- Gemeinderat
Mehr Arbeit, mehr Geld?
An der Sitzung des Zürcher Gemeinderats vom Mittwochabend bildete die Totalrevision der Entschädigungsverordnung des Gemeinderats das Hauptgeschäft. Die aktuelle Entschädigung, die den Mitgliedern des Zürcher Gemeinderats für ihre Arbeit zusteht, war 1998 beschlossen und 2001 letztmals der Teuerung angepasst worden. Die SVP, die gegen die Vorlage war, teilte gleich zu Beginn via Fraktionserklärung mit, die Mehrheit im Stadtzürcher Gemeinderat wolle sich selbst die Bezüge verdoppeln: «Die SVP akzeptiert diesen schamlosen Griff in die Stadtkasse nicht und wird gegen die überrissene Entschädigungsverordnung das Volksreferendum ergreifen.» Und weiter: «In einer Zeit, in der der Mittelstand den Gürtel enger schnallen muss, bereichern sich die mitverantwortlichen Politiker schamlos an Steuergeldern – anstatt der Bevölkerung mittels struktureller Reformen und Steuersenkungen endlich das Leben zu erleichtern.»
Grundentschädigung
statt Spesen
Kommissionssprecherin Selina Walgis (Grüne) führte aus, dass die Idee für die Revision ursprünglich aus der fraktionsübergreifenden IG Frauen kam. Konkret gehe die Vorlage auf einen Beschlussantrag für die Überarbeitung der Entschädigungsverordnung zurück, den die Fraktionen von SP, Grünen, GLP, Mitte/EVP und AL eingereicht hatten. Zusätzlich zu einer «angemessenen Erhöhung» der Entschädigung forderten sie unter anderem die Einbindung in die berufliche Vorsorge, Krankentaggelder, Vergütung der Kinderbetreuung während der Parlaments- und Kommissionssitzungen und die Vergütung des behinderungsbedingten Assistenzbedarfs, soweit dieser nicht anderweitig abgedeckt ist.
Selina Walgis erinnerte an die letztmalige Anpassung der Verordnung (siehe oben) und fasste die vorgesehenen Änderungen zusammen: Statt der bisherigen Spesenentschädigung von monatlich 260 Franken sollen die Parlamentarier:innen künftig eine Grundentschädigung von 1000 Franken pro Monat erhalten. Dass die Spesengelder entfallen, bedeutet gleichzeitig, dass künftig sämtliche Bezüge der Sozialversicherungspflicht unterliegen. Weil so rund 40 Prozent der Bezüge der Ratsmitglieder abgedeckt seien, verzichtete die Mehrheit darauf, separate Anträge zu den Krankentaggeldern, der Kinderbetreuung und dem ebenfalls im ursprünglichen Beschlussantrag enthaltenen persönlichen ZVV-Jahresabo für die Zone 110 zu stellen. Dies auch «im Sinne der einfacheren Umsetzung», wie es in der Vorlage heisst. Das Sitzungsgeld soll neu 1.20 Franken pro Minute betragen, mindestens aber 108 Franken sowie 2 Franken pro Minute Kommissionssitzung, mindestens aber 180 Franken, womit die Mindestentschädigung jeweils einer Sitzungsdauer von eineinhalb Stunden entspricht.
«Gehaltserhöhung, ohne den Chef zu fragen»
Den Rückweisungsantrag der FDP begründete Roger Meier damit, die Revision erfülle die Forderungen des Beschlussantrags nicht, und die geplante Erhöhung sei «schamlos, wenn nicht gar gierig». Der Beschlussantrag sei «differenziert und gerechter» gewesen, doch davon sei nichts mehr übrig. Stattdessen habe die Kommission «die Arbeit verweigert» und «starr das Modell der Einpreisung» durchgesetzt. Indem aber Krankentaggeld, berufliche Vorsorge, Kinderbetreuung etc. in die Grundentschädigung eingepreist worden seien, erhielten nun Parlamentarier:innen Betreuungsgelder oder Krankentaggelder, die sie gar nicht nötig hätten – «und wer es tatsächlich nötig hätte, erhält nichts!». Roger Meier empörte sich weiter darüber, dass sich der Rat eine «Gehaltserhöhung von über 100 Prozent» gönne, und das, «ohne den Chef – das Volk – zu fragen». Mit einer moderaten Erhöhung hätte die FDP leben können, doch diesen «Griff in die Staatskasse» lehne sie ab.
