächer ab. Dieser Schnee ist für viele die einzige Trinkwasserquelle. Dass laut dem peruanischen Institut für Arbeit und Gesundheit 95 Prozent der Kinder und Jugendlichen in La Rinconada unter Schädigungen des Nervensystems leiden, überrascht deshalb kaum. Und das Quecksilber vergiftet nicht nur die Bewohnerinnen und Bewohner der Minenstadt, sondern verseucht auch den Fluss, der von La Rinconada abwärts fliesst.  So sind lokale Fischer gezwungen, ihre Existenz aufzugeben. 

 

Die Goldraffinerie Metalor betonte in ihrer Mitteilung vom März 2019, ausschliesslich Gold aus legalen und registrierten Minen erhalten zu haben. Einer ihrer wichtigsten Lieferanten, Minerales del Sur, wird jedoch seit Jahren von peruanischen Behörden der Geldwäscherei, Steuerhinterziehung und des illegalen Goldabbaus beschuldigt. Im April 2018 konfiszierten die peruanischen Behörden eine für Metalor bestimmte Lieferung von 90 Kilogramm des Edelmetalls. Bei 40 Prozent dieses Golds kann Minerales del Sur nicht erklären, woher es kommt. Die lokalen Behörden gehen deshalb davon aus, dass ein Teil davon aus illegalem Abbau in Puno und Madre de Dios stammt.

Nach langanhaltendem öffentlichen Druck gab Metalor im Juni 2019 schliesslich bekannt, sich vorerst aus dem handwerklichen Goldabbau zurückzuziehen. Der Fokus solle künftig auf der Beschaffung von Edelmetallen aus industriellem Abbau liegen. Aber auch dort scheint das glänzende Gold unter weniger glänzenden Bedingungen abgebaut zu werden.

 

Auch legaler Goldabbau problematisch

 

Umweltkatastrophen, tödliche Unterdrückung von Protesten der Lokalbevölkerung und ominöse Abkommen zwischen dem Minenunternehmen und der peruanischen Polizei – immer wieder berichten peruanische und Schweizer Medien und Menschenrechtsorganisationen Problematisches von der industriellen Yanacocha-Mine im Norden Perus. Yanacocha ist Südamerikas grösste Goldmine. 70 Prozent des hier abgebauten Goldes findet seinen Weg zur Raffinerie Valcambi im Tessin. Die mehrheitlich indigene Lokalbevölkerung, Nachfahren Atahualpas, sieht von diesem Reichtum aus der Erde allerdings kaum etwas. Das Departement Cajamarca, wo die Yanacocha-Mine liegt, ist eines der ärmsten Perus. Das liegt wohl auch daran, dass der hier betriebene industrielle Goldabbau in Form des Grossbergbaus im Tagebau ganze Landstriche und riesige Mengen Wasser beansprucht. Da die ortsansässige Bevölkerung vor allem von Ackerbau und Viehzucht lebt, fehlt ihr als Folge dieses Land und Wasser. Beim Goldabbau werden zudem Schwermetalle freigesetzt, die über undichte Stellen in Abraumhalden und Rückhaltebecken ins Grundwasser gelangen. Die Leukämierate in der Region ist stark erhöht und Nutztiere, die Wasser aus nahegelegenen Bächen getrunken haben, sterben. Die Lokalbevölkerung gibt der örtlichen Goldmine für diese Folgen die Schuld. Restlos bewiesen wurde der Zusammenhang bisher nicht.

 

Seit Inbetriebnahme der Mine im Jahr 1993 gingen aus all diesen Gründen immer wieder abertausende ortsansässige Campesinos auf die Strasse. Die peruanische Nationalpolizei und Armee reagierten rigoros: Zwischen 2004 und 2013 starben elf Demonstranten, 282 wurden verletzt und 300 wurden wegen Gründen wie Friedensstörung, Verrat und terroristischer Aktivitäten angeklagt. Eine Untersuchung der internationalen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zu einem ausserordentlich tödlichen Protest im Jahr 2012 gegen ein neues Minenprojekt namens Conga fand Beweise, die stark darauf hinweisen, dass die fünf Todesfälle auf die rechtswidrige Anwendung tödlicher Gewalt durch die Sicherheitskräfte zurückzuführen sind. Ein Bericht von Schweizer und peruanischen Menschenrechtsorganisationen enthüllte zudem ein geheimes Abkommen zwischen dem Yanacocha-Unternehmen und der Polizei. Das Unternehmen kann jederzeit die Dienste der Polizei anfordern. Diese muss ausserdem regelmässig patrouillieren, um allenfalls erkannte Gefahren zu bannen. Im Gegenzug bietet das Minenunternehmen der Polizei umfassende finanzielle sowie logistische Unterstützung, und beteiligte Polizisten erhalten für jeden Einsatz eine Prämie. Die Menschenrechtsorganisationen kritisieren, dass die Nationalpolizei so einen starken Anreiz hat, nicht mehr die Landesbevölkerung zu schützen, sondern ausschliesslich im Dienste des Unternehmens zu stehen und dessen Interessen zu wahren.

 

 

Durch die Geschehnisse rund um die Yanacocha-Mine verhärtet sich also der Verdacht, dass auch in formellen, ganz legalen Minen nicht alles mit rechten Dingen zu und her geht. Die momentanen Gesetze scheinen nicht auszureichen.

 

Die Schweiz in der Pflicht

 

Als Land, in dem mehrere der weltweit grössten Goldraffinerien ihren Sitz haben, profitiert die Schweiz. Eine Studie im Auftrag des Verbands der Schweizer Edelmetallindustrie zeigt, dass der Sektor der Edelmetallraffinerie direkt und indirekt rund 2600 Stellen schafft und dem Schweizer Staat jährlich rund 40 Millionen Franken Steuereinnahmen beschert. Dieser hat die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass sich keine im Land ansässigen Unternehmen über Menschenrechte und internationale Umweltstandards hinwegsetzen, um an Profit zu gelangen. Mit der Konzernverantwortungsinitiative besteht für die Schweiz erstmals die Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass Unternehmen mit hiesigem Sitz Menschenrechte und internationale Umweltstandards auch im Ausland respektieren. Goldraffinerien wären in die Pflicht genommen, da sie in einem sogenannten Hochrisikosektor tätig sind. Dank der Sorgfaltsprüfungspflicht müssten sie prüfen, inwiefern ihre Tätigkeiten international anerkannte Menschenrechte verletzen könnten. Sie sind dann verpflichtet, Massnahmen zu ergreifen, um diese Menschenrechtsverletzungen zu verhindern und darüber zu berichten.

 

Wir wären noch immer meilenweit von der Weltanschauung und Lebenspraxis des indigenen Quechua-Volkes, das um die Goldabbaugebiete lebt, entfernt. «Sumak Kawsay», auf Deutsch so viel wie «Gutes Leben», sieht als Gegenentwurf zur kapitalistischen Logik von Wirtschaftswachstum und Profit die Menschen als Teil der Natur. Ihr Wohlbefinden erreichen sie in Harmonie miteinander und mit der Natur. Und: Natur soll nicht besessen oder verkauft werden. Gold bleibt mehrheitlich in der Erde. Obwohl unsere Wirklichkeit von diesem Konzept noch weit entfernt ist, wäre es womöglich an der Zeit, dafür zu sorgen, dass Gold eben nicht mehr unter allen Umständen geholt werden kann, wie König Ferdinand es gerne gehabt hätte.

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