«Man tut jetzt so, als würden die SBB nie und nimmer Land verkaufen …»

Am 25. September steht in der Stadt Zürich die Volksinitiative «Eine Europaallee genügt – jetzt SBB-Areal Neugasse kaufen» zur Abstimmung. Worum genau es dabei geht und weshalb sie dafür bzw. dagegen sind, erklären der Mit-Initiant und ehemalige AL-Gemeinderat Niklaus Scherr und FDP-Gemeinderat Severin Pflüger im Streitgespräch mit Nicole Soland.

 

Worum genau geht es bei der «Noigass»-Abstimmung: um ein konkretes Wohnprojekt oder darum, ob die SBB ihr nicht mehr benötigtes Areal, das sie vor über 100 Jahren teils via Enteignung von städtischem Land erhalten hat, sowieso zurückgeben müsste?

 

Niklaus Scherr: Die Initiative verlangt den Kauf oder die Übernahme im Baurecht des gesamten Areals der SBB. Dass das möglich ist, zeigt der bisherige Verlauf der Verhandlungen: Zuerst gestanden die SBB 25 Prozent im Baurecht zu, mittlerweile sind es – inkl. Platz für eine Schule und für Gewerbe – 40 Prozent. Die 40 Prozent sind somit ein Zwischenergebnis, das man auf 100 Prozent ausdehnen müsste, wie die Initiative es fordert. Es geht folglich darum, ob uns der vorliegende Deal genügt oder nicht. Und nicht, Herr Pflüger, wie Sie im ‹Tagblatt› geschrieben haben, darum, dass der Gemeinderat dem Deal zugestimmt hat – und dann trat plötzlich ein Verein auf, der ihn abschiessen will: Der Verein Noigass wurde bereits 2017 gegründet.

 

Severin Pflüger: Die Frage, ob die SBB das Land zurückgeben müssten, ist eine interessante Frage, die man klären sollte, aber sie ist nicht Gegenstand der Initiative. Der Stadtrat hält die Initiative für ungültig, ich auch. Wir von der FDP haben uns überlegt, ob wir auf juristischem Weg dagegen vorgehen sollten, haben uns aber dagegen entschieden. Mit einem Nein zur Initiative bekommen wir die geplanten Wohnungen. Oder wir lehnen mit einem Ja die Wohnungen ab, weil sie, ideologisch gesehen, den falschen Absender haben, der nicht die reine Lehre des Genossenschaftskapitalismus verkörpert und nicht 100 Prozent gemeinnützige Wohnungen baut. Die Frage lautet also, geht es dem Bürger an der Urne um mehr Wohnungen oder um die Auswahl des Wohnbauträgers? Es gab in der Vergangenheit schon solche Abstimmungen, zum Beispiel jene zum Stadion: Dort war es den Bürgern egal, ob die CS oder eine Genossenschaft baut.

 

N. S.: Die FDP hat in den letzten Jahren drei grosse Bauvorhaben abgelehnt, weil ihr der Wohnbauträger nicht passte. Sie wollte, dass die Privaten durchmarschieren, mit der absurden Argumentation, dass die Privaten günstiger bauten. Und dann trotzdem teurer vermieten …

 

S. P.: Nein, mit der Argumentation, dass die Privaten schneller bauen.

 

N. S.: Die Frage des ursprünglichen Besitzes der Stadt, die Sie ansprachen, gehört aber durchaus zur Diskussion dieser Vorlage: Nach dem Ersten Weltkrieg hat die Stadt eine sehr aktive Liegenschaftenpolitik betrieben, gerade auch an der Neugasse, wo mit der Josefwiese ein Park entstand und drumherum Wohnraum geschaffen wurde, auch via Genossenschaften. Aber die SBB kamen ihr 1925 in die Quere: Die Stadt hatte mehrere Grundstücke zusammengekauft und arrondiert und wollte dort Wohnungen bauen, doch wegen dem Landbedarf der SBB wurde nichts da­raus. Wir haben nicht von ungefähr ein Transparent, auf dem steht, «SBB, gib unser enteignetes Land zurück». Und noch etwas zum Stadtrat und dessen rot-grünen VertreterInnen: Hochbauvorstand André Odermatt hat im November 2017 einen Bericht in Auftrag gegeben, um zu klären, wem das Land vorher gehört hat. Der Bericht kam im Dezember heraus, drei Monate, bevor wir die Initiative einreichten. Der Stadtrat wusste also, dass er mit einem historischen Besitztitel ins Gespräch mit den SBB hätte einsteigen können.

