Massentierhaltungsinitiative: ein kleiner Preis für mehr Tierwohl?

Roxane Steiger

 

Die Massentierhaltungsinitiative fordert strengere Minimalstandards bei der Tierhaltung. Ist das der richtige Ansatz für mehr Tierwohl und eine zukunftsfähige Landwirtschaft? Philipp Ryf, Co-Präsident von Sentience Politics und Kampagnenleiter der Massentierhaltungsinitiative, und Marco Schwab, Schweinemäster aus Winterthur, im Streitgespräch mit Roxane Steiger. 

 

Fangen wir mit einer Grundsatzfrage an: Was verstehen Sie eigentlich unter Massentierhaltung?

 

Marco Schwab: Wir haben in der Schweiz keine Massentierhaltung. Im Vergleich zum Ausland haben wir in der Schweizer Landwirtschaft kleine Strukturen mit wenig Tieren und wenig Fläche. Wir sind als Familienbetriebe aufgestellt. Somit kennen wir unsere Tiere und sind für sie verantwortlich. In China gibt es zum Beispiel Hochhäuser für die Schweinezucht, die über zehn Etagen hoch sind. Das ist für mich Massentierhaltung und nicht das, was wir in der Schweiz haben.

 

Philipp Ryf: Massentierhaltung ist ein System, in dem das Tierwohl systematisch zu kurz kommt. Das hat unterschiedliche Gründe. Bei 27 000 Masthühnern in einem Stall hat jedes Huhn eine A4-Seite Platz, um zu leben. Zehn Schweine dürfen bei uns auf der Fläche eines Autoparkplatzes gehalten werden. Es geht aber nicht nur um die Anzahl Tiere, sondern um ein Gesamtsystem, das den Import von 1,4 Millionen Tonnen Futtermittel verursacht. Das führt dazu, dass in den Herkunftsländern die Nährstoffe fehlen und wir in der Schweiz Nährstoffüberschüsse haben. Es ist ein System, das eine Menge produziert, die nicht sinnvoll ist. 

 

Herr Schwab, Sie haben einen Schweinemastbetrieb in der Region Winterthur. Was würde diese Initiative für Ihren Betrieb bedeuten?

 

M. S.: Ich habe einen Schweinemastbetrieb mit 480 Mastplätzen – das heisst, dass ich so viele Tiere halten darf. Die Ferkel kaufe ich mit 20 bis 25 Kilo einem Züchter ab und darf sie dann aufziehen. Ich produziere schon heute nach dem IP-Suisse-Label, also über den normalen Tierschutzstandards. Auf meinem Betrieb müsste ich bei Annahme der Ini­tiative kaum bauliche Massnahmen treffen. Allerdings käme es in der Zucht zu ex­tremen baulichen Massnahmen, was dazu führen würde, dass ich keine Ferkel mehr erhalte, die ich zum Produzieren brauche. Wenn ich die Ferkel nicht erhalte oder teurer kaufen muss, rendiert sich das für mich nicht. Das ist der grösste Kostenpunkt in der Schweinemast. Schlussendlich würde das heissen, dass ich nicht mehr produzieren könnte. 

 

Von der Initiative wären gemäss Schätzungen des Bundes nur fünf bis zehn Prozent der Betriebe betroffen. Das hört sich nach wenig an …

 

P. R.: Die Regulierungsfolgeabschätzung des Bundes geht davon aus, dass fünf bis zehn Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe bezüglich der Höchstbestandesverordnung betroffen wären. Es gibt weitere Betriebe, die aufgrund der Auslaufmassnahmen bauliche Massnahmen treffen müssten. Gesamthaft wäre eine Minderheit der Betriebe betroffen, aber eine Mehrheit der Tiere würde profitieren. Das liegt daran, dass die Mehrheit der landwirtschaftlich genutzten Tiere auf wenigen Grossbetrieben leben, auf denen das Problem am akutesten ist. 

 

M. S.: Das heisst aber auch, dass ein grosser Teil der Produktion wegfallen wird. Die Produktion von Hühnerfleisch und Eiern würde massiv zurückgehen. Bei Schweinen würde gemäss einer Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz der Selbstversorgungsgrad von 90 auf 50 Prozent zurückgehen. Bezüglich der Höchstbestande möchte ich betonen, dass ein Hühnerstall mit 18 000 Hühnern auch grösser gebaut ist als ein Kleinbetrieb. Die Masse alleine macht es nicht aus. 

