Kultur ist auch ein Wirtschaftsfaktor

Die Liste der Kulturverbände und Organisationen hinter der Taskforce «Corona Massnahmen Kultur» ist lang – von A wie AutorInnen der Schweiz bis V wie Visarte. Gemeinsam fordern sie eine Verlängerung der Unterstützungsmassnahmen des Bundes, wie Taskforce-Mitinitiantin Sandra Künzi im Gespräch mit Suzanne Zahnd erklärt.

 

Suzanne Zahnd

 

Frau Künzi, in Ihrem Schreiben vom 7. Mai 2020 fordern Sie den Bundesrat dazu auf, die Massnahmen zur Unterstützung von KünstlerInnen und Kulturschaffenden zu verlängern, und einen Austausch mit den Behörden. Gab es den bisher denn gar nicht?

Sandra Künzi: Der Kultursektor ist bis auf Weiteres lahmgelegt. Er kommt frühestens ab Herbst, vermutlich noch später, wieder in die Gänge. Bis dahin haben weder VeranstalterInnen noch Agenturen oder Künstler­Innen Einnahmen. Entsprechend brauchen wir eine Verlängerung der Massnahmen – realistischerweise bis Ende Jahr. Und natürlich wird man prüfen müssen, ob die vom Bund gesprochenen 280 Mio Franken dafür reichen.

Um diese Umstände und die zahlreichen Anwendungsfragen darzulegen, benötigen wir eine direkte Kommunikation mit den Behörden, mit dem Bundesamt für Kultur, dem Seco und den Kantonen. Das findet zur Zeit noch nicht auf der nötigen Augenhöhe statt. Aber wir arbeiten daran, und die Zeichen sind positiv. Wenn jeder Kanton andere Regeln hat, gibt es für die Branche keine Planungssicherheit. 

Wir brauchen Regeln, die schweizweit gelten. Primär ist aber eine Verlängerung der Massnahmen des Bundes, die am 20. Mai auslaufen. Denn dann gehen die Probleme für die Kulturbranche erst richtig los. Veranstaltungen mit mehr als 1000 Personen sind mindestens bis Ende August verboten. Alles andere ist unklar. Theater, Kinos und Gottesdienste sollen zwar ab 8. Juni wieder erlaubt sein, aber wie genau, das weiss man nicht. Was sollen all die Kulturorte denn machen? Die Organisation einer Veranstaltung erfordert mindestens 60 bis 90 Tage Vorlauf. Das heisst, im Moment bucht niemand. 

 

Sie argumentieren in Ihrem Schreiben, wie es jeder Wirtschaftsverband tut, mit Wertschöpfungsanalysen und dem Vergleich mit anderen Wirtschaftszweigen. Ist die Kulturbranche tatsächlich vergleichbar?

Oh, es freut mich, dass Sie uns mit einem Wirtschaftsverband vergleichen! Jetzt müssten wir nur noch dasselbe politische Gewicht erreichen. Kultur kann nicht rentieren, und sie muss es auch nicht, jedenfalls nicht im ökonomischen Sinne. Aber sie ist trotzdem auch ein Wirtschaftsfaktor, ob sie das will oder nicht. Kultur generiert einen finanziellen Mehrwert für Städte, Gemeinden, Kantone, weil sie Leute anzieht. Davon profitieren Hotels, Beizen und Läden. Die Schweiz ist ein Tourismusland, und für blühenden Tourismus ist Kultur ein Rohstoff. Diesen wertschöpfenden Aspekt vergisst man oft. Sogar die Kulturschaffenden selber vergessen es manchmal. 

 

Wohl wahr, aber trotzdem könnte man ja auch argumentieren, ob es sich eine Gesellschaft überhaupt leisten kann, auf die Reflexions- und Spiegelungsarbeit der Kunst zu verzichten, oder?

Sicher, Kultur ist systemrelevant, aber wir lassen uns ungern auf die Rolle der Bittstellenden reduzieren. Das passiert der Kulturbranche schon genug! Daher haben wir in diesem Schreiben die wirtschaftliche Bedeutung der Kultur hervorgehoben. Das mag untypisch, unromantisch und sicher unvollständig sein, aber Kultur ist auch ein Wirtschaftsfaktor. 

Und dann geht es uns eben auch um KünstlerInnen, die nicht so gut sichtbar sind wie die erfolgreichen. Die sind genau so wichtig. Ein Beispiel: Die Solothurner Literaturtage wären nicht, was sie sind, wenn sie nicht auch viele unbekannte oder experimentelle AutorInnen einladen würden. Mit anderen Worten, wenn z.B. Kleinverlage nicht weiter unterstützt werden, ist das schlicht eine Katastrophe für die Schweizer Literatur.

 

Die Einkünfte der Menschen, die im Kulturbereich arbeiten, kommen oft aus mehreren Quellen. Manche haben vielleicht einen Halbtagsjob, der gar nichts mit Kultur zu tun hat, oder sie arbeiten für verschiedenste Auftraggeber oder selbstständig. Entsprechend müsste wohl jeder Einzelfall geprüft werden. Es braucht keine Fantasie, um hier einen bürokratischen Wahnsinn zu befürchten. Was haben Sie für Lösungsvorschläge?

Die Behörden müssen diese Arbeitsrealität, die Sie so treffend beschreiben, verstehen. «Freischaffende» bzw. «Intermittents», also Kulturschaffende mit vielen befristeten Arbeitsverträgen oder Mischformen, fallen oft zwischen Stuhl und Bank: Niemand beantragt Kurzarbeit für sie. Der Anteil ihrer selbstständigen Erwerbsarbeit ist aber so klein, dass er entweder nicht akzeptiert wird, oder die Taggelder dafür sind so tief, dass sie nicht weiterhelfen. Aktuell liegen uns zahlreiche solcher Fälle vor, und zwar auch von sehr bekannten Schweizer Künstlern und Künstlerinnen. Die Sozialversicherungen müssen der Realität angepasst werden, nicht umgekehrt.

Die Problematik der fehlenden Absicherung von Selbstständigerwerbenden ist eine weitere Lücke, die nicht nur Kulturschaffende betrifft, sondern auch viele andere Kleinunternehmer. Wir möchten mit ihnen am gleichen Strick ziehen und für die soziale Absicherung aller Selbständigerwerbenden kämpfen. Die Erwerbsersatzentschädigung kann zwar schon jetzt von KünstlerInnen geltend gemacht werden, aber sie ist überhaupt nicht auf deren Realität zugeschnitten. Wenn jemand ein Taggeld von 3.50 Franken bekommt, ist es das Papier nicht wert, auf dem es steht. 

Gut funktionieren aus unserer Sicht bisher die angepasste Kurzarbeitsentschädigung sowie die Nothilfe für Kulturschaffende. Unklar ist, ob die Ausfallentschädigung greift. Hier schauen wir ganz genau hin!

Eine bedingungsloses Grundeinkommen wäre die beste, effizienteste und kostengünstigste Lösung. Aber das ist meine persönliche Meinung.

 

Hat der Bund auf Ihr Schreiben geantwortet? Und wie geht’s weiter?

Wir erwarten, dass der Bundesrat sich bald zur Verlängerung der Massnahmen im äussert. Wir sind gespannt.

 

Dieses Gespräch wurde geführt, bevor der Bundesrat am 13. Mai beschloss, die finanzielle Hilfe für den Kultursektor bis September zu verlängern. Der Betrag von 280 Mio. Franken wird vorerst nicht angepasst.

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