«Man wird ja quasi gezwungen, das Billett per App zu lösen»

Der ZVV will vermehrt Verkaufsstellen zusammenführen, jetzt soll es jene am Schwamendingerplatz treffen. Dagegen lancierte die SP 12 eine Petition, die bereits mehr als 1000 Unterzeichnende verbuchen kann. Warum es nicht um «Zusammenführen», sondern um vertuschten Abbau geht, erklärt SP-Gemeinderat Marcel Savarioud im Gespräch mit Julian Büchler.

 

Die SP 12 sammelt im Rahmen einer Petition gegen den Abbau der ZVV-Verkaufsstelle am Schwamendingerplatz. Wie viel Potenzial seht Ihr darin?

Wipkingen hat sich erfolgreich gegen die Schliessung des im Bahnhof-Reisebüro integrierten SBB-Billettverkaufes gewehrt, das Angebot ist für die nächsten Jahre gesichert. Dies kam zustande, weil sich Quartier und Politik für den Verkauf eingesetzt haben. Für die ZVV-Verkaufsstellen setzen sich die betroffenen Quartiervereine ebenso ein wie die SP 3 und 12. Gespräche zwischen dem ZVV und den Quartiervereinen werden im Januar stattfinden. Zudem findet unsere Petition Unterstützung bei KantonsrätInnen aus allen Parteien, die unsere Petition ebenfalls unterschrieben haben. Und der Gewerbeverein hat unsere Petition an seine Mitglieder versandt. Wipkingen zeigt, dass der Einsatz der Bevölkerung, der Quartiervereine und der Politik durchaus Potenzial hat, in der konkreten Sache eine Lösung zu erzielen. Die gewählten KantonsrätInnen sind in der Verantwortung, unser breit abgestütztes Anliegen zu unterstützen, nicht nur durch eine Petitionsunterschrift, sondern auch im Kantonsrat.

 

Für den ZVV ist das sich verändernde Verhalten ihrer Fahrgäste beim Ticketkauf ausschlaggebend: 4 von 5 Tickets würden bereits über sogenannte Selbstbedienungskanäle gelöst, das heisst am Ticketautomaten oder über digitale Kanäle wie Ticket-Apps oder Websites, was Stand 2016 79 Prozent entspricht. Es sind also die Kunden am Abbau schuld, weil sie den Schalter nicht benutzen?

Nein, die Kunden werden durch das Angebot gezwungen, andere Vertriebskanäle zu benutzen. Vor drei Jahren wurden die ZVV-Verkaufsstellen am Central und in Oerlikon ersatzlos geschlossen. Ein grosser Teil dieser Kundschaft wird gezwungen, weiter entfernte Verkaufsstellen zu benutzen oder aufs Internet auszuweichen. VerliererInnen dieser Entwicklung sind KundInnen, welche keinen Internetzugang haben, auf persönliche Beratung angewiesen sind oder sich einfach den persönlichen Kontakt wünschen. Es gehört zum Service public, dass auch die 21 Prozent, die ihre Tickets und Abos nicht über Selbstbedienungskanäle beziehen können oder wollen, in eine Verkaufsstelle gehen können. Zudem haben die Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) vor Jahren bereits die Ticketautomaten reduziert. Es stellt sich grundsätzlich die Frage, wie sich der Vertrieb der Tickets im Digitalisierungszeitalter weiterentwickelt. Werden wir beim Einsteigen ins Tram per Handy ein- und beim Aussteigen wieder ausgeloggt und der fällige Betrag Ende Monat auf der Kreditkarte belastet? Dies macht die Benützung nicht einfacher, dadurch werden Unterstützungsangebote, wie sie eine Verkaufsstelle bieten kann, umso wichtiger.

 

Der ZVV will vermehrt Verkaufsstellen zusammenführen. Diese sollen an strategisch günstigen Orten liegen, sodass sie von 90 Prozent der Bevölkerung innert 20 Minuten zu Fuss oder mit dem öffentlichen Verkehr erreicht werden können. Ist dies nicht zumutbar?

Dem ZVV ist es lieber, von Zusammenführungen zu sprechen, ich möchte die Sache aber beim Namen nennen. Es geht um Schliessungen! Nach der Schliessung der Verkaufsstellen am Central und in Oerlikon sollen nun mit den Verkaufsstellen am Goldbrunnen- und Schwamendingerplatz zwei weitere geschlossen werden, dies ohne Ersatz. Es bleibt mir ein Rätsel, wie mit weniger Verkaufsstellen die Erreichbarkeit besser werden soll. Im Bahnhof Oerlikon hat der ZVV den Bahnschalter ins Untergeschoss verlegt. ÖV-BenützerInnen, die nicht gut zu Fuss sind, müssen nun den Lift nehmen, dafür können sie nun ebenerdig im Sprüngli Süsses einkaufen. Es zeigt, wie weit weg der ZVV von ihren eigenen Kunden entfernt ist.   