 

Und das hätte er tun müssen?

 

N. S.: Dass er es nicht gemacht hat, schauen wir als grosses Versäumnis des Stadtrats an. Er schrieb den SBB zudem einen seltsamen Brief, in dem es hiess, man brauche rasch eine verbindliche und abschliessende Antwort, ob sie das Land verkauften. Zum Vergleich: Ich war einst Gewerkschaftssekretär, und wenn ich der SRG geschrieben hätte, ich bräuchte rasch eine verbindliche und abschliessende Antwort, ob sie bereit seien, fünf Prozent mehr Lohn zu geben, hätten mich meine Mitglieder zum Teufel gejagt … Kurz: Der Stadtrat hatte einen Trumpf in der Hand und hat ihn nicht ausgespielt. Das frustriert mich als Linken, weil wir ja einen sogenannt rot-grünen Stadtrat haben.

 

S. P.: Was die Verhandlungstaktik von Stadtpräsidentin Mauch und Hochbauvorsteher Odermatt betrifft – sie haben wahrscheinlich schon vorher gewusst, dass nicht mehr zu erwarten war, und deshalb den Brief geschrieben. Aber wenn man mit ihrer Amtsführung nicht zufrieden ist, hätte man sie im Frühling nicht wiederwählen müssen. Mit der Weichenstellung, um die es am 25. September geht, hat das jedoch wenig bis gar nichts zu tun.

 

N. S.: Wieso? Wenn ich eine Initiative mache, ist der Stadtrat der Adressat. Wenn es am 25. September ein Ja gibt, ist das ein Auftrag an den Stadtrat, nochmals nachzufassen und sich mit den SBB über das Abstimmungsergebnis zu unterhalten. 

 

S. P.: Die SBB werden sagen, hört her, liebe Freunde, wir haben einen Eigentumstitel, das reicht uns, und wir haben ja bereits verhandelt und euch eine Absage erteilt. Und die Hoffnung, die Sie haben, finde ich etwas schwach, wenn man sie dagegen aufwiegt, dass dort 250 günstige Wohnungen entstehen könnten, und das erst noch ziemlich rasch. Was den historischen Aspekt des Landkaufs betrifft, gebe ich Herrn Scherr Recht – wobei ich das, was ich darüber weiss, in Texten von Herrn Scherr gelesen habe … (beide lachen). Nach dem Ersten Weltkrieg gab es tatsächlich eine spannende Situation: Die Hauseigentümer hatten praktisch ein Kartell gebildet, das für breite Schichten keine Wohnungen bereitstellte, sondern ausschliesslich für Gutverdienende. Das liess sich nur aufbrechen, indem die Stadt Zürich eine aktive Bodenpolitik betrieb.

 

N. S.: Und heute ist das nicht der Fall?

 

S. P.: Nein, heute haben wir eine andere Situation: Wie haben den Boden nicht, um eine solche aktive Bodenpoltik zu machen. Was das «in-die-Quere-kommen» der SBB betrifft, bin ich der Meinung, dass die SBB damals einen wichtigen Auftrag für die ganze Schweiz zu erfüllen hatten, nämlich den öffentlichen Verkehr aufzubauen und die dafür nötigen Anlagen zu erstellen. Daneben bauten sie Wohnungen für ihre Mitarbeiter, die damals noch nicht so mobil waren wie heute. Sie bauten dort, wo die Arbeit war, neben den Depots und sonstigen Anlagen. Sie nahmen deshalb nach dem Ersten Weltkrieg nicht «der Stadt Land weg».