 

P. R.: Sie sprechen von einer Studie, die der Bauernverband in Auftrag gegeben hat. In dieser Studie stehen Sachen, die so nicht stimmen. Uns wird immer wieder vorgeworfen, dass wir Bio-Suisse-Richtlinien über die Schweizer Landwirtschaft stülpen wollen und die Bauern deshalb von heute auf morgen anders produzieren müssten. Wir haben einerseits vier Forderungen bezüglich Unterbringung, Auslauf, schonender Schlachtung und maximalen Gruppengrössen. Bezüglich dieser Forderungen sollte man sich im Gesetz an den Bio-Suisse-Richtlinien 2018 orientieren. Gleichzeitig haben Bauern 25 Jahre Zeit für die Umstellung. Andererseits gehen auch die zuständigen Bundesämter wie jenes für Landwirtschaft, Veterinärwesen oder Gesundheit davon aus, dass der Fleischkonsum in den nächsten 25 Jahren sinken muss. Wir sind überzeugt, dass das geschehen wird und wollen dafür die Weichen stellen.

 

M. S.: Von einem 18 000er-Hühnerstall
auf einen 2000er zu reduzieren, ist ein doch sehr grosser Unterschied, der Bauern in den Konkurs treiben kann. Mein Stall wäre davon zwar nicht direkt betroffen, aber die Veränderungen auf dem Markt würden auch mich treffen. Die Folgen wäre eine Abnahme der Produktion und eine Zunahme an Billigfleischimporten.

 

P. R.: 18 000er-Ställe gibt es lediglich ein paar hunderte in der Schweiz. Die meisten Bauern wollen hin zu einer kleinräumigen Landwirtschaft mit geschlossenen Stoffkreisläufen. Mit unserer Initiative wird zudem nichts importiert, das nicht den Schweizer Standards genügt. 

 

M. S.: Ein 18 000er-Hühnerstall produziert viel mehr Fleisch und Eier für unsere Schweizer KonsumentInnen. Ich bin ebenfalls der Meinung, dass der Fleischkonsum abnehmen muss und hoffe, dass er es auch wird. Aber nicht auf diese Art, die auf Kosten von Bauern geht. Wir müssen beim Konsum ansetzen. 

 

P. R.: Und wie kommen wir dorthin? Grossverteiler zementieren den Status quo. Billigfleisch ist immer Aktion und Labelfleisch kostet zu viel. Wir müssen über die Politik gehen, um etwas zu verändern. 

 

Das Importverbot ist ein grosser Streitpunkt in der Debatte. GegnerInnen der Initiative sagen, dass das geforderte Importverbot von Produkten, die den Schweizer Standards bezüglich Tierwohl nicht entsprechen, nicht mit internationalen Handelsabkommen vereinbar sei. Auch der Bundesrat warnt vor Handelsstreitigkeiten. Wie sehen Sie das?

 

P. R.: Es ist Angstmacherei. Juristisch gesehen ist es glasklar: Solche Handelsbeschränkungen sind gemäss dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) erlaubt, wenn sie zum Schutz der öffentlichen Moral eines Landes beschlossen werden. Eine Volksinitiative ist der beste Gradmesser für die öffentliche Moral. Der politische Wille, um diese Importregelung umzusetzen, ist eine andere Frage. Der Bundesrat signalisiert, dass dieser Wille klein sei. Jedoch ist eine breite parlamentarische Mehrheit vom bürgerlichen bis ins linke Lager der Ansicht, dass man die Importvorschriften im Fall einer Annahme der Initiative unbedingt durchsetzen sollte, um die Schweizer Landwirtschaft zu schützen.

 

M. S.: Das sehen nicht alle so. Ich selber kenne mich nicht gut genug mit den Handelsverträgen aus, es gibt aber viele Stimmen, die die Importregelung als nicht umsetzbar beurteilen. Eine weitere Frage, die sich stellt ist, wer für diese Importkontrollen bezahlt. Das wird wiederum auf die KonsumentInnen abgeschoben. Im Ausland wird kaum nach unseren Standards produziert. Und selbst wenn für die Schweizer KonsumentInnen Produkte nach diesen Standards importiert würden, würde in der Folge für die KonsumentInnen aus den Importländern mehr vom schlechteren Standard produziert. So würde es unseren Tieren besser gehen, aber den Tieren im Ausland kaum. Dadurch, dass tierische Produkte teurer werden, heizt man zudem den Einkaufstourismus ins nahe Ausland an. Bereits heute werden Tierprodukte dort gerne gekauft. Das kann nicht im Sinne des Initiativkomitees sein. 

 

P. R.: Letztes Jahr hat das Parlament mit einer Motion beschlossen, dass man Importe zurückverfolgen können soll. Es gibt bereits eine Deklarationspflicht auf alle Produkte – pflanzlich sowie tierisch –, die nicht den Schweizer Standards entsprechen. Den bürokratischen Apparat für die Importkontrollen hätten wir also bereits. Wir haben zudem bereits heute Verträge mit ProduzentInnen, die nach unseren Richtlinien produzieren. Wir sehen aber schon auch, dass es einen gewissen bürokratischen Aufwand geben wird, um das Importverbot sicherzustellen. 

 

Ich höre die Befürchtung von Mehrkosten für ProduzentInnen und KonsumentInnen heraus. Lohnen sich diese Investitionen für die ProduzentInnen? Und müssen die KonsumentInnen in Zukunft mehr für ihr Fleisch zahlen?

