Mehr Ambition wagen

Eine Unterscheidung zwischen Master- (MA) und Bachelorfilmen (BA) lässt sich in diesem Diplomjahrgang der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) nicht allein aufgrund der Filme herstellen. Die altbekannten Schwächen – Dramaturgie und Drehbuch – sind dafür noch da.

 

Auffallend ist die Kaumunterscheidbarkeit auch, weil etwa der Herausragende «Macierz» (Mutterland) von Stefania Burla (BA) und «Ukopan» von Andrea Popovic (MA) eine sehr verwandte Geschichte, je in einer geglückten Form erzählen: Die Sorge von migrierten Nachkommen über das Wohlergehen ihrer im Ursprungsland gebliebenen Ahnen. Stefania Burla schickt eine Mutter und ihre erwachsene Tochter aufs Land nach Albanien, wo sie die Grossmutter dazu überreden möchten, ihr Landhaus in Seenähe zu verkaufen und mit ihnen in die Schweiz zu übersiedeln. Die Krux in dieser Erzählung bildet der Unwille zur freien Aussprache dessen, was ist. Nicht nur benötigt die Mutter eine kleine Ewigkeit, bis sie ihr Anliegen über die Lippen bringt, sie hat auch ganz offensichtlich ihre mitreisende Tochter keineswegs über die tatsächlichen Besitzverhältnisse aufgeklärt. Sie, die in der Fremde aufgewachsen ist, findet sich plötzlich nicht nur in einem Naturidyll wieder, sondern wird unvermittelt mit einer weitreichend zu treffenden Entscheidung konfrontiert. In sich rund, sehr humorvoll, auch im Szenenbild. Andrea Popovic schickt einen Enkel zurück nach Serbien. Ein Telefonanruf der Oma hat ihn irritiert. Besorgt liess er sofort alles liegen und begegnet seiner früheren Heimat und den wenigen dortgebliebenen Gleichaltrigen. Der Oma gehts prima und daran, etwas an ihrem Leben  zu ändern, hat sie keinerlei Interesse. Ihre nahezu emotionale Erpressung, um ein paar Tage familiäre Gesellschaft zu erhalten, steht in «Ukopan» hinter der Bedeutung der Beobachtungen des Enkels von Veränderungen bei Mitmenschen und dem allgemeinen Zustand der Heimat. Seine Begegnungen mit (freundlich ausgedrückt) Fatalismus wirken fast wie die Rückversicherung des vor dem Krieg geflohenen, trotz allem, das Richtige getan zu haben. Aber das Wiedersehen und die wachsende Erkenntnis schmerzen.

 

Konflikte

Nach aussen hin sichtbar werdende Konflikte thematisieren Emanuel Hänsenberger in «Ds wahre Gsicht» (BA) und Michael Karrer in «Füür Brännt» (MA). Hänsenberger lässt einen Tochter-Vater-Konflikt innerhalb eines wegen C verbotenen Konzerts eskalieren und übersetzt die Dringlichkeit des Tochterleids, statt Anerkennung immer nur spasshaft gemeinte Herablassung zu erfahren, vorwiegend in bildhafte Atmosphäre. Karrer schickt (s)eine Hood zum Feiern ans Wasser und stellt die Kamera beobachtend aufs Stativ. Das ergibt natürlich einen starken Eindruck von Authentizität, wohingegen ein regieseitiger Gestaltungswille sich nicht unbedingt aufdringlich manifestiert. Dorentina Imeri zeigt in «Motër» das Schicksal einer älteren Schwester einer nicht so lernfreudigen Jüngeren im sozialen Umfeld einer migrantischen Arbeiterfamilie.

 

Vielmehr innere Konflikte, die häufig ins Method-Acting kippen und das eigentliche Drama demzufolge höchstens schemenhaft erfassbar darstellen, sind dieses Jahr en vogue. Ian Oggenfuss kann sich in «Belcanto» nicht recht entscheiden, welche die für ihn zentrale Figur ist. Der Sänger, der wegen der Todesnachricht der Mutter am Premierenabend davonläuft, oder die Regisseurin, für die von dieser Produktion ihre berufliche Existenz abhängt, gerade weil ihre letzte Produktion durchgefallen ist. Valentin Raeber entscheidet sich in «Halbi Gspröch», eine individuelle Problemstellung allein über die Spiegelung in den Reaktionen der anderen erzählen zu wollen und verliert darüber etwas den Blick dafür, dass dem Publikum bis zu einer Begreifbarkeit der Sachlage eine entscheidende Information fehlt, der Kern. Lara Jacobs verhandelt in «Time Stranger» das zeitgeistige Prokrastinieren – mit teilweise verblüffenden Bildeffekten (Kamera: Tobias Wanner). Etwas irritierend bleibt der Auslöser. Ein Konzertbesuch ist freiwillig und wer keine Lust hat, bleibt weg. Die mangelhafte Entscheidungsfreude als innerer Konflikt ist nur schwer mit Mitteln der Oberflächendarstellung für andere nachvollziehbar hinzubekommen. Lene Imboden verhandelt in «Verglast» vermutlich die emotionale Achterbahnfahrt während der Aufarbeitung oder überhaupt erst Gewahrwerdung eines erlittenen sexuellen Übergriffes im Arbeitsalltag. Erzählerisch franst sie etwas aus, aber das Schlussbild ist der Hammer.

 

Farcen und Irrwege

Aurelio Ghirardelli stellt in «aufstehen und gehen» die eben nicht Sinnhaftigkeit von Vorschriften dar. Julie Olympia Cahannes findet mit «Mamagei» eine boshaft komische Überzeichnung für ein reales Problem. Und bleibt dabei schlank und knapp. Derweil Lars Wicki «Der Inhalt eines Bünzlis» gerade von diesem sec Zugespitzten mehr vertragen könnte. Michael Schwendinger agiert in «Utopie» wie ein Fotograf oder ist – nimmt man Nikolaus Geyrhalter als Referenz – zu ungeduldig und zu wenig wählerisch bezüglich der Stringenz der Sujets. Und Pascale Egli und Aurelio Ghirardelli geht vergessen, in «Ding» vor lauter Faszination über den Exotismus ihrer Protagonistinnen, ihre Verantwortung ihnen gegenüber wahrzunehmen. Sie führen sie schlicht vor, statt sie zu behüten.

 

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