«Leistungslose Gewinne treiben die Mieten in die Höhe»

Das Wochengespräch im P.S. vom 24. März mit dem Titel «Nur weil der Staat baut, gehen die Mieten nicht automatisch runter» dürfe so nicht stehen gelassen werden, findet die Arbeitsgruppe Architektur+Städtebau Zürich. In der folgenden Replik legt sie dar, weshalb sie zu diesem Schluss kommt.

Tatsächlich beklagen wir mit Frau Wälty einen schmerzlichen Überhang einer Nachfrage nach bezahlbaren Wohnungen in unserer Stadt. Die Mieten sind freilich wesentlich tiefer, wenn die öffentliche Hand – noch besser Genossenschaften oder Selbsthilfegenossenschaften im Baurecht – bauen. Die Aussage, durch eine extrem forcierte Bautätigkeit könne ein vernünftiger Wohnungsmarkt geschaffen werden, ist spekulativ und im Beitrag nicht belegt. Dies deshalb, weil der Bodenmarkt monopolistisch und eigentlich gar kein Markt ist. Der Glaube, das Angebot könne mit intensiverer Bautätigkeit in absehbarer Zeit die Wohnprobleme lösen, ist unrealistisch, sowohl politisch als auch hinsichtlich der Kapazitäten des Baugewerbes. Zudem werden, wenn schon, die falschen Wohnungen gebaut, mit hohen Marktmieten, die eine durchmischte Gesellschaft ausschliessen.  

Einseitig und technokratisch

Mit jeder Verdichtung und Verbesserung der Lagegunst steigen die  Bodenpreise und Mieten. Wie in absehbarer Zeit und auf einer «Grossbaustelle Zürich» soviel neuer Wohnraum zu schaffen wäre, um die Preise zu senken, bleibt das Geheimnis der jungen Forscherin. Unsere sehr sorgfältig auf die Bedürfnisse der Quartiere austarierte Bau- und Zonenordnung auf den Kopf zu stellen und die Ausnützungziffern stark anzuheben, ist wohl schon politisch in absehbarer Zeit unmöglich.

Zudem übersieht der Beitrag die Frage, wie sehr wir Zürcherinnen und Zürcher die Stadt umkrempeln und verdichten lassen wollen. Lassen solche Verdichtungsvisionen nicht auch ein gerüttelt Mass an Sensibilität für unsere Demokratie vermissen? Was aber besonders stört ist, dass die Stadtentwicklung, die Behausungs- und Wohnungsfragen viel zu einseitig und technokratisch auf ein quantitatives Problem reduziert werden. Stadtbaukunst und Städtebau sind höchst komplexe Disziplinen, bei denen eine undifferenzierte Brechstange mehr Schaden anrichtet, als dass Probleme gelöst würden.

Vielleicht ein Systemfehler?

Entscheidende Probleme, die sich aus unserem liberalen Bodenrecht ergeben, bleiben weitgehend ausgeblendet. Sie sind in hohem Masse dafür verantwortlich, dass sogar in der Stadt Aufgewachsene gezwungen sind, die Stadt zu verlassen (der Immobilienexperte Donato Scognamiglio sagt im Schweizer Fernsehen charmant lächelnd, wer sich die Stadt nicht leisten könne, solle halt aufs Land ziehen…). Solange Boden juristisch nicht als einzigartig, ortsgebunden, unverzicht- und unvermehrbar behandelt wird – wie Luft und Wasser – und vielmehr wie Birchermüesli die Hand ändern kann, werden leistungslose Gewinne die Mieten weiterhin in die Höhe treiben. Selbst Pensionskassen finanzieren sich dann durch derart hohe Mieten, dass sich deren Mieter keine gute Altersvorsorge leisten können und dem Konsum viel Geld entzogen wird. Vielleicht ein Systemfehler?

Die Grundstückspreise explodieren parallel zu der von Frau Wälty gepriesenen Verdichtung. Die hohen Mieten können sich in der Folge nur Bessergestellte leisten. Diese belegen erfahrungsgemäss weit mehr Wohnfläche als die 48m2, die im Schweizer Durchschnitt pro Kopf beansprucht werden. Also viel Bauvolumen, weniger BewohnerInnen und kaum Verdichtung. Ohne bodenrechtliche Eingriffe (wie das Limitieren der Bodenpreise) dürfte sich daran zukünftig nichts ändern.

Wer Zürich derart rigoros über den Haufen werfen und in die Höhe treiben will, muss selbstverständlich dasselbe auch mit dem Regelwerk, der Bau- und Rechtsordnung tun, deren Vorzüge nicht einmal in Betracht gezogen werden. Wie lange dauert das in unserem demokratischen Staat? Es wäre nota bene im Voraus zu belegen, dass bei einer Lockerung des Regelwerkes, die durch die neuen Hochhausrichtlinien vorbereitet wird, der steigende Bedarf an guten und preiswerten Wohnungen befriedigt werden könnte. Denn hochtechnisierte Hochhäuser sind definitiv arg umweltschädlicher und 20 bis 40 Prozent teurer als der Flachbau in einfacher, umweltgerechter Bauweise – also definitiv nichts für Wenigverdienende oder Familien mit Kindern oder für eine sozial durchmischte Gesellschaft. Die grossen Anstrengungen, das vielzitierte Wohnhochhaus auf dem Koch-Areal sozialverträglicher zu machen, sind anerkennenswert. Das bekommt man alles im verdichteten bodenständigen Flachbau mit wesentlich geringerem Aufwand auch. Das Gewebe der horizontalen Stadt ist in jedem Falle billiger als teure Türme.