 

N. S.: Dem widerspreche ich ja gar nicht, im Gegenteil: Die SBB waren bis zur Ausgliederung 1998 ein Musterknabe.

 

S. P.: Unterdessen ist das aber so lange her, dass man nicht mehr von einem Eigentumstitel der Stadt sprechen kann.

 

N. S.: Jetzt reden Sie als Jurist.

S. P.: Ja, jetzt rede ich als Jurist …

 

N. S.:  …Politik ist aber keine exakte Wissenschaft, und sie wird zum Glück nicht von den Juristen bestimmt. Politik ist ein dynamisches Geschäft, bei dem auch der Wille des Volkes, Verträge, Grundbucheinträge und alle möglichen juristischen Figinen mitspielen. Man tut jetzt so, als würden die SBB nie und nimmer Land verkaufen. Sie haben aber in Zürich das Areal Letzibach D verkauft und das Areal, auf dem das Zollhaus steht. Beim Letzibach D war euer Finanzvorstand involviert (Martin Vollenwyder, FDP /Red.) Es war ein Gegengeschäft für ein Näherbaurecht, damit die SBB beim Bahnhof Altstetten ihr Projekt Westlink verwirklichen konnten. Vollenwyder erklärte später dazu, es habe grosse Durchsetzungskraft gebraucht, um zu erreichen, dass die SBB einhielten, was sie in Aussicht gestellt hatten, nämlich das Areal an die Stadt abzutreten: Die Stadtpräsidentin, der Hochbauvorsteher und der Finanzvorstand hätten gemeinsam nach Bern zu den SBB fahren müssen, um das Geschäft unter Dach und Fach zu bringen.

 

Sie sagen also, 100 Prozent gemeinnützige Wohnungen an der Neugasse wären kein Problem, wenn die heute zuständigen StadträtInnen so hart im Verhandeln wären wie seinerzeit Stadtrat Vollenwyder?

 

N. S.: Ich wünschte mir, dass André Odermatt jeweils auch so markig auftreten würde. Vollenwyder konnte als ehemaliger Banker auf Augenhöhe mit den Immobilenleuten verhandeln. Das geht einigen links-grünen PolitikerInnen in dieser Stadt leider ab. Ich habe den Eindruck, dass sie zu gewissen Investoren aufschauen, statt auf Augenhöhe zu verhandeln. 

 

S. P.: Was soll ich dazu sagen? Ich finde es auch schade, dass Sonja Rueff nicht gewählt wurde …

 

N. S.: Leute, die aus der Wirtschaft kommen, sind in solchen Fragen direkter und härter, weil sie wissen, wie das Business funktioniert. Und damit Ende des Werbespots …

 

S. P.: Sie sind mit Spielregeln besser vertraut – und ja, ich nehme Ihren Werbespot sehr gern zur Kenntnis. Aber es ist schon eine besondere Form von Kapitalismus, um die es Ihnen offensichtlich geht: Wir haben das Kapital «gemeinnütziger Boden», und mit den Erträgen und zusätzlichen Geldern aus dem Steuertopf versuchen wir, dieses Kapital zu mehren und die Rendite wieder zu verwenden, um das Kapital «gemeinnütziger Boden», zum Beispiel der PWG, noch weiter zu treiben – und die Rente, die daraus entsteht, geht dann an eine ganz spezifische Gruppe, voraussetzungslos, notabene, in Form von tiefen Mietzinsen.

 

N. S.: Es gibt eine Grundüberlegung, die Sie machen, um das so zu skizzieren: Wenn Sie zum Beispiel in einer Alpgenossenschaft sind, dann ist der Boden Gemeineigentum dieser Gemeinschaft. Sie sagen dazu, dass ein Teil des Bodens nicht im Marktkreislauf sei, aber eigentlich sei der Marktkreislauf der normale Verteilmechanismus. Ich könnte aber den Spiess umdrehen und sagen, die Tatsache, dass Boden, auf dem gewohnt wird, zu einer Ware wird, ist nicht normal, sondern eine Abweichung: Der Mensch muss schliesslich irgendwo schlafen können. Man kann nicht einfach sagen, wer mehr bezahlt, kann dort übernachten. Ihre Philosophie tut so, als sei es eine Abweichung von der Norm, wenn «der Markt nicht spielt». Für mich ist die kapitalistische Verwertung von Boden eine Abweichung von der Norm.

 

S. P.: Das ist eine philosophische Frage: Wenn Sie die kapitalistische Verwertung von Boden als Abweichung von der Norm bezeichnen, dann entgegne ich Ihnen, dass die genossenschaftliche, gemeinnützige, PWG-mässige Verwertung von Boden bloss eine andere Form des genau gleichen Kapitalismus ist, der nach dem genau gleichen Prinzip funktioniert: Ich kann nicht in eine genossenschaftliche Wohnung schlafen gehen und sagen, diese Wohnung sei schliesslich für uns alle da. Ich bin dort ebenso ausgeschlossen wie andere ausgeschlossen sind, wenn zum Beispiel der Hauseigentümerverband oder die Swiss Life die Vermieter sind.