 

P. R.: Es ist ein Geschenk für die Bauern, dass alles, was importiert wird, den Schweizer Standards entsprechen muss. Heute besteht in der Landwirtschaft ein grosser ökonomischer Druck. Gerade in der Schweinezucht steigen immer mehr Bauern aus, da die Nachfrage nachlässt und die Margen unglaublich tief sind. Dort müssen wir einen Riegel schieben. Das gilt insbesondere für Grossverteiler, die bei Annahme der Initiative mit den entsprechenden Minimalanforderungen im Angebot nicht weiter nach unten differenzieren werden können. Das heisst natürlich, dass die Produkte etwas teurer werden, laut Bundesrat um fünf bis zwanzig Prozent beim Minimalstandard. Das ist ein kleiner Preis für mehr Tierwohl. Heute ist im Laden das Bioprodukt doppelt oder dreifach so teuer wie das konventionelle. Als KonsumentIn steht man vor der Frage: Kaufe ich mit meinem Gewissen ein, oder kaufe ich das billigere Fleisch, das nicht aus tiergerechter Haltung stammt? Bei Annahme der Initiative wäre das konventionelle Produkt zwar fünf bis zwanzig Prozent teurer, aber es erfüllt den Minimalstandard, der aus Tierwohlsicht besser ist. 

 

M. S.: Man spricht auch von Preiserhöhungen zwischen 20 bis 40 Prozent. Schlussendlich haben KonsumentInnen heute schon die Wahl. Wir haben strenge Grundanforderungen an das Tierwohl, über die man auch herausgehen kann. Schweinefleisch wird zu 60 Prozent nach IP-Suisse-Richtlinien produziert. Gekauft werden davon nur circa 30 Prozent. Beim Biofleisch werden unter zwei Prozent verkauft. Es gibt Biobauern, die ihre Schweine nach konventionellen Preisen verkaufen müssen. Das rendiert sich überhaupt nicht. Auf dem Markt müssen Angebot und Nachfrage übereinstimmen. Konsument­Innen müssen etwas kaufen, damit die LandwirtInnen bereit sind, es zu produzieren. Mit dieser Initiative hebt man die Standards auf ein Angebot an, das heute bei Weitem nicht gekauft wird. 

 

P. R.: Ich verstehe nicht, wovor Sie Angst haben. Das Fleisch unter den Minimalstandards wird gar nicht mehr angeboten. Die KonsumentInnen können nicht mehr nach unten differenzieren. Dabei bleibt die Wahlfreiheit bestehen, denn man kann weiterhin Labels wie IP Suisse oder Bio Suisse kaufen, die über die Minimalanforderungen hinausgehen. Heute gibt es auch schon ein bundesgesetzliches Minimum für das Tierwohl. Wieso sollte die Grenze, so wie sie jetzt ist, optimal sein? Dass Menschen Billigprodukte kaufen ist nicht erstaunlich, wenn Grossverteiler für Bioprodukte riesige Margen berechnen. 

 

Herr Ryf, die von Sentience Politics lancierte Ini­tiative zielt auf die Produzenten ab. Ist das nicht zu einseitig, um ein ganzes System der industriellen Massentierhaltung nachhaltig zu überwinden? 

 

P. R.: Es ist die Natur einer Initiative, dass sie engmaschig ist. Wir wollen politisch einen Hebel in Bewegung setzen. Wir setzen aber nicht nur auf der Produktionsseite an. Dadurch, dass wir eine Importklausel vorsehen, haben Grossverteiler nicht mehr im gleichen Ausmass Möglichkeiten, ständig Aktionen auf Billigfleisch zu machen. Das hat wiederum einen Einfluss auf den Konsum. 

 

M. S.: Trotzdem leiden Bauern am meisten unter dieser Initiative. Verglichen zum Detailhandel, sind wir mit unseren kleinen Betrieben am direktesten betroffen. Die Landwirtschaft ist bereit für mehr Tierwohl. In den letzten Jahren ist mit verschiedenen Tierschutzprogrammen für tierfreundliche Stallhaltungssysteme oder regelmässigen Auslauf ins Freie schon vieles geschehen. Wenn die Tiere nach diesen Programmen gehalten werden, richtet der Bund Tierwohlbeiträge für die Haltung von Tieren aus. Das waren bei Weitem nicht so einschneidende Massnahmen wie diese Initiative. 

 

P. R.: Das ist wohlbemerkt alles auf politischen Druck zustande gekommen. Ich glaube, dass die Initiative einen positiven Effekt hat für Bauern, die kleiner produzieren, indem sie einen besseren Preis für ihre Produkte erhalten. Mit der Initiative wollen wir hin zu einer ressourcenschonenden und tiergerechten Landwirtschaft mit geschlossenen Stoffkreisläufen. Wir hoffen und glauben, dass das sich auch für die Bauern auszahlt. 

 

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