- Kultur
Listig
Ich mache einen Unterschied. Falls die Gemengelage zum eigenen Vorteil gereicht, ist das nicht umstritten. Sollte sie ins Unbequeme oder gar Anstrengende kippen, wird mensch erfinderisch. Eine sich selbst erfolgreich einredbare Entschuldbarkeit für fehlbares Verhalten respektive unterlassenes Handeln verwandelt dasselbe Ich im Handumdrehen in eine ach so ohnmächtige und sowieso nicht entscheidende Grösse. Das praktische an diesem Mechanismus ist seine Anwendbarkeit auf alles. Und das ist viel. Ursina Greuel schickt mit Lou Bihler, Lilian Fritz, Krishan Krone und Gulshan Sheikh vier ausreichend verschiedene Identifikationsfiguren vor, dass sich alle im Publikum als gemeint angesprochen fühlen können. Besonders, da die mittels «In meinem Hals steckt eine Weltkugel» sehr weitreichend ausgebreitete Anwendung einer Eigenrelativierung sich so schlicht in nur einer Frage subsumieren lässt: Warum ich? Das Gehirn ist so geschickt darin, sich diese argumentative Deutungsumkehr selbst abzunehmen, dass daraus regelrecht physisches Erleben resultieren kann. In einem übertragenen Sinn vergleichbar mit einem Phantomschmerz kann sich eine Vorrangstellung als Leiden manifestieren, womit jeder Rechtfertigungsansatz keinerlei weiteren Grundlage bedarf. Ein Armutszeugnis durch Mitleid erheischen. Der Tonfall auf der Bühne ist listigerweise viel verspielter ernsthaft konnotiert als bloss sarkastisch, sodass je nach Perspektive die gesamte aufklärerisch-anklägerische Ebene des Texts als Bestätigung für den Hang zum Vorwand wahrgenommen werden könnte. So wie Eigenverantwortung nur dann reklamiert wird, wenn sie pekuniären Zugewinn meint und nicht etwa Solidarverhalten. Fabio Santos untermalt diesen vordergründig gehemmt begangenen Selbstbetrug mit Schlagwerk und Vibraphon, als wäre der Wesenskern des Stücks ein Grund zum Feiern. Die Eindeutigkeit wird zur Ambivalenz.
«In meinem Hals steckt eine Weltkugel», bis 22.3., Sogar Theater, Zürich.