Mehr ist nicht immer besser

Der Zürcher Gemeinderat befasste sich am Mittwoch hauptsächlich mit Baupolitik.

An der ersten Sitzung des Zürcher Gemeinderats nach den Sommerferien vom Mittwochabend stand eine umstrittene Motion der FDP-Fraktion zur Debatte: Konkret forderten die Freisinnigen die «Erhöhung der maximal zulässigen Gebäudehöhe um rund drei Meter für ein zusätzliches Vollgeschoss». In allen Wohnzonen, W2 bis W6, sollte ungeachtet der bestehenden Ausnützung ein zusätzliches Vollgeschoss möglich sein. Zur Begründung führte Hans Dellenbach (FDP) aus, die hohen Mieten in Zürich seien ein grosses Problem, und die FDP finde, dass die Exekutive zu wenig dagegen tue. Der Stadtrat fokussiere zu stark auf das gemeinnützige Wohnen, «doch das ist bloss Symptombekämpfung». Die FDP wolle mehr bauen. Natürlich müsse es Platz haben für Genossenschaften und städtische Wohungen, aber eben auch «für die Privaten, die am meisten machen». Diesen müsse die Stadt «Steine aus dem Weg räumen», damit es «mehr Wohnraum für alle statt Millionen-Subventionen für Wenige» gebe. Die bestehenden Gebäude in Leichtbauweise um einen Stock zu erhöhen, sei das richtige Rezept, und natürlich sei auch klar, dass das nicht überall gehen werde, etwa in der Altstadt.

Hochbauvorsteher André Odermatt erinnerte erst mal daran, dass das Begehren der FDP ein alter Bekannter ist: «Immer wieder» komme die Forderung nach einer pauschalen Aufzonierung, also danach, überall «einen Stock obendrauf» zu setzen. Diese «Giesskannenlösung» überzeuge jedoch nicht: Wenn die Ausnützung undifferenziert um 30 bis 35 Prozent erhöht werde, würden die bestehenden Reserven nochmals erhöht: «Damit wird aber auch der Druck, abzureissen und neu zu bauen, massiv erhöht.» Zudem habe man das Thema erst anlässlich der noch nicht weit zurückliegenden Debatte zum kommunalen Richtplan «sehr breit diskutiert», und der Richtplan sei behördenverbindlich. Zudem müsse man bei Verdichtungen nicht nur ans Wohnen denken, sondern es müsse auch die benötigte Infrastruktur in Form von Schulen, Sportplätzen etc. mitwachsen. Kurz: «Die Stadtbevölkerung hat mehr Sorgfalt verdient, als eine solche Giesskannenlösung bieten würde.»

«Keine gute Idee»

Reto Brüesch (SVP) erklärte, es vergehe keine Woche ohne Abbruch und Neubau, und die Motion der FDP sei «ein Ansatz, wie im Bestand erweitert werden kann». Die SVP stellte jedoch einen Textänderungsantrag: In den Wohnzonen W2 und W3 sollte maximal um drei Meter erhöht werden können, in den Wohnzonen W4 bis W6 um maximal sechs Meter. Die Erhöhung solle ans Erstellen von zusätzlichem Wohnraum im Bestand gebunden sein. Mischa Schiwow (AL) erklärte, der Gedanke einer generellen Aufstockung, welche die Wohnungsnot auffangen solle, klinge «verlockend». Doch es wäre ein «Freipass zur Profitmaximierung» – und «ein Freipass, noch mehr abzubrechen». Zürich habe zu Beginn der 1960er-Jahre bereits 440 000 Einwohner:innen gehabt, fügte er an, doch damals habe der Flächenverbrauch pro Person noch längst nicht 39,6 Quadratmeter betragen wie heute: «Die Immobilienwirtschaft will natürlich möglichst gross und teuer bauen.» Doch günstige Wohnungen durch weniger, aber grössere und teurere Wohnungen zu ersetzen bringe keinen zusätzlichen Personen eine Wohnung, dafür das zwei- bis dreifache an Mietkosten. Die AL lehne die Motion «dezidiert» ab.

