Bild: Hannes Henz

Mehr Klischees als Fakten

Wer von ihren Kolleg:innen «gemeinnützig» wohnt, interessiert die Mitglieder der FDP-Fraktion sehr –  ihr Wunsch nach Offenlegung erfüllte ihnen die Mehrheit trotzdem nicht.

Was an der Sitzung des Zürcher Gemeinderats vom Mittwochabend hauptsächlich zu reden geben würde, war bereits anhand der Traktandenliste klar: der Beschlussantrag der FDP-Fraktion zur «Offenlegung der von der Stadt geförderten Wohnformen». Der Beschlussantrag lautet: «Die Mitglieder des Gemeinderates legen gegenüber der Öffentlichkeit offen, ob sie in einer von der Stadt Zürich finanziell geförderten Wohnform leben. Die Geschäftsordnung ist diesbezüglich zu präzisieren, inklusive dem Umgang mit allfälligen Ausnahmen.» Interessant ist der erste Satz der Begründung dieses Antrags: «Zweck der Veröffentlichung von Interessensbindungen der Gemeinderäte ist es, wirtschaftliche und/oder ideelle Interessen der einzelnen Mitglieder des Gemeinderates offenzulegen, um so politisches Handeln einordnen zu können.» Ob jemand zur Miete bei der Stadt, einer Genossenschaft, einer privaten oder institutionellen Vermieterin wohnt oder über selbstbewohntes Wohneigentum verfügt, ist bislang nicht Teil dessen, was die Gemeinderät:innen als «Interessensbindungen» ausweisen.

So genau wollte es die FDP allerdings nicht wissen, ihr ging es vor allem um das, was im November in einem Artikel in der ‹NZZ am Sonntag› zu lesen war, wie Përparim Avdili (FDP) ausführte. Dort sei herausgekommen, dass «ein erheblicher Teil der Linken, bis 60 Prozent», in «offensichtlich gemeinnützigen Wohnungen» wohnten. Avdili fügte an, der Verdacht sei «immer schon da gewesen» – der Verdacht, dass die Linken sich nicht für gemeinnützige Wohnungen für die einfache Bevölkerung einsetzten, sondern «für die eigene politische Klientel». Die FDP hingegen habe immer schon Transparenz und eine gerechtere Verteilung des Wohnraums gefordert. Schliesslich flössen viele Steuermillionen in gemeinnützigen Wohnraum. Zudem seien die Mitglieder des Gemeinderats bereits privilegiert, und links bis GLP und Mitte wolle sich bekanntlich am 9. Februar den Lohn verdoppeln lassen. Entsprechend müsse man auch transparent offenlegen, ob sie in einer «von der Stadt Zürich finanziell geförderten Wohnform» lebten.

Was heisst «von der Stadt gefördert»?

Matthias Probst (Grüne) entgegnete ihm,«es gibt städtische Wohnungen, und es gibt gemeinnützige Wohnungen, also Genossenschaften. Es gibt Genossenschaften, die auf eigenem Land bauen, selbstorganisiert, und überhaupt nichts mit der Stadt zu tun haben – die haben Sie auch mitgezählt. Es gibt Genossenschaften, die mit wahnsinnig vielen Auflagen auf städtischem Land bauen, null Franken Gewinn machen und das Gebäude am Schluss wieder zurückgeben – wahrscheinlich haben Sie das gemeint mit ‹gefördert›.» Der FDP gehe es vor allem darum, Mitglieder des Gemeinderats zu diskreditieren, die in einer gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaft lebten. Dabei gebe es nicht zuletzt wegen den gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaften in der Stadt Zürich überhaupt noch zahlbaren Wohnraum «für viele Menschen», fügte er an. Diese Genossenschaften seien «nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung». Vielleicht sollte es der FDP aber zu denken geben, dass sich mehr Menschen von der linken Ratsseite in solchen Genossenschaften engagierten, sprich, etwas Konkretes unternähmen für mehr zahlbaren Wohnraum. Dass  die Linken «Geld vom Staat nehmen zum Wohnen», sei «einfach nicht der Fall». In städtischen Liegenschaften wohnten genau vier Mitglieder des Gemeinderats, und alle hätten schon dort gewohnt, bevor sie gewählt worden seien.

