- Gemeinderat
Menschenrechte und ein Referendum
Der Bericht der Ombudsstelle fürs Jahr 2023 gab an der Sitzung des Zürcher Gemeinderats vom Mittwochabend mehr zu reden als auch schon. Der Rat war sich zwar wie jedes Jahr darin einig, dass der Ombudsmann Pierre Heusser und sein Team gute Arbeit leisten. Im Mittelpunkt stand der Schwerpunkt des Berichts, die Menschenrechte – beziehungsweise der Vorschlag, Zürich könnte eine «Menschenrechtsstadt» werden (siehe auch P.S. vom 24. Mai).
Kommissionssprecherin Rahel Habegger (SP) führte dazu aus, am Beispiel der Menschenrechtsstadt Graz werde aufgezeigt, wie man dazu vorgehen könnte. Es gebe viele Fallbeispiele im spannenden Bericht, und sie empfehle allen, ihn zu lesen. In der Stadt Zürich gebe es auch schon viele Angebote, die es ihr ermöglichen würden, sich Menschenrechtsstadt zu nennen: «Was noch fehlt, ist das Bewusstsein und der politische Wille, sich selber als Menschenrechtsstadt zu sehen.» Rahel Habegger erwähnte zudem ein zweites wichtiges Thema im Bericht, die korrekte Aktenführung der Verwaltung. Es sei «von grosser Wichtigkeit», dass Akten gut geführt würden, das sei «eine verfassungsmässige Pflicht» und stärke zudem das Vertrauen der Menschen in die Verwaltung. Nun für die SP fügte sie an, ihre Fraktion nehme «mit Freude» zur Kenntnis, dass schon viel da sei, um zur Menschenrechtsstadt Zürich zu werden. Die SP nehme diesen «Steilpass» beziehungsweise «Wink mit dem Zaunpfahl» gerne auf und werde entspreched vorstössig werden.
Für die Minderheit sagte Bernhard im Oberdorf (SVP), seine Fraktion habe den Bericht in den letzten Jahren jeweils zur Kenntnis genommen, doch dieses Mal sei es anders. Es stehe zwar «viel Gutes drin», doch aktuell müsse das Gewerbe «schwer unter der Rad-WM leiden» und werde drangsaliert: «Das konkurriert einfach sehr stark mit den Menschenrechten.» Es gehe schlussendlich darum, dass hier ein gewisses Departement eine «Velokratie» wolle, und deshalb müsse die SVP den Bericht leider ablehnen, «trotz der guten Arbeit von Herrn Heusser».
Michael Schmid (FDP) sagte, die Freisinnigen seien von der zentralen Bedeutung der Menschenrechte überzeugt. Gerade deshalb hielten sie jedoch wenig vom Konzept der sogenannten Menschenrechtsstadt oder davon, dass Zürich eine solche werden solle: «Unser Anspruch ist, dass die ganze Schweiz ein Menschenrechtsland ist mit 26 Menschenrechtskantonen und gut 2000 Menschenrechtsgemeinden.» Es wäre «völlig falsch, den Eindruck zu erwecken, dass die Menschenrechte an der Stadtgrenze aufhören», fügte er an. Das gelte im aktuellen politischen Klima ganz besonders, wo eine «tatsächliche oder herbeigeredete» Spaltung zwischen Stadt und Land verstärkt ein Thema sei und sogar über zwei Halbkantone, Zürich Stadt und Zürich Land, sinniert werde. Solche «Allüren», dass man eine «Menschenrechtsstadt linksaktivistischer Prägung» werden solle, brauche es nicht. Zur Stadt Graz als Beispiel fügte Michael Schmid an, sie werde zurzeit von einer Stadtpräsidentin geführt, die Mitglied der kommunistischen Partei Österreichs sei – und der Kommunismus führe nun mal zum «absoluten Gegenteil der Menschenrechte». Dafür, dass der Ombudsmann das Thema Aktenführung aufgegriffen habe, sei die FDP hingegen sehr dankbar. Er schloss mit den Worten, die Lektüre des Berichts sei «wie immer wertvoll».
