Kultur für alle statt für wenige

 

Kunst und Kultur sollen für möglichst alle Bürger und Bürgerinnen zugänglich sein – darüber sind sich eigentlich alle einig. Dies zeigte eine kleine Umfrage unter Zürcher Theatern, Konzerthallen und Museen, die ich für meine Berichte auf der Seite Tsüri.ch durchgeführt habe. Auch der Kulturdirektor Peter Haerle spricht sich dafür aus: «Es ist wichtig, dass möglichst viele Menschen Zugang zur Kultur haben.» Alles gut und fertig? Keinesfalls.

 

Eine einfache, fassbare Möglichkeit, den Zugang zu öffnen, wäre die Abschaffung der Eintrittsgelder. Überall: Opernhaus, Schauspielhaus, Kunsthaus und wie sie alle heissen. Die Forderung klingt sogar für einige Linke absurd. Doch: Es wäre nichts als gerecht, wenn jene, die die Kultur bezahlen, also alle Steuerzahlerinnen, sich diese auch gratis zu Gemüte führen könnten. Eine Utopie, ich weiss. Der Kulturdirektor will nichts davon wissen: «Kultur hat einen Wert. Das muss den Menschen bewusst sein. Und dieser Wert drückt sich auch dadurch aus, dass man dafür bezahlen muss.» Das Kunsthaus will nichts davon wissen: «In der individuellen Wahrnehmung würde Kunst zu einem Konsumgut, das in seiner Wertigkeit noch hinter einem Musik-Download rangiert.» Das Schauspiel- und das Opernhaus wollen sowieso nichts davon wissen. Einzig das Maxim-Theater und die Kunsthalle wären offener gegenüber einem solchen – finanziell zumindest – hürdenlosen Zugang zu Kunst und Kultur. Abgesehen von den vielen kleinen Off-Spaces ist die Shedhalle in der Roten Fabrik das einzige städtische Museum, das auf Eintrittsgelder verzichtet. Einen Zuwachs an BesucherInnen konnte sie trotzdem nicht verzeichnen. Doch darum geht es nicht in erster Linie.

 

Besitzende und Weniger-Besitzende

Ja, es ist fraglich, ob wirklich mehr und ob wirklich andere Menschen ins Museum und Theater gehen würden, wenn die Klassenschranke an der Kasse endlich abgeschafft würde. Aber ist es nicht ein wenig wie bei der Demokratie? Nicht alle gehen stimmen und wählen. Aber alle sollten die Möglichkeit dazu haben.

Die Zürcher Kulturlandschaft hat einiges zu bieten. Sie trennt aber eben leider auch die Besitzenden von den Weniger-Besitzenden. Obwohl alle mit den Steuern jede einzelne Eintrittskarte für das Opern- und Schauspielhaus mit über 300 Franken finanzieren, können sich nur die wenigsten einen Platz in den vorderen Reihen leisten. Wegen der Kosten.

 

Frage der Verteilgerechtigkeit

Ich stelle hier keinesfalls die Kulturförderung in Frage. Jeder Franken, der einer Künstlerin oder Kulturschaffenden überwiesen wird, ist ein guter Franken. Es geht um die Frage der Verteilgerechtigkeit. Jährlich werden von der Stadt Zürich 97,5 Millionen Franken in der Kulturlandschaft verteilt. Während die drei Grossen (Schauspielhaus, Tonhalle und Kunsthaus) 61,8 Millionen bekommen, teilt sich der ganze Rest die übrigen 35,7 Millionen Franken. Hochkultur und internationales Ansehen sind der Stadt also weitaus wichtiger als ein bürgernahes Kulturangebot.

Mit meinem Traum des schrankenlosen Zugangs zu Kunst und Kultur ecke ich auch unter Linken heftig an. Vor allem aber unter den Kulturschaffenden. Es ist verständlich, dass jede und jeder zuerst an die eigene Besitzstandswahrung denkt. Wer sich ein fettes Stück des Kuchens ergattern konnte, will diesen natürlich nicht mehr weggeben. Und jenes Haus, das es schafft, die Intellektuellen anzuziehen, verspricht sich davon automatisch ein höheres Ansehen mit einer Ausstrahlung weit über die Grenzen Zürichs hinaus.

 

Die linke Angst vor der Abschaffung der Eintrittsgelder ist teilweise begründet. Woher soll dann das viele Geld kommen, wenn die Karten für die ersten Reihen nicht mehr für 300 Franken verkauft werden können? Ganz einfach: Die Kulturförderung muss erhöht werden. Über die Steuern werden die Gelder proportional nach Einkommen eingezogen. An der Theaterkasse sind alle gleich. Nichts von wegen «jeder nach seinen Möglichkeiten».

Die Stadt Zürich ist zurzeit daran, das Leitbild der Kulturpolitik für die nächsten vier Jahre zu schreiben. Im Interview auf Tsüri.ch bestätigt Peter Haerle, dass sich nicht viel ändern wird. Der Film soll stärker gefördert werden – insgesamt wird der Kuchen nicht grösser. Vor allem nicht für die selbstverwalteten Freiräume. Seit Jahren liefern sie fundamental wichtige Inputs, regen Diskussionen an, experimentieren und scheitern auch ab und an. Das muss Kunst sein. Peter Haerle betont zwar, wie wichtig Off-Spaces für Zürich sind, ist aber der Meinung, dass sie finanziell nicht stärker unterstützt werden müssen.

So bleibt alles, wie es war. Oder in den Worten von Dieter Haselbach: «Doch Kunst war, ist und bleibt ein Medium der sozialen Differenzierung, der Abgrenzung und Ausgrenzung.»

Simon Jacoby

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