 

Wie kommen Sie denn darauf?

 

S. P.: Die Zugänglichkeit ist genauso auf gewisse Leute beschränkt, wie wenn die CS nur für Gutverdienende baut.

 

N. S.: Genossenschaften sind ein Zusammenschluss von Menschen, die sich Regeln auferlegen, zum Beispiel die, dass es in ihrer Siedlung keinen Platz für Autos haben soll. 

 

S. P.: Aber die Zugänglichkeit dazu ist genauso begrenzt: Das Primat des Eigentums, dass nur ich und meine Leute das Gut brauchen dürfen, ist in Genossenschaften genau gleich vorhanden wie bei allen anderen Eigentumsformen.

 

N. S.: Sie können einfach die Gewinnsteigerung nicht mitnehmen.

 

S. P.: Die Gewinnsteigerung wird jeden Monat ausbezahlt, in Form von tieferen Mieten.

 

N. S.: Und was macht denn ein privater Hausbesitzer?

 

S. P.: Darauf will ich ja hinaus: Es ist nicht besser und nicht schlechter, es ist genau dasselbe!

 

N. S.: Nein, die Gewinnsteigerung darf nicht mitgenommen, darf nicht vererbt werden! Das ist ein ganz entscheidender Unterschied.

 

S. P.: Das ist so eine Sache: Es gibt Genossenschaften, die ihre Wohnungen nur via Newsletter anbieten, ich muss also diesen Newsletter abonnieren. Die ABZ beispielsweise schaltet ihre Inserate nachmittags um vier Uhr auf, und man hat dann acht Stunden Zeit, um sich zu bewerben. Wer nicht Genossenschafter ist, wird so vom Bewerbungsprozess faktisch ausgeschlossen.

 

N. S.: Ob die Bodenrente privat verwertet werden kann, ist der absolute Knackpunkt.

 

S. P.: Es gibt viele solcher Mechanismen: Wann werden die Inserate geschaltet und wo – und an einigen Orten muss man erst Genossenschaftskapital einzahlen, um sich überhaupt bewerben zu können.

 

N. S.: Wenn die Swiss Life eine 4000-fränkige Wohnung vermieten will, muss sie vielleicht auch drei Wochen lang inserieren …

 

S. P.: Jedenfalls sind das alles Mechanismen, die dazu führen, dass jene, die in einer Genossenschaft drin sind, drin bleiben, und ihre Kinder ebenfalls.

 

N. S.: Das ist eine einseitige Behauptung. Es leben jedenfalls viel mehr SVP-WählerInnen in Genossenschaftswohnungen als Linke.

 

Es braucht also beim Wohnraum trotz allem eine gewisse Umverteilung?

 

S. P.: Ja, davon bin ich überzeugt: Es braucht in einer leistungsorientierten Gesellschaft Umverteilungsmechanismen, und ich zahle gern Steuern für jemanden, der sich sonst keine Wohnung leisten könnte – aber nicht für jemanden, der so viel verdient wie ich. Vor allem dann nicht, wenn es umgekehrt Menschen gibt, die in Löchern von Privaten wohnen müssen und Mühe haben, in Genossenschaften reinzukommen, dabei wären deren Wohnungen doch für sie gedacht. Das hat übrigens auch etwas mit Chancengerechtigkeit zu tun: Sie fängt damit an, dass Kinder zuhause genug Platz und einen eigenen Schreibtisch haben.

 

N. S.: Der wohnpolitische Grundsatzartikel, also das Ziel eines Drittels gemeinnütziger Wohnungen, wird vom Stadtrat heute teils so ausgelegt, dass die Genossenschaften verdichten sollen. Das führt dann erst mal dazu, dass ältere, günstige Wohnungen abgebrochen werden. Stattdessen könnte man aber auch in den, ich sage es mal so, privaten Bruchbudenbereich reingehen und dort zahlbare Wohnungen fordern.

 

Aber die SBB sollen ihr Land trotzdem hergeben?