 

Der Trend zum Ticketkauf per Smartphone setzt sich auch bei den Älteren durch. Immer mehr Menschen über 70 besitzen ein Handy.

Lösen Sie damit auch ihr Anschlussbillett, wenn sie von Schwamendingen nach Dietlikon ihren Weihnachtseinkauf erledigen oder zu ihren Enkeln nach Bauma fahren wollen? Ich möchte nicht immer auf mein Handy und eine Kreditkarte angewiesen sein, es gibt Situationen, in denen man Beratung und persönlichen Kontakt braucht und auch wünscht. Es ist begrüssenswert, wenn Billette am Automaten, im Internet wie auch am Handy gelöst werden können. Dem ist nichts entgegenzusetzen, die Zugänglichkeit zu allen Vertriebskanälen muss jedoch gewährleistet bleiben, also auch zu Verkaufsstellen. Blenden wir nicht die Realität der Leute aus, welche keinen Zugang zum Internet, zu Kreditkarten oder zum Handy haben, es kann vielfältige Gründe dafür geben. Dazu gehört aber bei weitem nicht nur das Alter.

 

Die Post ersetzt mit sogenannten Postagenturen derweil immer mehr Poststellen. Diese Kooperation von Post mit lokalem Gewerbe scheint nicht allzu schlecht zu funktionieren. Ein denkbares Modell auch für den ZVV?

In Schwamendingen ist die ZVV-Verkaufsstelle in die Poststelle integriert, das heisst, der ZVV betreibt in der Poststelle einen eigenen Schalter und kann so von der Infrastruktur der Post profitieren. Gewinner sind beide. Doch auch weitergehende Kooperationen könnten sicher auch diskutiert werden. Wobei sich das betroffene Personal der Verkaufsstellen wie auch etliche Passanten an unseren Standaktionen in Schwamendingen dementsprechend äussern, dass sie nicht das Gefühl haben, dass die Kundenfrequenz rückläufig ist. Es gebe öfters Warteschlangen vor dem Schalter. Dies kann ich auch aus persönlicher Erfahrung bestätigen. Konkrete Zahlen veröffentlicht der ZVV anscheinend nicht. 

 

Der ZVV lehnt diese Kooperation auf Anfrage jedoch ab, da «für eine qualitativ hochstehende und korrekte persönliche Beratung im öffentlichen Verkehr das entsprechende Fachwissen über Tarif und Angebot vorhanden sein müsse».

Die SBB führen in der Schweiz 52 Drittverkaufsstellen, eine davon ist die in Wipkingen, andere befinden sich in Migrolinos und in Avec-Shops. Ein Zonen- oder Anschlussbillett, aber auch eine Monatskarte zu lösen dürfte wohl nicht schwieriger sein, als ein SBB-Billett nach Grindelwald zu kaufen. Wieso soll das, was bei der Post und bei der SBB funktioniert, beim ZVV nicht gehen?

 

Warum klappt’s so gut mit Sammeln?

Es unterschreiben nicht nur Leute, die von der Schliessung betroffen sind. Beim Sammeln fällt auf, dass Jung und Alt, In- und AusländerIn, Mann und Frau unterschreiben. Die Leute merken, dass es nicht ‹nur› um die ZVV-Verkaufsstelle geht. In Schwamendingen wurden bereits zwei Poststellen und eine Migrosfiliale geschlossen. Stimmlokale werden reduziert und auch das Kreisbüro soll wegziehen. Verschiedentlich wurden wir aufgefordert, Protestaktionen durchzuführen. Wir werden diesem Wunsch nachkommen und am Samstag, 20. Januar, um 10.30 Uhr auf dem Schwamendingerplatz eine Protestaktion durchführen.

 

Welche Argumente sind den Unterzeichnenden besonders wichtig?

Viele unterschreiben aus persönlicher Betroffenheit, weil sie die Verkaufsstelle persönlich nutzen. Für andere sind Verkaufsstellen unverzichtbarer Bestandteil des Service public. Der öffentliche Verkehr dürfe sich nicht bloss auf den digitalen Vertrieb von Fahrausweisen konzentrieren. Genannt wird auch, dass der Regierungsrat und der ZVV sich immer weiter von den Bedürfnissen der Bevölkerung entfernen. Die Verkaufsstelle werde von Menschen benötigt, die ansonsten nicht wissen, wie sie zu einem Billett oder zu einer Beratung kommen. Zudem verstehen viele den Abbau nicht, da es in Schwamendingen ein beträchtliches Bevölkerungswachstum geben wird. Viele fragen sich auch, was aus der Post wird, wenn der ZVV auszieht.