Sven Sobernheim (GLP) erklärte, seine Fraktion sei für die Motion, denn sie sei auch für den Richtplan gewesen: «Wir sehen da keinen Widerspruch.» Zudem sei der Mehrwertausgleich unterdessen beschlossen, und es sei an der Zeit, «die Glasglocke zu heben». Und er widersprach Mischa Schiwow: Wer viel Profit machen wolle, müsse wenn schon kleine Wohnungen «am Limit für die Sozialhilfe» anbieten. 

Claudia Rabelbauer (EVP) fasste sich kurz: Mit der Textänderung der SVP könne ihre Mitte-/EVP-Fraktion die Motion gut unterstützen. Denn wenn es mehr Wohnungen gebe, würden diese auch günstiger. Brigitte Fürer (Grüne) fand die Idee, einen Stock draufzumachen, zwar auch «bestechend», aber hier werde weder die Richtplanung noch die BZO beachtet, und es sei keine gute Idee, etwas einzuführen, was noch mehr Druck aufbaue, Häuser abzureissen. Wenn dadurch wirklich Grünflächen und Bäume geschützt und die aufgestockten Wohnungen hundert Prozent preiswert wären, könnte man darüber reden, aber eine Aufzonung über die ganze Stadt, auch dort, wo die Ausnützungsziffern schon hoch seien, löse das Problem nicht und sei nicht zahlbar: Die Marktlogik «je mehr Wohnungen, desto günstiger» stimme nicht. Martina Zürcher (FDP) entgegnete ihr, von einer «Einladung zum Abriss» könne keine Rede sein. Und wenn mehr Wohnungen das Wohnen angeblich nicht günstiger machten, so sei auf jeden Fall klar, dass weniger Wohnungen es verteuerten. Nachdem die Abstimmung wegen technischer Probleme zweimal wiederholt werden musste, lehnte der Rat die Motion mit 61:60 Stimmen ab.

«Kein Wegwerfartikel»

Viel zu reden gaben auch noch die Festsetzung einer neuen Baulinie sowie die damit zusammenhängende Änderung der Bau- und Zonenordnung an der Schützengasse 4 / Waisenhausstrasse 5 in der Kernzone City. Das dortige Geschäftshaus aus den 1970er-Jahren soll abgerissen und neu gebaut werden. Flurin Capaul (FDP) stellte das Geschäft vor und betonte, man habe eine sehr gute Lösung gefunden, der dafür benötigte Landabtausch mit der Stadt umfasse lediglich rund einen Qua­dratmeter, und es gebe auch nur eine leichte Erhöhung der Ausnützung sowie eine Mehrwertabgeltung von rund 1,4 Millionen Franken. Jürg Rauser (Grüne) erklärte, SP, Grüne und AL lehnten die Baulinienvorlage ab und stellten bei der BZO-Änderung einen motivierten Rückweisungsantrag. Ein Gebäude aus den 1970ern, also nach bloss 50 Jahren, abzureissen, gehe nicht an. Es sei ihnen bewusst, dass es keine Garantie gebe, dass es stehen bleibe, wenn man das Geschäft ablehne, aber sie wollten «ein deutliches Zeichen setzen»: «Gebäude sind kein Wegwerfartikel.»

Marco Denoth (SP) fügte an, er sei seit elf Jahren im Rat und habe es noch nie erlebt, dass ein solches Geschäft abgelehnt worden sei – es sei also höchste Zeit, sich diese Freiheit zu nehmen, aber auch, sich ans Netto-Null-Ziel zu erinnern: «Wir halten uns an übergeordnetes Recht.» Flurin Capaul wollte nichts von einer solchen Freiheit wissen: Es gehe um einen reinen Verwaltungsakt, wie bei einer Einbürgerung. Michael Schmid (FDP) fand es «schockierend», dass man es als Bauherrschaft offensichtlich um jeden Preis vermeiden müsse, es mit dem Zürcher Gemeinderat zu tun zu bekommen. Schliesslich lehnte der Rat die Neufestsetzung der Baulinien mit 61:59 Stimmen ab und sagte mit 61:58 Stimmen Ja zum Rückweisungsantrag.

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