Selina Walgis führte, nun für die Mehrheit, aus, der Arbeitsaufwand sei heute «erheblich höher» als 1998, und eine bessere Vereinbarkeit mit Beruf und Familie sei überfällig. Wegen der schlechten Vereinbarkeit gebe es zu viele Wechsel im Rat, und damit gehe auch zu viel Know-how verloren. Die Aufsicht über die Verwaltung sei eine anspruchsvolle Arbeit, für die es auch Erfahrung brauche. Heute entspreche die Aufgabe als Parlamentarier:in etwa einem 30-Prozent-Pensum. Die neue Entschädigung sei vergleichbar mit dem, was die Kantonsrät:innen nach der letzten Erhöhung vor viereinhalb Jahren erhielten.
«Alle sind freiwillig hier»
Roger Bartholdi (SVP) erklärte, ein «Lohnersatz» könne nicht das Thema sein, denn es seien ja alle freiwillig im Gemeinderat, und bei den Wahlen gebe es jeweils rund 1000 Kandidat:innen für die 125 Sitze. Er führte weiter aus, in anderen Städten bekämen die Parlamentarier:innen weniger Geld, «und soviel besser als alle anderen sind wir nicht». Sofia Karakostas (SP) hingegen erinnerte daran, die Sitzungen dauerten länger als früher, die Arbeitslast sei gestiegen und die Vereinbarkeit schlecht. Für viele sei es heute finanziell nicht tragbar, für die Ratsarbeit die Erwerbsarbeit zu reduzieren: «Es sollte aber für alle möglich sein, im Parlament mitzutun, auch für Handwerker, Coiffeusen oder Verkäufer:innen, um nur einige zu nennen.»
David Garcia Nuñez (AL) bemerkte, mit neu 34 statt 17 Franken brutto pro Stunde werde man in Zürich nicht zum Krösus. Auch in seiner Fraktion hätten Mitglieder den Rat verlassen müssen, weil sie es sich nicht mehr hätten leisten können. Christian Traber (Die Mitte) erzählte, wie es während seiner ersten Amtszeit von 1994 bis 1998 zu- und hergegangen sei: Die Sitzungen hätten von 17 bis 19 Uhr gedauert, danach sei man gemeinsam essen gegangen und um halb neun zuhause gewesen. Das habe sich seither «total verändert». Er zeigte sich erstaunt über die FDP, denn die nun gewählte höhere Grundentschädigung sei einfacher zu handhaben als einzelne Zuschläge und bringe damit auch weniger Bürokratie. Serap Kahriman (GLP) fügte an, die FDP hätte genug Zeit gehabt, um in der Kommission mitzuarbeiten, anstatt jetzt «als Show den Rückweisungsantrag zu stellen». Mit 93 gegen 21 Stimmen (der FDP) ging dieser bachab.
In der Detailberatung, die sich in die Länge zog, aber keine grundlegend neuen Argumente brachte, setzte sich die Mehrheit durch – Anträge wie jener der FDP, dass die Grundentschädigung nur 400 Franken betragen sollte, oder jener der SVP, die nur 300 Franken wollte, blieben chancenlos. Die Vorlage geht nun an die Redaktionskommission, die Schlussabstimmung folgt später. Zwei neue Postulate wurden an dieser Sitzung auch noch eingereicht, je eins von der SVP und der AL, zum selben Thema: Sie fordern den Stadtrat auf, die Streichung der kostenlosen Entsorgungscoupons rückgängig zu machen (siehe dazu auch das Pssst… auf Seite 7).