Wir müssen die Frage noch einmal stellen: Wem gehört die Stadt? Will die überwiegende Mehrheit der Zürcherinnen und Zürcher nach so extremen Vorstellungen verdichtet und gestapelt werden? Abgesehen davon, ob man sich Hochhauswohnen leisten kann, zeigen Befragungen, dass die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung nicht in Hochhäusern leben will, sondern ganz normal mit Bodenbezug, ohne dauernd auf die Nabelschnur des Aufzuges angewiesen zu sein.

Hochhäuser sind nicht notwendig

Wir haben aber doch noch eine gute Nachricht: Die Dichten, die Frau Wälty vorschlägt, sind nach unserer groben Einschätzung mit dem verdichteten Flachbau bis zu sechs Geschossen durchaus kompatibel. Paris ist beispielsweise viermal dichter als unsere Stadt. Das heisst, dass selbst bei solchen Dichtevorstellungen die umweltbelastenden und ein soziabiles, gemeinschaftliches Leben erschwerenden Hochhäuser gar nicht notwendig sind. Auch die Hochhaushype des Amtes für Städtebau und die Umkrempelung des Bau- und Zonenplanes ist überflüssig. Letztere bedient vor allem Anleger:innen, die Grundstücke zugunsten einer hohen Rendite übernutzen wollen. Sie ist nicht im Interesse der in dieser Stadt lebenden Menschen. Die im Richtplan vorgesehenen Verdichtungszonen genügen. Die strikte Trennung von Wohnen und Arbeiten bedient noch alte Vorstellungen der Moderne. Auch das Gewerbe ist wichtig, sichtbar in den Sockelgeschossen und grosszügigen Höfen. Erst das macht die Stadt aus!

Zur «Stadt der kurzen Wege» ist zu sagen, dass Aufzugsstädte viel längere Wegzeiten nach sich ziehen als die dichte horizontale Stadt. 60 Meter zu Fuss gehen ist eine Kleinigkeit. Zwanzig Geschosse mit dem Aufzug zu überwinden ist das weitaus grössere Hemmnis. «Ob Weiterbauen im Bestand reicht» oder ein Ersatzbau erfolgt, wie formuliert wird, wirft nicht nur die Frage auf, wieviel Volumen mit dem Ersatzbau angehäuft werden kann, sondern muss im Hinblick auf die Klimakrise beantwortet werden. Eine neu zu schaffende Umbauordnung muss den Ersatzbau zur Ausnahme werden lassen!

Frivoler Vergleich

Zürich mit New York zu vergleichen, erscheint uns als ziemlich frivol, eine Stadt mit einer gigantischen Umweltbelastung und ebensolchem Energieverbrauch – das Ende einer nur auf Macht, Geld und Höhe ausgerichteten postkapitalistischen Entwicklung. Eine moderne, zukunftsfähige Stadt muss fundamental anders sein. Wie neue Forschungen und Beispiele aufzeigen, steht dabei der urbane und verdichtete Flachbau im Vordergrund.

Die Vorschläge von Frau Wälty zielen darauf ab, möglichst schnell ein Mengenproblem zu lösen, ohne Rücksicht auf die wirklichen Bedürfnisse der Menschen und noch weniger auf die Ökologie und den Klimawandel. In unserer Kultur haben die Menschen und insbesondere die Kinder ein Bedürfnis nach ausreichend Freifläche und tiefwurzelnde grosse Bäume auf dem gewachsenen Boden, ohne Betontiefgaragen. Darauf nimmt der hier besprochene Beitrag kaum Rücksicht. Wir wollen keine Verdichtung wie in China, wo Menschen überwacht werden und die freie Meinungsäußerung ins Gefängnis führt. Wir wollen zuträgliche Dichte, nicht Vermassung.

Mehr Kosten- statt Marktmiete

Im Gegensatz zur Meinung von Frau Wälty sind die Mieten, wenn die öffentliche Hand oder Genossenschaften bauen, um 20 bis 30 Prozent billiger, weil diese nach Kostenmiete und nicht nach Marktmiete berechnet werden. Die Behauptung, dass diese durch die Mangellage profitieren, ist faktenwidrig. Auch die Aussage, ein Nachfrageüberhang führe zu tiefen Mieten, ist nicht nachvollziehbar. Vielmehr führt Lagegunst und die Anbindung an den öV zu hohen Bodenpreisen und Mieten.

Die Empfehlung, unser Zürich müsse endlich Stadt werden, ist unbehelflich. Urbanität braucht tatsächlich eine gewisse Bau- und Bewohnerdichte. Unsere Stadt wird aber nicht urbaner, weder räumlich, ökologisch noch sozial, wenn Menschen beliebig und masslos übereinander gestapelt werden. Menschen sind keine Füllmasse für Zinsmaschinen. Die schönsten europäischen Städte sind dicht und liegend – abgesehen von einzelnen herausragenden Merkpunkten, zudem umweltgerecht und zukunftsfähig. Die qualitativen Merkmale einer Stadt, städtebaulich wie humanwissenschaftlich betrachtet, bleiben auf der Strecke, wenn das Behausungsproblem auf die Quantität reduziert wird.

Die zukunftsfähige Stadt ist eine transformationsfähige Ablagerung menschlicher Arbeit und kann sich, ob in alten oder neuen Quartieren, weiterentwickeln. Die Stadt der Häuser als Bausteine zur Bildung schöner öffentlicher und privater Räume – Strassen, Plätze, Gassen, Höfe – ist dicht. Dagegen steht die rücksichslose Verklotzung unserer Quartiere mit Baugiganten. Alle Betrachtungsweisen, welche die Stadtentwicklung auf das zweifellos akute Mengenproblem reduzieren, müssen scheitern.

* Horst Eisterer ist Mitglied der Arbeitsgruppe Architektur+Städtebau Zürich: asaz-arch.ch

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