Marken-MurX Revolutions

Diese Kolumne hat nichts mit Revolutionen zu tun, die zweite Hälfte des Titels ist lediglich eine Anspielung auf den dritten Teil der «Matrix»-Trilogie, da dies meine dritte Marken-MurX-Kolumne ist (die ersten beiden erschienen 2009 und 2016 an dieser Stelle). So weit hergeholt ist der Titel jedoch nicht, halten sich doch die Branding-Fachleute gemeinhin für total revolutionär; ohne dieses Selbstverständnis könnten sie ihren Job wohl nicht machen. «Hey, wir verkaufen den geilsten Orangensaft ever, und das ist so, weil WIR ihn verkaufen, denn ohne uns wäre es nur Orangensaft!» Branding ist die Kunst, aus nichts etwas zu machen. Um die Produkte geht es nur selten, und sie sind alle total austauschbar, das heisst, das wären sie, wenn nicht eben die Branding-Cracks ihnen einen unverwechselbaren (im besten Fall) Nimbus verleihen würden.

Heute hat mich in der Social-Media-Applikation meines Vertrauens eine Anzeige erreicht mit der Frage: «Wie stehen Sie zu der Marke Bank Cler?» und den Antwortmöglichkeiten: «Ich kenne diese Marke eigentlich nicht», «Ist mir bekannt, interessiert mich aber nicht», «Ich würde die Marke in Erwägung ziehen», «Eine meiner Lieblingsmarken» und «Ich habe vor, die Marke zu kaufen / nutzen». Das ist so schlecht, es ist schon fast deprimierend. Die Branding-Fachperson geht anscheinend so sehr in ihrem Metier auf, dass sie glaubt, alle Menschen dächten in Marken. Natürlich gibt es tatsächlich Leute, die auf gewisse Marken abfahren, Nike etwa, Coca Cola oder BMW. Aber gibt es irgendwo (ausserhalb der Cler-Chefetage und der Büros ihrer Branding-Agentur) jemand, der sich für die «Marke Bank Cler» interessiert? Was mich interessiert, sind die Produkte. Hat die Bank Cler gute Angebote, werde ich in Erwägung ziehen, diese zu nutzen. Die Marke aber geht mir am Allerwertesten vorbei.

Die ganze Branding-Branche braucht es überhaupt nur, weil sich die Produkte gleichen. Die Orangensäfte von Migros, Coop, Aldi und Lidl schmecken alle ähnlich, und genauso haben die Autos der gleichen Preisklassen von Mercedes, BMW, Audi und Konsorten je ähnliche Vorzüge. Und jetzt schauen Sie sich mal bei Gelegenheit einen Werbeblock im Fernsehen oder im Kino an – in jedem Spot wird Ihnen ein Lebensgefühl verkauft, kaum je ein Produkt. Der gesamte Werbemarkt der Schweiz betrug 2021 knapp 4 Milliarden Franken (Quelle: kleinreport.ch), das sind fast 500 Franken pro Kopf der Bevölkerung. Und das ist nur die Werbung, für die weiteren Branding-Aktivitäten kommt noch so einiges dazu. Stellen wir uns mal vor, wie geil die Welt wäre, wenn dieses Geld stattdessen in die Verbesserung der Produkte gesteckt würde! (Oder in die Verbesserung der Lebensumstände jener, die sie herstellen!) So aber haben wir eine gigantische Branche, die nichts produziert als heisse Luft. (Was mir Gelegenheit zu einem Seitenhieb gibt: Die Bürgerlichen, die dauernd die angebliche Ineffizienz des Verwaltungsapparates geisseln, stören sich überhaupt nicht an diesem völlig unproduktiven Overhead der Wirtschaft.) 

Ich gebe auch zu, dass Branding nicht in jedem Fall wirkungslos ist. Einige Marken haben tatsächlich eine grosse Strahlkraft. Bei wenigen, wie Nike, dürfte das auch wirklich ein Erfolg ihrer Brandingleute sein. Bei den meisten aber, wie etwa Coca Cola, Converse oder Mercedes-Benz, ist die grosse Bekanntheit vor allem eine Folge davon, dass sie über Jahrzehnte hochwertige und unverwechselbare Produkte auf den Markt gebracht haben.

Zum Schluss noch dieser Witz über die Strahlkraft von Marken: Zwei Jugendliche in Ramones-T-Shirts gehen in einen CD-Laden und blättern durch das Musikangebot. Plötzlich ruft der eine: «Hey, hast du gesehen, Ramones gibts auch als Band!» – «Oh wow», antwortet der andere, «komm wir schauen, ob sie auch Nike oder Coca Cola haben!»

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