 

N. S.: Die SBB haben ihre Areale allesamt vor mehr als 100 Jahren realisiert. Sie sind nach wie vor mit den historischen Erwerbskosten in den Büchern, mit 75 Franken pro m2 im Durchschnitt. Wenn die SBB für 3000 Franken/m2 an die Stadt verkaufen, machen sie einen schönen Schnitt. Sie haben damit eine einmalige Ressource als Player, was ihnen eine enorme Bandbreite von Handlungsmöglichkeiten gibt. Früher waren die SBB wie erwähnt eine Musterschülerin, doch das änderte sich 1998, als sie eine AG wurden, schlagartig. Seit dem Jahr 2000 sind in Zürich etwa ein Fünftel der Wohnungen auf SBB-Arealen als gemeinnützige Wohnungen realisiert worden. Werden nun auf dem Neugasse-Areal 100 Prozent gemeinnützige gebaut, sind wir, über alle SBB-Areale in Zürich gesehen, ziemlich genau bei einem Drittel. Die SBB gehören übrigens zu 100 Prozent dem Bund …

 

S. P.: Haben Sie auch das Land eingerechnet, das die SBB früher an Genossenschaften abgegeben haben? Zum Beispiel an die BEP, in der ursprünglich vor allem die Eisenbahner wohnten? Argumentiert man historisch, müsste man das mit einbeziehen, nicht nur die Europaallee.

 

N. S.: Das ist das Greenwashing, das SBB Immobilien betreibt: Sie nimmt den historischen Bestand, den sie noch als Staatsbetrieb erstellte. Dann baut sie ganz viele Marktwohnungen, rechnet den Anteil aus und behauptet, sie baue schon genug preisgünstige Wohnungen.

 

S. P.: Es gibt gute Gründe, weshalb die  Bauträger Rendite brauchen, zum Beispiel für die Pensionskasse oder um die Erstellungskosten des Hardturm-Stadions querzusubventionieren, oder aber auch die SBB zur Finanzierung ihrer Eisenbahn-Infrastruktur.

 

N. S.: Sicher,  aber nicht in dieser Dimension! Die SBB Immobilien ist unterdessen die Nummer Zwei hinter der Swiss Life und will bis 2040 schweizweit 12 000 Wohnungen bauen.

 

S. P.: Stimmt, aber ich frage Sie: Ist es richtig, dass die SBB Immobilen entwickeln, um einen Deckungsbeitrag an ihre defizitären Strukturen zu zahlen?

 

N. S.: SBB Immobilien muss 150 Millionen Franken pro Jahr an die Infrastruktur zahlen und stottert bis 2031 ein Sanierungsdarlehen an die Pensionskasse ab. Ihre Mieterträge betrugen letztes Jahr 600 Mio. Franken, die will sie auf 1,2 Mia. steigern. Das ist reiner Profit, denn das Land hat sie ja. Was soll sie 2031 also tun? Die Swiss Life überholen? Oder sollte sich nicht besser die Politik einmischen?

 

S. P.: Ich sehe den Punkt – aber ich habe Sie gefragt, ob es richtig oder falsch sei …

 

N. S.: Die Sanierung der Pensionskasse im Umfang von zwei Milliarden Franken begann 2010, die SBB mussten dafür bei dieser ein Darlehen aufnehmen und stottern es seither ab, zu einem Zins von vier Prozent. Der Kredit, den sie umgekehrt vom Bund für die Immobilienexpansion bekommen, ist mit 0,8 Prozent verzinst. Weshalb nehmen die SBB nicht beim Bund ein Darlehen von einer Milliarde Franken auf und zahlen damit der Pensionskasse die Restschuld zurück? Weil es die Pensionskasse nicht zulässt …

 

S. P.: Diesen Fall hatten wir in der Stadt auch schon, haben es aber nicht gemacht, weil man bei der Pensionskasse ebenfalls mit solch stetigen Erträgen gerechnet hat, das ist für sie ja ein gutes Geschäft. Doch Sie schulden mir immer noch eine Antwort: Ist es gut oder schlecht?

