Sexarbeiter:innen sollen künftig auch auf der Langstrasse Kund:innen anwerben dürfen. (Bild: Mathias Marx / Ex-Press.ch)

Langstrassenstrich

Der Gemeinderat will an der Langstrasse Strassenprostitution legalisieren. Damit soll die Situation der Sexarbeiter:innen verbessert werden.

Wer heute durch die Langstrasse läuft, käme wohl nicht auf die Idee, dass Strassenprostitution hier verboten ist. Sexarbeiter:innen dürfen zwar legal in Clubs, Salons oder Bordellen anschaffen, auf der Strasse Kund:innen anzuwerben ist aber eigentlich verboten. Das soll sich ändern, beschloss letzte Woche der Zürcher Gemeinderat.

Eine breite Allianz stimmte einem Postulat von Anna Graf (SP), Karin Weyermann (Mitte) und Tanja Maag Sturzenegger (AL) zu, das an der Langstrasse eine legale Strassenstrichzone schaffen will. Es wäre die vierte solche Zone neben dem Niederdorf, der Allmendstrasse in der Nähe des Sihlcity und dem Strichplatz Depotweg in Altstetten. Die Sexarbeit aus der Langstrasse zu bekommen sei schwierig, meint Lelia Hunziker von der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ). «An der Langstrasse sind viele Klubs und viele Wohnungen von Sexarbeitenden. Deshalb sind auch die Kunden dort, Sexarbeit findet statt und Verbote bewirken wenig», sagt Hunziker. Dazu komme, dass bei den Sexboxen in Altstetten, die nur mit dem Auto zugänglich sind, das Geschäft und die Kund:innen anders seien als an der Langstrasse. 

Sogwirkung und Pflästerlipolitik

Olivia Frei von der Zürcher Frauenzentrale hingegen sieht die Gefahr einer Sogwirkung der Langstrasse. «Frauen in der Prostitution», die aktuell in der weniger frequentierten Strichzone bei der Allmend oder beim Depotweg arbeiten, würden sich nach der Legalisierung wohl auch in den Kreis 4 bewegen. Da brauche es dann gute Angebote und auch Ausstiegsprogramme für «prostituierte Frauen», meint Frei. 

Genau dabei würde eine Legalisierung helfen, sagt Hunziker von der FIZ. Sexarbeiter:innen, die in der Illegalität arbeiten, würden sich weniger getrauen, Hilfe anzunehmen und können sich auch nicht an die Polizei wenden. «Je mehr Aspekte der Arbeit illegal sind, desto vulnerabler sind die Sexarbeiter:innen», so Hunziker. Den Schutz von «prostituierten Frauen» finde die Frauenzentrale ebenfalls äusserst wichtig, sagt Frei. «Aber der Stadt fehlt es an einer langfristigen Planung in Sachen Prostitution.» So entstehe dann eben eine Pflästerlipolitik. «Wer schützt denn die Quartierbevölkerung? Wie stellt man sicher, dass nicht andere Frauen für Prostitution angesprochen werden?», fragt Frei. Ihr wäre lieber gewesen, dass man Freier, die ausserhalb der Strichzone Frauen kontaktieren, büssen würde.

Von einem solchen Verbot hält Nathalie Schmidhauser nichts. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei ProCoRe, einem nationalen Netzwerk für die Rechte von Sexarbeitenden. Man könne doch nicht bei einem Geschäft das Angebot erlauben, aber die Nachfrage verbieten. «Damit gefährdet man auch die Sexarbeiter:innen, die dann unter dem Druck arbeiten müssen, ihre Kund:innen zu schützen», sagt Schmidhauser.

Wen schützt man im Quartier?

Als Anwohnerin der Langstrasse hat Schmidhauser auch eine klare Meinung zur Quartierverträglichkeit. Im Gemeinderat sorgte dieser Punkt dafür, dass ein Teil der Grünen Fraktion die Legalisierung ablehnte. Die Wohnbevölkerung sei mit dem Partyvolk und den Drogenproblemen rund um die Langstrasse bereits stark belastet, sagte der Grüne Markus Knauss. Auch um die Sicherheit der Frauen, die an der Langstrasse unterwegs sind, sorgte er sich in der Gemeinderatsdebatte: «Aus der Sicht einer alkoholisierten und enthemmten Männertruppe werden Frauen in Strassenstrichzonen zu Freiwild.»

Für Schmidhauser gehen beide Argumente nicht auf. Schliesslich gebe es schon einen Strassenstrich an der Langstrasse. Diesen zu legalisieren ändere für die Wohnbevölkerung nicht viel, zumal es nur um einzelne Strassenabschnitte gehe. In den letzten Jahren sei extrem viel teurer Wohnraum im Quartier entstanden, wo Menschen eingezogen sind, die teilweise die Sexarbeit am liebsten verdrängt sehen würden. Dabei sei es auch förderlich für die Sicherheit von Sexarbeitenden, wenn sie in einem belebten Quartier arbeiten können und nicht wie bei der Allmend nachts alleine unter der Autobahn stehen.

Dass eine Strichzone die anderen Frauen gefährdet, sieht Schmidhauser nicht. «Es ist auch eine klassistische Unterscheidung, wenn man sagt: Diese Frauen müssen wir schützen und der Schutz jener Frauen ist weniger wichtig.» Wichtiger fände Schmidhauser, dass man den Sexarbeitenden zuhört und faktenorientiert argumentiert. Der Strassenstrich mache schweizweit nur etwa zehn Prozent der Sexarbeit aus und Arbeitsräume an der Langstrasse für Sexarbeitende seien extrem teuer. Schmidhauser fordert deshalb von der Stadt günstige und sichere Arbeitsräume für Sexarbeit. Solche Räume fehlen aktuell besonders an der Langstrasse.