- Gemeinderat
«Machen wir es anders»
Eine Stunde früher als sonst traf sich der Zürcher Gemeinderat am Mittwoch im Rathaus Hard zur konstituierenden Sitzung. Die abtretende Ratspräsidentin Sofia Karakostas (SP) sprach in ihrer Abschiedsrede unter anderem das Öffentlichkeitsprinzip an: Die Themen, die der Rat behandelt, sind öffentlich, die Sitzungen werden im Livestream übertragen und lassen sich zudem vor Ort auf der Tribüne mitverfolgen. Die Bevölkerung könne so erfahren, wer wie argumentiere, mit welcher Wortwahl und in welchem Tonfall. Ihr sei vorgeworfen worden, sie habe als Präsidentin nicht früh genug reagiert, wenn sich jemand beleidigend und/oder am Thema vorbei geäussert habe, fuhr sie fort. Es sei ihre Aufgabe gewesen, zu schauen, «dass anständig geredet und die Redezeit eingehalten» werde, doch «die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu erfahren, wie gewählte Volksvertreter:innen sich im städtischen Parlament ausdrücken». Jede Person müsse «ihre Aussagen selber verantworten».
Sofia Karakostas entschuldigte sich dafür, dass sie manchmal den richtigen Augenblick zum Einschreiten «um Sekundenbruchteile verpasst» habe. Während der total 163 Sitzungsstunden hätten sich jedoch die allermeisten Gemeinderät:innen in ihren Voten «sehr respektvoll» geäussert, und dafür sei sie dankbar. Sie erinnerte aber auch an das, was, auch aus dem Gemeinderat, in der Öffentlichkeit via Social Media «ungefiltert» verbreitet werde – und daran, dass manchmal selbst traditionelle Medien mit «sehr ausgewählter Berichterstattung» auffielen. Damit sprach sie die Tatsache an, dass die NZZ vor einem Jahr kein Wort über die Präsidiumswahlen geschrieben hatte, dafür ausführlich über die damals vorgetragenen Fraktions- und zahlreichen persönlichen Erklärungen zum 1. Mai (siehe auch P.S. vom 12. Mai 2023).
100 Stimmen für den Präsidenten
Damit zu den Wahlen: Von den 117 Anwesenden erhielt der neue Ratspräsident Guy Krayenbühl (GLP) genau 100 Stimmen. Der erste Vize Christian Huser (FDP) wurde mit 91 Stimmen gewählt und der zweite Vize Ivo Bieri (SP) mit 96 Stimmen. Von wem er sich für seine Antrittsrede hatte inspirieren lassen, verriet Guy Krayenbühl gleich zu Beginn: «Wenn es ums Schreiben von Reden und Politik geht, dann kommt mir oft das wunderbare Lied von Mani Matter in den Sinn, die Ballade vom Nationalrat Hugo Sanders. Und er zitierte: «Är het korrigiert, ergänzt und gschtriche. Immer wider a sir grosse Red. Ohni das er je se ghalte het!» Doch keine Sorge, er mache es jetzt anders als der Sanders, versicherte Guy Krayenbühl und legte los: Er wurde 1968 geboren und wuchs im Kreis 1 auf, genauer an der Rämistrasse (siehe auch das Interview mit Guy Krayenbühl auf Seite 14 dieser Ausgabe). Damals habe die Stadt gleichviele Einwohner:innen gehabt wie heute, der Ausländer:innenanteil habe rund 16 Prozent betragen, am Neumarkt seien noch Autos gefahren, und am See sei es verboten gewesen, den Rasen zu betreten, sagte er.
Heute lebten hier 447 000 Menschen, 270 000 kämen hierhin zum Arbeiten und zum Vergnügen, der Ausländer:innenanteil betrage rund 33 Prozent, und Zürich habe sich stark verändert: «Es wurde interkantonaler, internationaler, liberaler und urbaner. Seien wir ehrlich, uns geht es gut! Heute ist die Stadt so lebenswert, dass alle wieder hier leben wollen – im grössten natürlichen Habitat für soziale Wesen der Schweiz.» Wir hätten das fünftgrösste Budget aller Gemeinwesen in der Schweiz, eigene Kraftwerke und Spitäler, eine eigene SBB namens VBZ sowie «zig kulturelle Leuchttürme und gelegentlich einen Hafenkran an der Limmat».
Der Gemeinderat treffe sich jeden Mittwoch im «Mittwochsklub, wie Niggi Scherr den Gemeinderat so schön nannte», fuhr Guy Krayenbühl fort: Er sei seit 2015 Mitglied des Mittwochsklubs und «ich empfinde es noch immer als grosses Privileg und eine grosse Bereicherung, hier mit Euch Politik machen zu dürfen». Zwar fehle für ihn noch der grosse Anteil von Mitmenschen, «die bei uns wohnen und Steuern zahlen». Er sei jedoch davon überzeugt, dass sich das Prinzip «No taxation without representation» dereinst auch bei uns durchsetzen werde. «Machen wir es anders als der Sanders, denn machen wir es nicht anders, wird es nie anders», schloss er: «Lassen wir unsere Ideen einbringen, debattieren wir respektvoll, hören wir uns gegenseitig gut zu und halten wir Sorge zu unseren demokratischen Institutionen.» Es folgten noch die Wahlen der Geschäftsleitung und der Kommissionspräsidien. Danach machten sich die Ratsmitglieder auf zur traditionellen Wahlfeier, die dieses Mal im Kunsthaus Zürich stattfand.
Angekündigter Rücktritt
In ihrer Medienmitteilung vom Montag kündet die AL die Übergabe ihres Gemeinderatsmandats für den Kreis 11 an: Andreas Kirstein, der seit 2012 im Gemeinderat sitzt, wird den Rat aus beruflichen Gründen verlassen. Sein Nachfolger wird Christian Häberli, der gemäss Medienmitteilung für seinen Einsatz «für eine quartierverträgliche Überbauung an der Thurgauerstrasse» bekannt wurde und zudem Co-Leiter der AL-Arbeitsgruppe Wohnen und Stadtplanung ist.