 

N. S.: Das kommt auf den Umfang und die Konditionen an: Auch bei einem gemeinnützigen Baurecht verdient sie Geld! Meine Antwort ist, dass die SBB mit dem Entwickeln ihrer Immobilien einen fairen Anteil an die Bahninfrastruktur zahlen sollen. Ich stelle weiter fest, dass die SBB immer sehr faire Baurechte gaben, wenn es um den Bau von Schulanlagen ging. Diese Partnerschaft für eine öffentliche Nutzung funktioniert immer noch gut. Aber wenn es ums Wohnen geht, sticht sie der Hafer, dann geht es um den Profit. Das Wohnen ist für mich aber auch ein Teil des öffentlichen Auftrags, und die SBB sollten Kanton und Gemeinden dort auch als Partner sehen.

 

S. P.: Dafür müsste der Bund den SBB einen anderen Auftrag geben.

 

N. S. Wir stimmen im September ab, und im Dezember muss der Bundesrat die strategischen Ziele 2023 – 26 formulieren, und dort könnte zum Beispiel auch ein Anteil günstiger Wohnungen festgehalten werden. Doch das passiert unter Ausschluss der Öffentlichkeit und witzigerweise immer im Jahr vor einer Bundesratswahl … Jetzt liegen jedoch zwei Vorstösse im Bundesparlament vor, die unter anderem die regelmässige Offenlegung der Mietrendite verlangen.

 

Zurück zur Neugasse: Der Stadtrat sagt, man könne die SBB nicht zum Verkaufen zwingen. Im Abstimmungsbüchlein steht aber auch, «bei einem Ja zur Initiative wird das Projekt abgebrochen und die SBB kann im Rahmen der geltenden Bauordnung frei über das Areal verfügen». Meines Wissens befindet sich das meiste Land dort in der Industriezone, wo gar keine Wohnungen gebaut werden dürfen.

 

N. S.: Die Formulierung zur Bauordnung ist tendenziell irreführend, es kommt so rüber, als hätten die SBB der Stadt aus Nettigkeit ein Angebot gemacht und könnten sonst, also gemäss BZO, noch viel mehr bauen. Dabei befinden sich 80 Prozent des Gebiets in der Industriezone, und die SBB könnten gemäss BZO möglicherweise 50 Wohnungen bauen, aber sicher nicht total 375 oder gar noch mehr. Zudem ist die Schule im Richtplan eingetragen, auch aus diesem Grund sind die SBB auf die Stadt angewiesen.

 

S. P. Ich denke eher, dass irgendwann der Punkt kommt, an dem sie sich sagen, wir hier müssen gemeinnützig und preisgünstig bauen, 40 Prozent Mehrwertabschöpfung müssen wir auch noch abliefern, da bauen wir doch lieber gleich anderswo.

 

Was passiert bei einem Ja zur Initiative?

 

S. P.: Bei einem Ja zur Initiative läuft es wohl darauf hinaus, dass das Gebiet nicht entwickelt wird und deshalb künftig die Wohnungen, die bei einem Nein entstehen würden, fehlen.

 

N. S.: Es macht einen Unterschied, ob eine Exekutive / ein Parlament einen Entscheid fällen oder die Stimmberechtigten an der Urne. Die SBB sind ein Bundesbetrieb, der bei einem Ja nicht einfach durch den Hinterausgang verschwinden kann. 

 

S. P. Sicher? Bei einem Ja hätten jene gesiegt, die an der Neugasse ein gutes Projekt verhindern wollen, weil ihnen der Absender nicht passt, und die SBB zögen es zurück.

 

N. S.: Die FDP hat, wie schon erwähnt, immer wieder versucht, Wohnungen zu verhindern, weil ihr der Absender nicht passte, zum Beispiel bei der Siedlung Hornbach, ist damit aber haushoch unterlegen …

 

S. P.: … spielen wir jetzt «ich nicht, du aber auch»? Ich bin jedenfalls gespannt, wie die Stimmberechtigten dieses Mal entscheiden.

 

Und was passiert bei einem Nein?

 

N. S. Dann käme das Thema wieder auf die institutionelle politische Ebene, und das weitere Vorgehen würde davon abhängen, ob die Mehrheit im Gemeinderat den mit den SBB geschlossenen Deal weiterverfolgen will.

 

S. P.: Dann entstehen 375 Wohnungen, davon 250 gemeinnützig bzw. preisgünstig, die wir dringend brauchen.

 

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