Moritz Bögli (AL) bedankte sich vorab beim Ombudsmann und seinem Team für den Bericht, um sodann das Votum seines Vorredners als «sehr abstrus» zu bezeichnen. Dies, weil gerade diese Woche im Nationalrat darüber abgestimmt worden sei, ob man aus der europäischen Menschenrechtskonvention austreten solle und weil «soweit ich informiert bin, auch Mitglieder der FDP der entsprechenden Motion zugestimmt haben». Die Menschenrechte seien in der Schweiz «konstant unter Angriff» und müssten darum auch konstant verteidigt werden. Das gelte leider auch für Zürich, fügte er an und verwies darauf, dass die Ombudsstelle wiederholt auf gewisse Probleme hinweise, die Botschaft jedoch beim Stadtrat offensichtlich nicht ankomme. Als Beispiel nannte er Vorfälle von Racial Profiling. Mit 97 gegen 13 Stimmen (der SVP) nahm der Rat den Bericht zur Kenntnis.
Parlamentsreferendum ergriffen
Die neue Entschädigungsverordnung des Gemeinderats hatte an der Sitzung vom 4. September viel zu reden gegeben (siehe P.S. vom 6. September). Nun stand noch die Redaktionslesung und die Schlussabstimmung an. Mit 80 gegen 33 Stimmen (von SVP und FDP) kam die Vorlage durch. Dennoch ging das Geschäft nicht geräuschlos über die Bühne. In einer persönlichen Erklärung freute sich Samuel Balsiger (SVP) über einen «weiteren Erfolg» seiner Partei: Ohne Unterschriften sammeln zu müssen, habe sie zustande gebracht, dass es über die Entschädigungsverordnung, mit der sich die zustimmenden Fraktionen «schamlos bereichern» wollten, eine Volksabstimmung gebe. Sie hätten «kalte Füsse» bekommen, sie liessen sich von der SVP vor sich her treiben.
Was war geschehen? SP, Grüne, GLP, Mitte-/EVP und AL hatten gleichentags eine Medienmitteilung verschickt. Darin schreiben sie, es sei klar, dass der Gemeinderat «nicht abschliessend über höhere Entschädigungen für sich selbst entscheiden soll», weshalb sie gemeinsam das Parlamentsreferendum ergriffen. Lisa Diggelmann (SP) entgegnete Balsiger denn auch, von kalten Füssen oder Angst vor der SVP könne keine Rede sein. Michael Schmid (FDP) hingegen sprach von einer «skurrilen Pirouette», denn in der Debatte vom 4. September hätten die Parteien noch nichts von einem solchen Referendum wissen wollen. David Garcia Nuñez, Co-Fraktionspräsident der AL, konterte, er zumindest sei nie angefragt worden wegen eines Referendums. Es stehe der SVP und der FDP zudem frei, trotzdem noch Unterschriften sammeln zu gehen, das habe die AL bei der Pistenverlängerung auch gemacht. Selina Walgis (Grüne) fügte an, es sei entlarvend, dass sich SVP und FDP jetzt darüber aufregten, dass die Bevölkerung über die Entschädigungsverordnung abstimmen könne. Denn es sei ihnen offensichtlich nicht darum gegangen, dass die Bevölkerung darüber abstimmen könne, sondern darum, sich damit zu profilieren.
Emotional bis hitzig wurde sodann noch bis kurz nach halb zehn Uhr über fünf Vorstösse zum gleichen Thema debattiert, nämlich zur Abschaffung der Entsorgungscoupons und den geplanten neuen mobilen Recyclinghöfen, über die der Stadtrat gleichentags via Medienmitteilung informiert hatte. Fünf Vorstösse zum gleichen Thema? Dazu nur soviel: Morgen Samstag muss der Rat nachsitzen, um Postulate abzuarbeiten. Ratseffizienz sähe definitiv anders aus…