Laut und zusammen durch den Haupteingang

Am Dienstag veranstaltete die Unia Zürich-Schaffhausen eine Podiumsdiskussion zur Diskriminierung von Frauen in der Arbeitswelt. Fünf Unia-Aktivistinnen auf der Bühne und zahlreiche Gäste im Saal teilten Erfahrungen, Wünsche und Forderungen.

Frauen verdienen in der Schweiz für dieselbe Arbeit 454 Franken weniger als Männer. Sie arbeiten öfter in Berufen mit tiefen Löhnen und tiefem Ansehen: In der Pflege, in der Reinigung, im Detailhandel, als Coiffeuse. Jede sechste Frau verdient im Monat weniger als 4400 Franken, bei den Männern ist es nur jeder Achte. Besonders betroffen sind Migrantinnen. 60 Prozent der Frauen arbeiten «Teilzeit» – oder anders ausgedrückt: Sie arbeiten nicht weniger (insgesamt arbeiten Frauen und Männer etwa gleich viel, um die 50 Stunden pro Woche), aber sie erledigen mehr unbezahlte Care-Arbeit wie Haushalt, Kindererziehung, Pflege der Eltern und Schwiegereltern (ca. 30 Stunden pro Woche im Gegensatz zu 20 Stunden bei den Männern). Die Folge: schlechtere Karrierechancen, weniger Weiterbildungsmöglichkeiten und am Ende des Arbeitslebens fast 20 000 Franken weniger Rente pro Jahr.

Selten gehört…

Diese Zahlen dürften viele Leser:innen dieser Zeitung bereits kennen. Aber: Hinter den Zahlen stehen Geschichten, die selten Gehör finden. Um diese Schicksale sichtbar zu machen, lud die Unia am vergangenen Dienstagabend, einen Tag vor dem internationalen Frauentag und hundert Tage vor dem feministischen Streik, zur Podiumsdiskussion ins Volkshaus. Auf dem Podium: Fünf Rednerinnen, die in ihrem Berufsalltag verschiedenste Formen von Diskriminierung erlebt haben und sich deshalb bei der Unia engagieren.

Eine der Frauen ist Fatima Pineiro. 2018 kam sie als Spezialistin für Labormedizin in die Schweiz, doch ihr Diplom wurde nicht anerkannt – und sowieso sprach sie nicht genügend Deutsch, als dass sie eine Stelle in der Branche bekommen hätte. Schliesslich fand sie in einem Hotel eine Anstellung als Reinigungskraft. «Wir Putzfrauen durften nicht wie die Gäste und die anderen Angestellten durch den Haupteingang ins Gebäude, sondern mussten eine Hintertür nehmen», erzählt sie. «Die Arbeitsbedingungen waren miserabel, auf eine Festanstellung war keine Aussicht.» Dafür erlebte Pineiro mehrmals Respektlosigkeiten oder sexuelle Belästigung von (männlichen) Hotelgästen: «Als ich beispielsweise ein Zimmer putzte, während der Gast auf dem Bett lag, fragte er mich, ob ich ihm nicht eine Massage mit Happy End geben könne.»

…auch in der Politik

Auch Sarah Akanji, die nach vier Jahren im Kantonsrat wegen sexistischer und rassistischer Zuschriften nicht mehr zur Wiederwahl antrat, sitzt auf der Bühne im Blauen Saal. Allerdings nicht als Politikerin, sondern als Fussballerin: «Während mein Bruder Manuel Fussballer von Beruf werden durfte, war für mich schon als Kind klar, dass der Fussball ein Hobby bleiben wird, weil ich eine Frau bin», erinnert sich die Verteidigerin des FC Winterthur. «Fussballerinnen, die in der Schweiz auf höchstem Niveau spielen, haben eine Doppelbelastung, weil sie genauso wie die Männer trainieren, aber daneben noch hundert Prozent arbeiten.»

Nicht ernst genommen

«Für mich war Teilzeitarbeit die einzige Möglichkeit, Job und Familie auch nur einigermassen unter einen Hut zu bringen», sagt Elina Falchi. Die Vizepräsidentin der Unia Zürich-Schaffhausen kam 1999 in die Schweiz und arbeitet als Pflegefachfrau. «Aber wer Teilzeit arbeitet, wird nicht ernst genommen.» Sprüche wie «Hattest du schöne Ferien» seien keine Seltenheit gewesen, wenn sie nach drei Tagen, in denen sie sich um ihre kleinen Kinder gekümmert hatte, wieder zur Schicht erschienen sei. «Ich fühlte mich schuldig, als sei ich weder zuhause noch am Arbeitsplatz gut genug», erzählt die Argentinierin. «Die einzigen Wochentage, an denen ich regelmässig eingeteilt wurde, waren Samstag und Sonntag.» Und an einen beruflichen Aufstieg sei bei einem 50-Prozent-Pensum sowieso nicht zu denken gewesen.

Die Forderungen der Frauen auf der Bühne und im Saal sind klar: Mehr Respekt, mehr Lohn, mehr Zeit. Um diese zu erreichen, wird neben negativen Erfahrungen auch Positives ausgetauscht: Wünsche, Strategien und Erfahrungen aus erfolgreichen Mobilisierungen gegen ungerechte Strukturen. So meldet sich beispielsweise eine Frau aus dem Publikum, die sich mit anderen Reinigungsfachkräften zur Kooperative ‹Autonomía› zusammengeschlossen und bessere Arbeitsbedingungen für sich und die 33 anderen Genossenschafterinnen erkämpft hat: Ein Bruttolohn von 30 Franken, Sozialver­sicherung und fünf Wochen Ferien.

«Wenn Menschen im schützenden Kollektiv für etwas einstehen, dann ist das nicht nur ein schönes Gefühl, sondern kann auch etwas bewirken», weiss auch Sarah Akanji.  «Ob morgen oder am 14. Juni, wir müssen diese Energie nutzen.» Dem pflichtet Fatima Pineiro bei: «Wir Frauen müssen aufhören, leise und allein zu sein, wir müssen laut und zusammen durch den Haupteingang hereinkommen. Und wenn uns unsere Chefs alle deswegen kündigen, werden sie merken, dass niemand ihre Zimmer putzt, ihre Eltern pflegt – vielleicht wird ihnen dann bewusst, dass ohne uns gar nichts geht.»

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