Samuel Balsiger (SVP) sagte, die Linken wollten das Bankgeheimnis abschaffen und forderten bei der Parteienfinanzierung ständig Transparenz: «Was ist hier anders?» Schliesslich würden «hunderte Millionen Franken» in den städtischen Wohnbau gepumpt, und gleichzeitig würden die gut gestellten, häufig beim Staat arbeitenden Linken mit ihren überdurchschnittlich hohen Löhnen trotzdem in direkt oder indirekt subventionierten Wohnungen leben: «Sie würden besser ihre Wohnung kündigen und Platz machen für Menschen, die weniger Geld haben als sie, zum Beispiel für Sans-Papiers.» Was die Linken machten, gehe «Richtung Korruption, und das ist nicht in Ordnung».

Karin Weyermann (Die Mitte) erinnerte an die städtische Vermietungsverordnung, die vorschreibe, dass die finanziellen Verhältnisse und die Belegung kontrolliert würden, auch während der Dauer der Belegung. Im Gemeinderat sollten nicht nur Gutbetuchte mittun können, sondern auch Menschen, die auf solche Wohnungen angewiesen seien und die entsprechenden Bedingungen erfüllten. Im Gemeindegesetz sei definiert, was unter «Interessenbindungen» falle, und die Wohnform gehöre nicht dazu. Sonst müsste man auch diskutieren, ob man zur Miete oder im Eigentum wohne oder Eigentum vermiete, was «definitiv zu weit» gehe. Gäbe es aber den Verdacht, dass jemand in einer städtischen Wohnung wohne, weil er:sie im Gemeinderat politisiere, müsste man das sowieso anders, nämlich «aufsichtsrechtlich» angehen.

«Völlig absurd»

Lisa Diggelmann (SP) merkte an, der Artikel in der ‹NZZ am Sonntag› sei eine «schlecht recherchierte» Mediengeschichte gewesen, die «fehlerhafte Daten» verwendet habe. Die Forderung der FDP sei aber spannend, denn «grundsätzlich werden insbesondere Eigenheimbesitzer:innen steuerlich bevorteilt und bekommen so finanzielle Unterstützung». Wohnungen würden durch städtische Investitionsbeiträge vergünstigt für Menschen mit unterdurchschnittlichen Haushaltseinkommen, fuhr sie fort. Es könne ja nicht sein, dass Gemeinderät:innen, die ein unterdurchschnittliches Einkommen hätten, öffentlich ausweisen sollten, dass sie wenig verdienten. Und wenn es tatsächlich um Offenlegung gehe, könnte man auch offenlegen, wer eine Blaue-Zone-Karte habe oder wer zu einer Zunft gehöre – schliesslich werde das Sechseläuten mit Steuergeldern subventioniert… kurz: «Der Antrag ist völlig absurd.»

David Garcia Nuñez (AL) sagte, seine Fraktion sei sehr für Transparenz, doch hier gehe es nicht um Transparenz, sondern darum, in privaten Lebensverhältnissen herumzuschnüffeln, die für das Amt irrelevant seien. Martina Zürcher (FDP) erklärte, Gemeinnützige erhielten subventionierte Baurechte, während die anderen «viel mehr» zahlten, und brachte das (über zehn Jahre alte…) Beispiel der Tièchestrasse (P.S. berichtete). Sie vergass allerdings zu erwähnen, dass dort «die anderen» erstens den besseren Teil des Landes bekamen und darauf zweitens Eigentumswohnungen bauten. Mit 78 gegen 31 Stimmen (von FDP und SVP) lehnte der Rat den Beschlussantrag ab. Und weil die FDP ihren Verdacht, den sie immer schon hatte, wohl weiterhin hat, darf man gespannt sein, was ihr als nächstes einfällt…