 

Ende November habt Ihr verheissungsvoll verkündet, bereits 1000 Unterschriften zu haben, was selbst Euch positiv überrascht hat. Wie sieht der Status quo aus?

Wir sind bereits bei über 1650 Unterschriften angelangt. Nach wie vor unterschreiben die Leute im Minutentakt auf der Strasse. Per Post werden uns zudem viele Unterschriften eingesandt. Auffallend ist, dass es viele Leute gibt, die Unterschriftenbögen kopieren und in ihrem Umfeld sammeln gehen. Dies sind Leute, die nicht Parteimitglieder sind, aber den Schliessungsentscheid des ZVV nicht nachvollziehen können.

 

Böse Zungen behaupten, dass die Politik in Schwamendingen dauernd motzt, sie würde nicht berücksichtigt. Ihr Kommentar dazu?

Schwamendingen motzt nicht ständig, Schwamendingen motzt dann, wenn es eine Berechtigung hat. 1998 mussten wir eine kantonale Volksinitiative zur Lösung des Lärms entlang der Schwamendinger Autobahn lancieren. Dies, weil es der Politik egal war, dass täglich 120 000 Autodurchfahrten auch nachts um zwei Uhr die Alarmgrenzwerte überschreiten liessen. Seither sind zwanzig Jahre vergangen. Erst jetzt scheint es, dass nun die Einhausung Realität wird. Ein anderes Beispiel: Die höchste Sozialhilfequote in der Stadt Zürich hat der Kreis 12.  Dies anzusprechen und entsprechende Forderungen zu stellen, gehört zur Politik. Anstatt nur zu motzen, suchen wir zusammen mit dem Quartier nach Lösungen und stellen unsere Forderungen. Schön wäre es jedoch, wenn es dazu nicht immer eine Volksinitiative brauchen würde.

 

Mit welchen Herausforderungen hat Schwamendingen denn besonders zu kämpfen?

Schwamendingen verändert sich, die in den 1950er und 1960er-Jahren entstandenen Wohnungen werden erneuert, vielfach abgebrochen, teilweise durch Renovationen vergrössert. Durch die neue Bau- und Zonenordnung ist verdichtetes Bauen möglich geworden, so hat die Bevölkerung im Kreis 12 bereits um 5000 auf 31 800 zugenommen und im Jahr 2030 sollen die 40 000 überschritten sein. Der Wohnraum, der fast zur Hälfte Baugenossenschaften gehört, wird den aktuellen Bedürfnissen angepasst. Damit geht aber auch günstiger Wohnraum verloren. Ein Zuwachs an Menschen bedeutet mehr Infrastruktur. Neue Schulhäuser werden benötigt, Sport- und Freizeitanlagen müssen erstellt werden, aber auch die Kapazität des öffentlichen Verkehrs muss angepasst werden. Schwamendingen ist von seinem Gartenstadtcharakter geprägt und entwickelt sich nun von einem Aussenquartier mit Dorfatmosphäre zu einem urbanen Zentrumsgebiet. Die Bewältigung dieser Entwicklung stellt das Quartier vor grosse Herausforderungen. Dies gilt es möglichst gut zu nutzen.

 

Wie wollt Ihr im anstehenden Wahlkampf überzeugen?

Wie erwähnt, steht Schwamendingen vor einigen Herausforderungen und Veränderungen. Dazu kommt die Digitalisierung, welche unser Leben vermehrt beeinflussen wird. Die Diskussionen um die ZVV-Verkaufsstelle können durchaus in diesem Zusammenhang gesehen werden. Unsere drei Quartierrundgänge mit Claudia Nielsen, André Odermatt und Raphael Golta stehen unter dem Titel «Schwamendingen im Wandel». Sie nehmen die Veränderungen im Quartier auf und zeigen, was sie für die von unseren drei StadträtInnen geführten Departemente bedeuten. Lärmschutz, Sozialpolitik und Quartierentwicklung sind Brennpunkte der herausfordernden Entwicklungen und werden in unserem Wahlkampf thematisiert. Ergänzend dazu findet am 6. Februar eine öffentliche Veranstaltung zur Digitalisierung statt, an welcher Prof. Dr. Juraj Hromkovic, Professor für Informationstechnologie und Ausbildung an der ETH Zürich, die aktuellen Herausforderungen für Wirtschaft und Bildung darstellt. Dies ist unsere thematische Ausrichtung. Nebst den erwähnten Veranstaltungen und Quartierrundgängen verteilen wir Anfang Januar ein Malbuch mit von einer Künstlerin vorgezeichneten Konturen unserer neun GemeinderatskandidatInnen im Quartier und geben der Bevölkerung Gelegenheit, unsere ‹Köpfe› auszumalen. Die originellsten Kunstwerke werden prämiert.

 

Petition: www.openpetition.eu/!zvv

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